von Matthias Krämer, 23.7.13
Im ersten Teil habe ich mich der Frage gewidmet, ob man noch Journalist ist, wenn man Öffentlichkeit über Geheimes herstellt. Der zweite Teil führte die Debatte über Werte im Journalismus auf die Frage nach seiner ökonomischen Grundlage zurück. Nun will ich an einem Beispiel erläutern, wie sich Politik und Politikberichterstattung verändern müssen, wenn die Öffentlichkeit von ihrer Warenform entkleidet wird. Denn der Wert1volle wert2freie Journalismus (zu den Indexziffern siehe den zweiten Teil) hängt mit jener bestimmten Form von Politik zusammen, der die wachsende Politikverdrossenheit gilt.
Hannah Beitzer arbeitet nach dem Ende ihres Volontariats bei der Süddeutschen Zeitung ziemlich ausschließlich ebendort als freie Journalistin. Sie gehört zu der jungen Generation von Journalismus-Profis, der die ökonomische Basis zu entgleiten droht, wie die Analyse im zweiten Teil erläutert. Am 8. Juli weckte Beitzer durch eine Diskussion schlechter Umfragewerte der Piratenpartei deren Unmut. Denn sie stellte “Überzeugende Aktivisten” der Piraten den dort angeblich fehlenden konventionellen Politikern gegenüber. Besondere Beachtung verdient bei der Interpretation von Beitzers Haltung dieses Wort:
“Vertrauenszuschuss”
Es handelt sich um ein sehr ungebräuchliches Wort, das irritiert. Das gebräuchliche Wort, das da stattdessen hingehört, ist
Vertrauensvorschuss.
Die Leserkommentare gehen teilweise darüber hinweg und beziehen sich einfach auf einen “Vertrauensvorschuss”, doch die Bedeutungen könnten unterschiedlicher nicht sein. Wenn die Wähler den Piraten “einen enormen Vertrauenszuschuss” geben müssten, um sie zu wählen, bedeutet das, dass man ihnen mehr Vertrauen entgegenbringen müsste, als die Piraten verdienen oder als ihnen zusteht.
Einen Vertrauensvorschuss hingegen erteilt jeder Wähler bei jeder Wahl kraft seiner Stimmabgabe, denn ob die Gewählten das Vertrauen rechtfertigen können und die Gegenleistung des Vorschusses erbringen, ist zu diesem Zeitpunkt ja noch völlig offen. Um überhaupt eine Partei zu wählen, muss man ihr also einen Vertrauensvorschuss gewähren. (Und viele Menschen sind dazu nach einer Reihe von Enttäuschungen gar nicht mehr bereit – sie werden Nichtwähler.)
Beitzers These vom “Vertrauenszuschuss” lautet nun, dass die Piraten nicht nur kein Vertrauen, sondern nicht einmal einen Vertrauensvorschuss verdienen. Sie sind aufgrund von “Skandalen und Skandälchen” keine wählbare Partei, führt Beitzer damit indirekt aus. Doch ganz im Gegensatz zu dieser Diagnose fällt ein weiteres Wort Beitzers auf:
“Alternative”
Sie meint:
“Das reicht nicht, damit sich die Piraten in den Köpfen der Menschen von der Chaostruppe in eine ernstzunehmende politische Alternative verwandeln.”
Das Verlangen Beitzers nach einer politischen Alternative nimmt das Lebensgefühl auf, das aus der ganz großen Koalition mit ihren grün-gelben Appendizes entstand und 2010 im Unwort des Jahres kondensierte: alternativlos. Die Piraten sollen demnach die Alternativlosigkeit einer stillgestellten Politik aufbrechen, die als mitverantwortlich für grassierende Politikverdrossenheit gilt. Es gibt auch noch eine andere Kleinstpartei, die explizit mit solchen Ansprüchen kokettiert.
Was nun Beitzer durch ihre Gegenüberstellung von Aktivismus und klassischer Parteipolitik behauptet, ist dies: Aktivisten können sich glaubwürdig und sachkundig für eine Sache einsetzen, können werben und Menschen überzeugen, können wichtige Positionen angemessen vertreten. “Aber gehören sie und ihre Partei tatsächlich in den Bundestag?”
Für Beitzer nicht, denn schließlich seien Aktivisten keine Politiker: Politiker streiten nicht untereinander, sie sagen sich nicht offen ihre Meinungen (und wenn, dann sorgsam inszeniert), und sie verraten auch der Öffentlichkeit nicht, was sie denken. Anders als bei etablierten Parteien gebe es bei den Piraten persönliche Machtkämpfe und politisch bedeutungsloses Klein-Klein. Darüber hinaus fehle ihnen ein Parteiapparat, der die Basis auf Linie der “Führungspersönlichkeiten” bringt (oder doch umgekehrt?).
Ich weiß weder, wo Beitzer etwa bei der SPD einen Einklang von Parteispitze und Basis erkennen will, noch, wie sie die Machtkämpfe und das inhaltsleere Klein-Klein in der Union übersehen kann. Ihr Blick auf die Piraten wirkt wie ein Beispiel für die von Stephan Ruß-Mohl konstatierte “Fernsteuerung des Journalismus durch bestens ausgerüstete Stäbe und Agenturen für Öffentlichkeitsarbeit”, die auf persönliche Kompetenzgrenzen von Journalisten setzen, um ihre PR-Botschaften unbemerkt in unabhängige Berichterstattung umwandeln zu lassen. Wie sollen Journalisten das Publikum orientieren, die selbst gar nicht mehr genug Zeit haben, um ihren eigenen Orientierungsbedarf zu stillen? Doch dieses Problem liegt, wie Ruß-Mohl feststellt, im blinden Fleck des Journalismus.
Die Entwicklung, an deren Ende vom Idealbild des bürgerlichen Journalismus nur noch eine verklärte Erinnerung bleibt (siehe dazu den ersten Teil), ist bereits im vollen Gange. Der von Medienprofis häufig geäußerte Glaube, dass sie irgendwie aufzuhalten sei, erscheint mir wie die Hoffnung des Kutschers, diese Automobile seien eine Mode, die er durch schnellere oder schönere Pferde bekämpfen könne. Auch die Politik muss sich rasch an diese umstürzenden Verhältnisse anpassen, um ihre Funktionsfähigkeit zur demokratischen Gestaltung und Legitimierung von Entscheidungsprozessen nicht weiter zu vermindern. Der neuartige Umgang der Piraten mit der Öffentlichkeit ist ein solcher Anpassungsversuch.
Beitzer verkennt daher den Sachverhalt, dass Piraten bereits nicht nur als Polit-Aktivisten tätig sind, sondern auch als Journalismus-Aktivisten: Gerade, weil so wenige Journalisten zur Verfügung stehen, die das politische Agieren der Piraten als Politik neuen Typs begreifen und dem Publikum vermitteln, während viele stattdessen die Andersartigkeit der Piraten als Defizit gegenüber anderen Parteien deuten, gerade deshalb sehen sich viele Piraten gezwungen, selbst Öffentlichkeit herzustellen.
Die direkte Kommunikation untereinander und mit potentiellen Wählern findet im Internet statt. Dieses Kommunikationsangebot (ja, tatsächlich bidirektional) erreicht freilich nicht alle.
Gerade klassischen Journalisten dürfte es suspekt sein, dass Piraten sich nicht wie konventionelle Politiker auf ihre Vermittlungsdienste stützen. Die Andersartigkeit aber zu ignorieren und die Piraten für angebliche Untätigkeit nach herkömmlichen Politikermaßstäben zu schelten, provoziert weiteren Unwillen auf Seiten der Piraten, und motiviert sie dazu, wie etwa jüngst den NRW-Landtagsabgeordneten Daniel Schwerd, die klassischen Medien als Vermittlungsinstanzen zu übergehen.
Fazit
Im Dreiteiler zur Zukunft von Öffentlichkeit als Beruf habe ich aufgezeigt, dass “Aktivismus” von den Profis in Journalismus und Politik zwar verschmäht wird, zumal er die wirtschaftlichen Grundlagen ihrer eigenen Berufe untergräbt. Dennoch weitet sich die Bedeutung dieser Arten von “Aktivismus” aus. Das wie David Carr auf die Struktur einer zersplitterten Medienwelt zurückzuführen, in der alle selbst Sender sein können, ist wohl nicht zu gewagt. Daher gibt es vor dieser Entwicklung kein Entrinnen.
Die Herausforderung lautet, diese Entwicklung positiv zu gestalten. Das schließt Konzepte dafür ein, wie die Gesellschaft mit Medienunternehmen und ihren Mitarbeitern umgehen kann, wenn keine Alternative zur Abwicklung mehr bleibt. Noch viel weitreichender ist aber der Bedarf an Möglichkeiten, sich in Politik und Öffentlichkeit zu engagieren, ohne damit Geld zu verdienen. Solche Chancen breit zu verteilen, ist notwendig, um eine lebendige Öffentlichkeit zu verwirklichen, die ihren Machern – uns allen – nicht mehr in Warenform entgegentritt.
Hier geht es zum ersten Teil, hier zum zweiten.