#Demokratie

Raus aus der Komfortzone des Hasses

von and , 13.11.15

Wählen und Diskutieren – dies sind die zwei zentralen Beteiligungsmechanismen unserer Demokratie im 21. Jahrhundert.

Ums Wählen steht es nicht gut – weder in Deutschland noch im großen Rest Europas. Doch auch was Diskussionen angeht sieht die Lage alles andere als rosig aus. Sicher, in den Feuilletons werden gesellschaftspolitische Debatten ausgetragen. Aber wie steht es um die Beteiligung des normalen Bürgers an Fragen zur Zukunft unserer Gesellschaft?

Die Menschen haben keine Zeit für Politik, heißt es. Man müsse für den Bürger Politik machen – das ist das, was er wolle. Ansonsten heißt es: ihn in Ruhe lassen und dafür sorgen, dass alles zumindest einigermaßen ordentlich läuft. Und Frau Merkel sagt ja, sie kümmert sich. Na dann, weiter so, wie sich die PR-Teams von Merkel und den anderen Spitzenfunktionären die politischen Debatten vorstellen. Groß in Frage gestellt wird diese Praxis nicht.

Manche sagen auch: Es sei gar nicht wünschenswert, dass sich der einzelne – wohlmöglich gar ungebildete – Bürger in politischen Diskussionen beteilige. Was entscheidend sei, ist die Stimmung im Lande zu kennen – das ZDF-Politbarometer und andere Umfragen ermöglichten schließlich einen Eindruck vom Willen des Volkes. Wozu noch diskutieren, wenn man in Grafiken und Tortendiagrammen alles Wissenswerte von den Demoskopen zusammengestellt bekommt. Dann kann ja die Bürokratie im Kanzleramt und in den Ministerien loslegen – während die Parteizentralen zugleich weiter fleißig Diskussionspapiere schreiben, die außer den Hauptstadtjournalisten und ein paar Politiknerds keiner liest.

Wozu also Bürgerbeteiligung über den reinen Wahlakt hinaus? Diese Haltung ist immer noch Mainstream. Was wir eigentlich bräuchten, seien schlicht Anreize für höhere Wahlbeteiligung – das ist die Schlussfolgerung der rational-liberalen Demokratieverbesserer.

Aber sind höhere Zahlen für unsere Statistiken wirklich das, was wir brauchen? Oder geht es nicht viel mehr auch darum, das hinter einem gemachten Kreuz eine politische Überlegung steht – im Idealfall eine, die sich aus einer politischen Diskussion ergeben hat?

Wählen und Diskutieren sollten nicht als konkurrierende, sondern als komplementäre Formen von Bürgerbeteiligung verstanden werden. Die Misere der geringen Wahlbeteiligung – insbesondere bei sozial schwachen Schichten – und mangelnde Beteiligung an politischen Diskussionen gehen Hand in Hand.

Was wir brauchen, sind neue Diskussionsformate – insbesondere solche, die eine Vielzahl von Menschen aus allen sozialen Milieus abholen können. Wir sind der Überzeugung, dass Town Hall Meetings im deutschen Fernsehen ein mögliches Format sein könnten.

Ein Town Hall Meeting ist eine klassische politische Institution, die jedoch weitestgehend in Vergessenheit geraten ist. Die Idee: Die Bürger eines politischen Gemeinwesens treffen sich und diskutieren über Dinge, die alle betreffen.

Der Unterschied zu den heute gängigen Polit-Talkshows liegt auf der Hand: Unsere politischen Eliten müssen sich hier mit den tatsächlichen Ideen, Problemen und Lebenswelten der durchschnittlichen Bevölkerung auseinandersetzen. Im medialen Town Hall Meeting diskutieren die Bürger miteinander und mit Politikern. Die Politiker sind dadurch verpflichtet zum aufmerksamen Zuhören und zu verständlichen Antworten.

Von manchen Bürgern wird man auch Ressentiments und Egoismen hören. Das gilt es auszuhalten. Gerade in solchen Diskussionsrunden, wo man Face-to-Face einander gegenübersteht und miteinander debattiert, kann man Äußerungen problematisieren. Hier kann man nicht vor den Gegenargumenten fliehen wie in der virtuellen Welt. Hier gibt es keine Komfortzone des Hasses, sondern Gegenwind, dem man sich stellen muss.

Die Teilnehmer an medialen Town Hall Meetings werden im Idealfall Wertschätzung erfahren. Sie – und die Zuschauer – könnten merken, dass ihre politische Meinung auf Interesse stößt und Relevanz hat. Nur so können mehr Menschen für Politik und Demokratie gewonnen werden. Wer das Gefühl hat, gehört zu werden, der wird seine Stimme erheben. Daran haben wir keinen Zweifel.

 

Nils Heisterhagen hat Anfang der Woche die Studie „Bürgerbeteiligung im Fernsehen – Town Hall Meetings als neues TV-Format?“ bei der Otto-Brenner-Stiftung veröffentlicht. 

 


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