#Fußball

“Schreib Zukunft”-Spot – Nike sieht die WM als Spektakel und Afrika nur per Satellit

von , 2.6.10

Die Fußball-WM in Südafrika steht vor der Tür – sie ist längst nicht nur sportlicher Wettkampf, globales Medienereignis und politisches Statement, sondern auch eine große Verkaufsveranstaltung. Das virale Marketing mit Videoclips ist nur eine von zahlreichen Strategien der „globalen Spieler“ auf dem Sportartikelmarkt.

Platzhirsch Nike (14,6 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2009), Verfolger adidas (10,4 Milliarden Euro) und „Underdog“ Puma (2,5 Milliarden Euro) nähern sich dem Turnier auf ganz unterschiedliche Weise. Dies zeigt sich zum Beispiel an den aufwändigen Videoclips, die im Vorfeld der WM produziert wurden und derzeit die Runde bei YouTube machen. Die größte Aufmerksamkeit wurde dabei dem dreiminütigen Nike-Spot „Schreib Zukunft“ zu Teil:


Größer direkt bei YouTube

Werbefilmerisch knüpft der Spot an einen WM-Klassiker aus den Nike-Studios an. Schon 1998 dribbelten sich in einem ähnlich furiosen Bilderbogen Romario, Roberto Carlos, Rivaldo und allen voran der damalige Superstar Ronaldo zu den sommerleichten Klängen von “Mas que nada” durch Flughafen-Absperrungen, düpierten wartende Passagiere ebenso wie überraschtes Wachpersonal und entlockten dem französischen “enfant terrible” (und Nike-Kollegen) Eric Cantona anerkennende Blicke.

Diesmal aber geht es um mehr. In der Regie des Hollywood-erfahrenen Alejandro Iñarritu („21 Gramm“, „Babel“) beschreibt der Kurzfilm die Folgen von Sieg und Niederlage für die Helden im Zeichen des „Swoosh“, dem Logo des US-amerikanischen Herstellers. Eine fulminante Bilderreise durch die Fußballwelt zeigt in kurzen Sequenzen Rooney, Ribéry und Co. wahlweise als umjubelte Helden oder am Boden zerstörte Verlierer. Bezeichnender Weise spielt der WM-Austragungsort hier keine Rolle, Nike verlässt sich auf die globale Präsenz von Stars, Sport und Marke, die auch im Spot selbst vor allem medial vermittelt wird – eine Parabel auf die Gesetze des sportiven Showbusiness, in dem gesehen werden beinahe wichtiger ist als siegen.

Entsprechend aufgeladen ist der Ankündigungstext im Blog auf der Nike-Website:

„Für die Nationalspieler ist die Zeit gekommen um ihren Namen in das Holz der ewigen Fußballgeschichte zu ritzen. Ein Pass, ein Zweikampf oder ein Freistoss können die Hoffnung einer ganzen Nation zerstören oder sie dazu veranlassen dir ein Denkmal zu bauen.“

Solche Sinnsprüche lesen auch Besucher der in ähnlicher Machart inszenierten Niketown-Geschäfte. In der Berliner Filiale stand kurz nach der Eröffnung 1999 “Die Zukunft des Sports liegt in den Herzen und Seelen junger Athleten” an der Wand, in New York hieß es „Survival of the Fittest, Strongest, Quickest“

Der Werbefilm ist temporeich und mit Liebe zum Detail inszeniert, mit spektakulären wie überraschenden Bildern – für viele Zuschauer und Kommentatoren im Netz schlicht und einfach: perfekt.

Doch hinter der glitzernden Oberfläche finden sich auch Ansatzpunkte zur Kritik. So notiert Jennifer Doyle im Blog „From a Left Wing: The Cultural Politics of Soccer“: “Der Nike-Clip ist aufgeblasen und gewürzt mit machohaften Elementen und Sexismus.“ In der Tat, Frauen spielen im Spot (fast) keine Rolle, sie sind lediglich nette Staffage in den Karriereträumen von Cannavaro, Rooney und Ronaldo.

Hier gibt es jedoch eine kleine Ausnahme – es ist vermutlich kein Zufall, dass Ronaldinhos Übersteiger lediglich zu Millionen von Facebook-Daumen, dem YouTube-Film eines Frauenfußballteams, oder einem farbenfroh präsentierten „Samba-Robics“-Video führen. Ein ironischer Seitenhieb auf den ein wenig ins fußballerische Abseits geratenen Brasilianer? Doch wie zum Trost versucht sich auch Basketball-Idol Kobe Bryant an den schlurfenden Bewegungen der dribbelnden Nike-Celebrity.

Die anderen Helden haben dagegen sehr viel „männlicher“ codierte Traumsequenzen vor Augen: Personality-Show im TV (Cannavaro), Ritterschlag (Rooney), Biopic und Denkmal (Ronaldo). Trotz solcher Zukunftsaussichten attestiert Werbe-Experte Jim Edwards dem Clip einen „magischen Realismus“, der gerade noch ernst genommen werden könne.

Dass es für Didier Drogba oder Franck Ribéry, deren Spielhandlungen auf dem Rasen von anderen Nike-Stars unterbunden werden, keine Szenarien gibt, liegt am Ausrüster der jeweiligen Nationalteams: Frankreich läuft in adidas auf, die Elfenbeinküste trägt Puma. Das im Clip gezeigte Abreißen eines Ribéry-Plakats ist somit auch eine Spitze gegen den Konkurrenten aus Herzogenaurach, denn ab 2011 trägt die „Equipe Tricolore“ den „Swoosh“ auf der Brust – für 42,6 Millionen Euro pro Jahr.

Ein „close reading“ des anspielungsreichen Nike-Bilderbogens, das sich problemlos noch fortsetzen ließe, liefert also zahlreiche Informationen über die Befindlichkeit des Unternehmens vor dem großen Turnier. Man kann Jim Edwards durchaus folgen, wenn er die große Anstrengung des Nike-Clips als den Versuch darstellt, adidas´ Position als offizieller WM-Sponsor zu untergraben: „Es ist ein weiterer Beweis dafür, dass man mit geschicktem Marketing sogar das größte Sportereignis der Welt „besitzen“ kann – ohne auch nur einen Cent dafür zu bezahlen.“ In der Tat – die WM wird in den drei Minuten nie explizit erwähnt. Lediglich in einer kurzen Einstellung, die einen TV-Satelliten zeigt, lässt sich mit etwas gutem Willen ein Teil der Silhouette des afrikanischen Kontinents erkennen.

Hier findet die vielleicht schärfste Abgrenzung zur deutschen Konkurrenz statt. Die Herzogenauracher ziehen in ihren zur WM gestarteten Produktlinien kulturelle Verbindungslinien nach Afrika – adidas unter anderem mit dem WM-Ball „Jabulani“, der Elemente der südafrikanischen Landesgeschichte aufnimmt, Puma mit dem „African Unity Kit“, einem Gemeinschaftstrikot für die vier Teams aus Algerien, der Elfenbeinküste, Ghana und Kamerun. Nike konzentriert sich auf die mediale Verwertung des firmeneigenen Star-Potenzials. Das ist zwar konsequent, zeigt aber auch, das man bei Nike vor allem auf Zahlen schaut, wenn man die Zukunft schreiben möchte.

Hinweis: Christoph Bieber ist zwar Politikwissenschaftler, hat sich aber auch schon einmal ausführlicher mit Turnschuhen und anderen Sportartikeln auseinandergesetzt. Vgl. www.sneaker-story.de.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.