#öffentlich-rechtlicher Rundfunk

Stadelmaier: “Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff ist technologieneutral”

von , 3.8.10

Martin Stadelmaier, Chef der Staatskanzlei von Kurt Beck und damit Chefkoordinator der Medienpolitik der Länder, zeigt wenig Sympathie für eine Einschränkung öffentlich-rechtlicher Online-Angebote aufgrund zu hoher “Presseähnlichkeit”. Das typische Online-Angebot mit seiner Multimedialität, gestaffelter Angebotstiefe, Links und inaktiven Elementen sei aus seiner Sicht nicht presseähnlich. Der Online-Journalismus habe seine eigenen Gestaltungsformen ausgeprägt – die Rundfunkanstalten könnten daher nicht auf “rundfunktypische” Darstellungsformen begrenzt werden.

“Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff ist also technologieneutral”, sagte Martin Stadelmaier dem Fachmagazin promedia. Die Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks spreche “gegen ein generelles Verbot textbasierter Angebote.”

Für presseähnlich hält Stadelmeier nur solche Online-Angebote, die dem Nutzer nahelegen, “dass er sich dem Angebot wie einer Zeitung zuwendet.” Wichtig seien daher Gestatungsmerkmale wie Text/Bildkombination, Spaltensetzung und eine abgestufte Text- und Überschriftengestaltung.

Stadelmaier pflichtet dem jüngst veröffentlichten Gutachten von Hans-Jürgen Papier bei: “Professor Papier hat meines Erachtens Recht. Entscheidend ist für den verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff die publizistische Wirkung für die öffentliche Meinungsbildung.” Auch Online-Dienste seien verfassungsrechtlich als Rundfunk zu betrachten und würden daher dem besonderen Schutz unterfallen.

Entscheidend sei, dass die neuen Online-Angebote “in ihrer massenkommunikativen Wirkung klassischen Rundfunkangeboten gleichkommen”, so Stadelmaier. So gesehen seien letztlich weite Teile des publizistischen Internets auch als Rundfunk zu betrachten.

Auszug aus dem promedia-Interview von Helmut Hartung mit Martin Stadelmaier:

Hartung: Ein Gutachten von Hans-Jürgen Papier zur „Presseähnlichkeit“ von Presseangeboten hat das Ergebnis gebracht, dass sich das Wettbewerbsverbot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf eng umgrenzte Bereiche, die gewissermaßen als „Kerngeschäft der Presse“ anzusehen seien, reduziere. Legt der 12. Rundfunkstaatsvertrag damit das Wettbewerbsverbot nicht zu eng aus? Muss der Online-Auftrag vielleicht sogar erweitert werden?

Stadelmaier: Eine rundfunktypische Kombination wird es im Netz nicht geben.

Martin Stadelmaier: Eine Einordnung der unterschiedlichen Auffassungen zur „Presseähnlichkeit“ wird dadurch erschwert, dass es für diese Differenzierung in der Praxis des Online-Journalismus keine Entsprechung gibt. Zwar unterscheiden sich die Angebote graduell und sind – meist ausgehend vom Erfahrungshintergrund des Anbieters – eher audiovisuell oder eher textlich orientiert, der Online-Journalismus hat aber seine eigenen Gestaltungsformen ausgeprägt.

Jedenfalls erscheint die Auffassung, nur die unveränderte Wiedergabe von gedruckten Zeitschriften und Zeitungen im Internet sei erfasst, als eng. Dies gilt anders herum auch für die Auffassung, es komme allein auf den Schwerpunkt in der textlichen Darstellung an. Die Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks spricht gegen ein generelles Verbot textbasierter Angebote. Auch die Auffassung, es müsse eine rundfunktypische Kombination von Text, Ton und Bild vorliegen, um nicht in die Reichweite des Verbots zu geraten, scheint nicht plausibel, da es eine rundfunktypische Kombination im Netz nicht geben wird.

Weiterführend halte ich daher eine Orientierung an den Gestaltungsmerkmalen von Zeitungen und Zeitschriften. Charakteristisch dafür sind Text/Bildkombinationen, die eine Spaltensetzung kennen, zudem unterschiedlich gestaltete Überschriften und unterschiedliche Satzgrößen. Es geht also um Gestaltungsmerkmale, die für den Nutzer nahelegen, dass er sich dem Angebot wie einer Zeitung zuwendet.

Dazu kann auch gehören, dass das Angebot so gestaltet ist, dass die Texte den Rezeptionsmodus prägen, so dass die Textdominanz mittelbar doch eine Rolle spielen kann. Die für Online-Angebote typische Multimedialität sowie gestaffelte Angebotstiefen, Links und interaktive Elemente sprechen gegen eine Presseähnlichkeit.

Dabei möchte ich betonen, dass das Verbot presseähnlicher Angebote damit keineswegs ins Leere läuft, denn es verbietet einen Entwicklungspfad hin zu presseähnlich gestalteten Diensten. Dass es um diesen Entwicklungspfad geht, belegt die Begründung zum Staatsvertrag, in der von „Tendenzen“ die Rede ist.

Gleichzeitig hat das Gutachten von Papier ergeben, dass verfassungsrechtlich „Internetangebote, bei denen Texte, Bilder, Töne etc. als Datei vorliegen und über ein Netz abrufbar sind, grundsätzlich als Rundfunk zu qualifizieren“ seien. Hat das nicht entscheidende rundfunkrechtliche Konsequenzen zur Bewertung von Online-Angeboten der Presse und auch für Fragen der Rundfunklizenzen?

Prof. Papier hat meines Erachtens recht. Entscheidend ist für den verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff die publizistische Wirkung für die öffentliche Meinungsbildung. Die Sonderrolle des Rundfunks liegt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft begründet. Die besondere Suggestivkraft ergibt sich aus der Kombination von Bewegtbild, Text und Ton, die dem Medium Rundfunk und seinen Informationen eine besondere Authentizität verleihen.

Für die Verbreitung von Rundfunk kommen insofern sämtliche fernmeldetechnischen Übertragungswege in Betracht. Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff ist also technologieneutral. Auch das Internet stellt daher einen geeigneten Verbreitungsweg für Rundfunkdienste dar. Auf die Gleichzeitigkeit des Empfangs und die Einbindung in ein zeitliches Programmschema kommt es dagegen nach der verfassungsrechtlichen Definition nicht an. Das hat zur Konsequenz, dass auch neuartige Dienste – wie z.B. Zugriffs- und Abrufdienste – dem verfassungsrechtlichen Schutz unterfallen können.

Nicht alle Dienste, die von dem verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff erfasst werden, unterliegen jedoch ein- und derselben einfachgesetzlichen Regulierung. Das Bundesverfassungsgericht hat den Ländern vielmehr die Möglichkeit eröffnet, bestimmte Dienste aus dem weiten verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff auszunehmen und wegen geringerer Meinungsrelevanz einer liberaleren Regelung zu unterwerfen. Diese Dienste sind zwar Rundfunk im verfassungsrechtlichen Sinn, fallen aber aus der Definition des einfach-gesetzlichen Rundfunkbegriffs heraus. Seit Inkrafttreten des 9. Rundfunkänderungsstaatsvertrags differenziert der Staatsvertrag insofern zwischen Rundfunk und Telemedien.

Mit den im 12. und 13. Rundfunkänderungsstaatsvertrag enthaltenen neuen Begriffsbestimmungen und Regelungen wurde der einfachgesetzliche Rundfunkbegriff zudem kürzlich modifiziert und die Vorgaben der EU-Mediendiensterichtlinie in nationales Recht umgesetzt.

Mit der Definition von Rundfunk als linearem Informations- und Kommunikationsdienst und der Bestimmung für „fernsehähnliche Telemedien“ wird die in der Mediendiensterichtlinie vorgenommene Unterscheidung zwischen linearen und nicht-linearen audiovisuellen Mediendiensten und die daran anknüpfende abgestufte Regulierungsdichte in deutschem Rundfunkrecht abgebildet. Ausweislich der Begründung zum 13. Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist maßgebliches Merkmal dieser fernsehähnlichen Abrufdienste, dass sie auf das gleiche Publikum wie Fernsehsendungen ausgerichtet sind und der Nutzer aufgrund der Art und Weise des Zugangs zu diesen Diensten vernünftigerweise einen vergleichbaren Regelungsschutz erwarten kann.

Die Regeln für audiovisuelle Mediendienste auf Abruf sind daher nicht auf Online-Angebote der Presse, die nur am Rande audiovisuelle Elemente enthalten, anwendbar. Allerdings ist der einfach-gesetzliche Rundfunkbegriff entwicklungsoffen und bietet hinreichend Anpassungsmöglichkeiten an zukünftige Veränderungen. Entscheidend ist dabei stets, ob (neue) Angebote in ihrer massenkommunikativen Wirkung klassischen Rundfunkangeboten gleichkommen. Insofern ist in der Zukunft keineswegs ausgeschlossen, dass Angebote, die heute noch der Telemedienregulierung unterliegen, in das strengere Rundfunkregime hineinwachsen.

Dies ist ein Ausschnitt aus einem Interview, das Helmut Hartung mit Martin Stadelmaier geführt hat. Es erschien unter dem Titel “Die Entwicklungsgarantie des öffentlichrechtlichen Rundfunks spricht gegen ein Verbot textbasierter Angebote” im medienpolitischen Fachmagazin promedia, Ausgabe 08/2010, das mit Carta kooperiert.

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