#Beratung

Politikberatung ernährt sich davon, Illusionen zu füttern

von , 27.3.13

Politik kann es richten und Berater wissen wie. Diese beiden Prämissen der Debatte über Politikberatung sind Garanten für wachsende Politikverdrossenheit.

Es beginnt schon mit der Redeweise „Politik und Gesellschaft“. Eine Formulierung wie „Katzen und Tiere“ oder „Birken und Bäume“ wird sofort als verquer, als irgendwie falsch empfunden. „Politik und Gesellschaft“ nehmen wir hin, als sei Politik etwas anderes, etwas neben, außerhalb, vielleicht sogar über der Gesellschaft. Eine lange historische Tradition, in welcher Herrscher von Gottes Gnaden über allen thronen, und eine große philosophische Lehre, die den Staat als Wirklichkeit der sittlichen Idee feiert, tragen dazu bei, heute etwas ganz Einfaches zu übersehen: Die Politik ist genau so ein Funktionsfeld der modernen Gesellschaft wie die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Öffentlichkeit und andere. Alles, was das politische System unternimmt und unterläßt, geschieht in der Gesellschaft. Die Politik ist auch nur eine Figur im Spiel, nicht dessen Regisseur.

Wenn man diese Voraussetzung akzeptiert, wird man vorsichtiger mit seinen Ansprüchen an das politische Personal. Die nassforsche Naivität beispielsweise der rot-grünen Schröder-Regierung, die antrat, um die Dinge mal eben zu richten – herausgekommen sind Hartz-IV, Riesterrente und die Deregulierung des Finanzsektors – hat die Funktionsbedingungen moderner Politik weniger begriffen als die amtierende Kanzlerin. Es ist schmerzhaft, und es scheint die stolze Botschaft der Aufklärung zu verletzen: „Die Menschen machen ihre Geschichte selbst“; aber die moderne Gesellschaft, egal, ob wir sie national oder global definieren, hat keine zentrale Steuerungsinstanz.

Sobald eine – in diesem Fall dann immer: die – Partei so tut, als säße sie tatsächlich am Ruder, führt es in die Barbarei. Zentrale Steuerung ist in funktional differenzierten Gesellschaften nur als temporärer Terror möglich. Die normale Entwicklung unserer Gesellschaft läuft über sehr viele verschiedene Entscheidungen in vielen verschiedenen Organisationen in mehreren verschiedenen Funktionsfeldern. In diesem dezentralen, führerlosen, ergebnisoffenen Sinn machen die Menschen ihre Geschichte tatsächlich selbst.

Strukturell liegt die Verantwortung in vielen Händen. Der Ruf nach einer gesellschaftlich verantwortlichen Unternehmensführung trifft einen wichtigen Punkt; er wäre zu ergänzen mit dem Ruf nach gesellschaftlich verantwortlicher Arbeit und nach gesellschaftlich verantwortlicher Lebensführung. Diese Praxis von großen Organisationen und reichen Personen ist jedenfalls eine Lebenslüge: Jeden eigenen Vorteil, koste es die Gesellschaft, was es wolle, voll auszuschöpfen, anschließend die Politik für die Beseitigung der Folgen zuständig zu erklären und sich selbst mit irgendeiner Spende als Wohltäter zu profilieren. Die Kritik am Versagen der Politik wird getragen von einem unerträglichen Gestus der Selbstgerechtigkeit der tatsächlich Versagenden.

Gewiss hat die Politik eine sehr spezielle Funktion. Sie und nur sie trifft kollektiv verbindliche Entscheidungen. Wissenschaft, Wirtschaft, Massenmedien können keine Gesetze erlassen. Aber wenn sich die Bürger dieser Welt um etwas gekümmert haben, dann genau darum, dem Staat die Möglichkeit der willkürlichen Intervention in ihren Angelegenheiten zu nehmen. Menschen- und Grundrechte, Gewaltenteilung, die Spaltung der Spitze in Regierung und Opposition, Föderalismus, die Abwählbarkeit der Regierung, alles ist darauf ausgerichtet, die kollektiv verbindlichen Entscheidungen unter Kontrolle zu halten.

Es hätte ja auch keinen Sinn, sich Freiheit als wichtigsten Wert auf die Fahnen zu schreiben und zugleich eine (Staats-)Instanz einzurichten, welche alle Entscheidungsfreiheiten bei sich monopolisieren kann. Wie sie im konkreten Fall entscheidet, ist das kleinere Problem der Politik. Vorgelagert ist dem stets die große Frage: Worüber soll die Politik überhaupt entscheiden, und welche Entscheidungen soll sie in der Freiheit der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Presse, des Rechts etc. belassen?

Gute Politikberatung hätte als ihre erste und größte Aufgabe, den Teufelskreis zwischen falschen Erwartungen und falschen Versprechungen zu durchbrechen. In diesem Teufelskreis ist das Ansehen der Politik auf den Hund gekommen.

Was findet faktisch statt? Unternehmen, Betriebe und Banken, Verbände und Vereine, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Kirchen etc. treffen Entscheidungen – und feiern ihre Erfolge als ihre Erfolge, sofern diese Entscheidungen gute Ergebnisse zeitigen. Sobald etwas schief geht, spätestens, wenn es in Krisen und Katastrophen mündet, werden die Probleme der Politik vor die Türe gekehrt.

Dieselbe Politik, die sich vorher mit guten Gründen herauszuhalten hatte, ist jetzt aufgefordert, möglichst schnell und möglichst ohne jemandem auf die Füße zu treten, die Welt wieder in Ordnung zu bringen. Medienkommentare, Presseerklärungen und Stammtischreden überbieten sich darin, der Politik die Probleme in die Schuhe zu schieben, die auf den anderen Funktionsfeldern der Gesellschaft produziert wurden. Die Experten haben Mist gemacht, jetzt sollen es die Politiker zum Guten wenden. Und die Politik, gefangen im Parteienwettstreit um Wählerstimmen, erklärt sich für zuständig, gibt Versprechungen ab und enttäuscht die Erwartungen solange, bis nur noch Enttäuschungen von ihr erwartet werden.

Statt den Verbesserungseifer der Politik anzuheizen, hätte Politikberatung auf Realitätsdiagnosen umzuschalten. Aber tatsächlich begibt sich die Politikberatung selbst in diesen Sog der Allzuständigkeit und macht sich anheischig, die Politik in die Lage zu versetzen, ihre Versprechungen zu halten. Schlechte Politikberatung ernährt sich davon, Illusionen zu füttern. Die naheliegende Konsequenz tritt gerade ein: Nachdem die öffentliche Debatte an der Politik kein gutes Haar mehr findet, stürzt sie sich jetzt auf die Politikberatung, welche die Politik gefälligst besser beraten soll. Ersatzweise stehen noch Lobbyisten und Journalisten als Sündenböcke zur Verfügung; die einen verhindern und die anderen tun nicht genug dafür, dass die Politik die an sie gerichteten Erwartungen erfüllt.

Es sind aber, wenn man das Licht der Analyse einschaltet, die falschen Erwartungen. Der Streit über bessere oder schlechtere Politik bleibt notwendig. Aber der Streit über verantwortliches oder unverantwortliches Wirtschaften, über gute oder zerstörerische Arbeit, über sinnvolle oder irrsinnige Wissenschaft, über aufklärende oder verführende Medien, über emanzipierende oder dressierende Bildung, über gesunden oder gedopten Sport muss sehr viel intensiver geführt werden, und zwar von den Ökonomen, den Arbeitskräften, den Wissenschaftlern, den Medienleuten, den Lehrern und Schülern, den Sportlern – nicht (nur) von der Politik.

Die Organisationen der Gesellschaft, von den Unternehmen über die Schulen bis zu den Kasernen werden lernen, die Folgen ihrer Entscheidungen für die Gesellschaft mit zu berücksichtigen – oder eben nicht. Die Politik kann das Verantwortungsbewusstsein fördern und die Rahmenbedingungen verbessern, aber bessere Entscheidungen müssen die Organisationen und die Personen selbst treffen.

Man kann nicht jedem Profit nachjagen, jeden Karrieresprung mitnehmen, jeden schäbigen Job ausführen, jeden Machtspielraum zu seinen Gunsten nutzen, jeden Sieg davontragen und gleichzeitig gerechte Lebensverhältnisse, eine intakte Umwelt, soziale Sicherheit haben wollen. Darüber offen zu reden, sollte die Politikberatung der Politik raten.

 

Politikberatung hat Konjunktur. Die Diskussion über Beratung auch. Das hat auch etwas mit der Konturlosigkeit des Begriffs zu tun. So steht das Schlagwort „Beraterrepublik“ für den Einfluss von Lobbygruppen, Kommunikations-Agenturen und Unternehmensberatungen. Gleichzeitig hat nicht zuletzt die Finanzkrise Zweifel an der Qualität wirtschaftswissenschaftlicher Experten ausgelöst.

In einer kleinen Serie veröffentlicht Carta Positionen von Gastautoren, die Politikberatung als Auftraggeber, Berater oder Beobachter kennengelernt haben – zwischen Mythos, Macht und Machbarkeitsglaube. Zum Thema gab es am 7. März auch einen Carta Diskurs.

 

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