#ausblick

Sieben Thesen zur Zukunft von Medien und Werbung

von , 17.2.13

Das Ende der sinnleeren, verblödenden Reklame. Wie lange haben wir diesen Augenblick herbeigesehnt …

 

Erste These:

Analoges wie auch hybrides Fernsehen ist out. TV ist endlich in der digitalen Welt angekommen. Aus dem realen Lagerfeuer, um das sich früher die Familie versammelte, ist ein virtuelles Lagerfeuer geworden. Es gibt kaum mehr Sender (na gut, RTL hat überlebt), die einen „Programmablauf“ ausstrahlen. Es gibt unzählige TV-Mediatheken und Pay-TVs. Aus YouTube und GoogleTV sind breitgefächerte Themen-Videotheken geworden. Die Menschen versammeln sich via Social Media zu Gruppen, die gemeinsam ihre ausgewählte Sendung schauen. Größere Zuschauermassen werden nur noch von Sportereignissen wie Olympia, Fußball-WM, SuperBowl und Papstwahl angezogen, die nach wie vor zu einer festen Zeit ausgestrahlt werden.

Die Mediaagenturen buchen schon lange keine Sende(r)plätze mehr nach Zeitschienen, sondern ausgewählte Sendungen, die ihre Zuschauer über die Zeit und über verschiedenste Kanäle (Kino, TV, Online-Mediathek, Digital Signage, Mobile) einsammeln.

Die werbefinanzierten Programm-Theken stellen den Zuschauern zwar Werbefilme zur Auswahl, über die sie jedoch (mithilfe zuvor erstellter Interessenlisten) abstimmen. Von der Mehrzahl der individuellen Zuschauergruppe nicht erwünschte Werbung wird nicht ausgeliefert. Basta. Das hat die Qualität der Spots enorm gesteigert, aber natürlich auch ihre Werbewirkung.

 

Zweite These:

Radio ist nach wie vor der Tagesbegleiter Nummer eins geblieben. Wir hören aber nicht mehr nur ein oder zwei Lieblingssender, sondern empfangen auf digitalem Wege verschiedenste, zuvor ausgewählte Programme. Wir programmieren Dutzende Sender nach Programmkompetenz, Musikpräferenz und Tagesstimmung: Für jeden Content einen anderen Sender. Wir hören Programm, nicht mehr Sender.

Die Reichweiten vieler Radio-Sender sanken dadurch signifikant. Mediaplaner buchen längst nicht mehr Sender, sondern Programme, um ihre Zielgruppen zu bestimmten Zeiten oder über den Tag einzusammeln. Ein durchaus angenehmer Nebeneffekt für die Sender: Die Werbeeinnahmen stiegen.

Die Radiowerbung selbst ist endlich erwachsen geworden. Sie schreit die Zuhörer schon lange nicht mehr an, sondern begleitet sie, wie das Programm, über den Tag. Längst dominieren (Image-) Spots, die den Zuhörer fesseln und Audio-Werbe-Sendungen, die zum Zuhören einladen. Die Werbebranche hat das Phänomen Radio endlich verstanden.

 

Dritte These:

Noch mehr als die ehemaligen „elektronischen“ Medien hat sich Print verändert. Die meisten Menschen nutzen Print-Content auf iPads, eBooks und neuartigen, großformatigen „DiFos“: Digital-Folien, auf die sie die gewünschten, redaktionellen Angebote laden. Seit dem Niedergang der Großverlage liefern unabhängige, gut vernetzte Redaktionsbüros die begehrten Inhalte, teils lokal organisiert, teils auf (Special Interest-) Themen wie Sport, Politik, Wirtschaft oder Katzen spezialisiert. Sie erzeugen den Content, den früher regionale Zeitungen und die verschiedenartigsten Zeitschriften auf Papier lieferten. Die Zahl der Blogger (früher sprach man von „Verlegern“) hat sich in den letzten Jahren vervielfacht.

Digitaler „Print“-Content wird im Abo bezogen, wahlweise komplett oder ausgewählte Artikel. Gegen Aufpreis ist ein Ausdruck der „Zeitung“ oder „Zeitschrift“ möglich. Von dieser Renaissance der ehemaligen Print-Medien profitieren vor allem Wochenzeitungen und Special-Interest-Magazine. Ausgedruckt sind sie auch in „Print Malls“ zu erwerben, die Abertausende solcher Printmedien aus aller Welt in Minutenschnelle bereithalten. Diese neue Printnutzung konzentriert sich immer stärker aufs Wochenende, an dem sich überwiegend die gebildeten Verbraucher eine Auszeit („Sabadigital“) von ihren Screens gönnen. Immer beliebter werden auch Lese-Wochenenden, die gern in den ehemaligen, leer stehenden Gebäuden der Großverlage verbracht werden.

Die Werbung hat schnell erkannt, dass sie hier die wertvollsten Leser vor sich haben, die Print je besaß. Print hat, allen Unkenrufen aus den frühen 2010er-Jahren zum Trotz, tatsächlich überlebt.

 

Vierte These:

Den 360-Grad-Paradigmenwechsel leistete sich die Außenwerbung. Nachdem die Digitalisierung der Plakatflächen die wenigen Out Of Home-Anbieter fast an den Rand des Ruins brachte und sich Passanten und Autofahrer mithilfe von TiVo-Brillen gegen das digitale Geflimmere an jeder Straßenecke zur Wehr setzten, erlebte die Branche eine unerwartete Umkehr. Sie baute – bis auf wenige Ausnahmen – weite Teile ihrer Netze zurück, bietet nun praktisch als einziges Medium wieder die Vorteile des stehenden Bildes und verdoppelte damit ihre Werbeumsätze. Junge Mediengestalter, die nie zuvor die Schönheit eines ruhenden Bildes genießen durften, lassen sich umschulen. Die Michael-Schirner-Hochschule für Ruhende Bilder kann sich der Nachfrage kaum erwehren.

 

Fünfte These:

Die Online-Medien, natürlich nicht aus unserer Welt wegzudenken, erleben als Werbemedien ebenso ihre verdiente Renaissance. Nach dem Einbruch der Klickraten in den 2010er-Jahren und erst recht nach den öffentlichen Protesten gegen Online-Stalking (Targeting, Re-Targeting, Behavioral Targeting und der seinerzeitigen Steigerung ins Emotional- und In-Brain-Targeting) besann sich die Branche ihrer Verantwortung für Big Data. Sie kreierte neue Story Telling-Werbeformate, die Zielpersonen in ihre Werbewelten entführen. Diese Content-Formate erfreuen sich unter den Verbrauchern großer Beliebtheit und führten zuletzt wieder zu einem Online-Werbeanteil von nahezu zehn Prozent.

 

Sechste These:

Social Media, heute eines der größten Werbemedien, wächst immer weiter. Facebook, inzwischen abgelöst durch Where’sTheBeef und Who’sGotIt, sowie Twitter und Sina Weibo gehören zu den reichweitenstärksten Social-Plattformen weltweit. Inzwischen haben sich jedoch zahlreiche neue Networks entwickelt, die allen nur denkbaren Zielgruppen eine Heimat bieten. Sie machen es Werbekunden und Agenturen leicht, die gewünschten Communities aufzuspüren. Heutzutage sind die Hälfte aller Mitarbeiter in Kommunikationsabteilungen und Agenturen damit beschäftigt, mit ihren Zielgruppen aktiv zu kommunizieren und die Social Media mit Content zu bestücken. Content Marketing hat seinen Höhepunkt gewiss noch immer nicht erreicht.

 

Siebte These:

Die Werbe- und Mediaagenturen denken und konzipieren schon lange nicht mehr in und für Medien, sondern in und für Zielgruppen. Es hat zwar sehr lange gedauert, bis sich die Konzentration auf Zielgruppen-„Menschen“, auf ihre individuellen Wünsche, Bedürfnisse und Sehnsüchte durchsetzte, aber nun sind die Agenturen offenbar endlich in der realen Welt angekommen.

Dabei ist die digitale Transformation an den Werbe- und Mediaagenturen natürlich nicht spurlos vorübergezogen. Nach der Zerschlagung der weltweiten, börsennotierten Agentur-Networks ist es eine neuartige Vielfalt, die die Branche prägt. Crowd Sourcing ist nur eines der Stilmittel der Werber. Sie versammeln und vernetzen (endlich) die besten Talente weltweit um sich und haben damit eine neue Ära der Kreativität eingeläutet. Im gleichen Atemzug entstand auch ein neuer Typus Mediaagentur. Sie erlauben nur so viel Automation wie nötig, um der Datenflut Herr zu werden. Angetrieben werden sie jedoch von kreativen Köpfen, die für jeden Kunden unique, absolut individuelle Zielgruppen-Pakete entwickeln und schnüren.
Wir schreiben den 15. Februar 2020. Ich bin froh, dass unsere Medien- und Werbe-Branche diese Entwicklung genommen hat. Sie hat sich in den letzten zehn Jahren stärker verändert als je zuvor. Aber es macht wieder Spaß, Werbung zu machen. In der 2020er-Rangliste der begehrtesten Berufe sind „Werbeleute“ endlich wieder in den Top Ten. Weil man unsere Arbeit respektiert. Weil Werbung den Menschen anspricht und einen Nutzen bringt. Weil Werbung für sie einen Sinn ergibt. Und weil auch ihnen Werbung endlich wieder Spaß macht.
Crosspost von ufomedia’s posterous

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