#Social Media

Plattformen und Plattform-Politik

Der Exodus aus Facebook, den Vertrauensverlust und nachlassende Bindung können wir als eine Chance begreifen, die Plattformen zu ändern. Wenn wir es dieses Mal nicht repariert bekommen, dann müssen wir uns mit der Nachfolgeplattform auseinander setzen.

von , and , 22.3.18

Stefan Heidenreich: Geert Lovink, Pit Schultz – warum genau wird die Cambridge-Analytica- und Facebook-Affäre noch einmal aufgerollt? Die vergangenen Monate ging es schon darum, Facebook aus dem Politikgeschäft herauszudrücken. Nicht unbedingt bedauernswert. Aber worum geht es nun?

Geert Lovink: Es geht um die Zukunft der Politk und eine Veränderung der Vermarktungs-Taktik, von der politischen Klasse gewollt, mit Micro-Targeting von Wählern im Kampf um die Sätze. Wie die Channel4-Videos zeigen, geht die Arbeit solcher Beratungsfirmen in zwei Richtungen: eine Agenda zu setzen, also indem man Werbung und Videos produziert, auch mit dem Ziel Gegner zu schädigen, und um Stimmenfang im Zeitalter von Social Media. Cambridge Analytica hat beide Services im Angebot, aber sie hängen nicht unbedingt zusammen. Wie auch immer die gegenwärtigen Versuche ausgehen, Facebook zur Verantwortung zu ziehen, beide Taktiken werden bleiben. Das digitale Zeitalter ist eines endloser Manipulationen. Lokal und personalisiert zu agieren sind zentrale Dienstleistungen und keine Unfälle.

Pit Schultz: Das Channel4-Video zeigt Kriminelle bei ihrer alltäglichen Arbeit. Das macht sich vor dem Post-Brexit-Blues bestens, zwischen Whistleblowern und der Schlangenöl-Schmierigkeit dieses Oberklassen-Kids namens Nix. Eine Art von reality soap als perfektes Gegengift gegen die halboffizielle Kriegstreiberei der neuen Konservativen, die alles auf den bösen Russen schieben. Die zersplitterten Meinungsbilder, die das Daten-Direktmarketing anspricht, haben wohl offenbar eher dem Wählerprofil entsprochen als die großen Linien der Identitätspolitik, auf die sich die Demokraten verließen. Die Kleinteiligkeit ist Teil der »Facebook Devolution«, die die einzelnen Nutzer manipulierbarer und vorhersagbarer macht. Eine Seite sieht sich laufend in den Echoräumen der Freundschaft bestätigt, die andere wird geschwächt, um von allen möglichen Werbungen irgendwohin »genudged« zu werden.

SH: Was haben wir zu erwarten? Mehr KI, verschiedene Plattformen, »post-facebook«?

GL: Was wir schon jetzt sehen, ist mehr nationale Regulierung. Die Idee von Sozialen Medien als grenzenlose globale Plattformen ist vorbei. Jetzt gelten sie als nationale Schlüsselstellen und strategische Datenknoten. Zuckerberg hat schon angekündigt, dass er die Rolle des newsfeeds reduzieren und Nachrichten von der Community separieren will. Die vorsätzliche Vermischung beider war natürlich genau das, was Werber, Politiker und Medien am meisten interessiert hat. Jetzt müssen sie sich nach anderen Geschäftsmodellen umsehen. Die große Mehrheit der Nutzer weiß nicht, was passiert, aber die politische Klasse und die Medienexperten haben das Heft in die Hand genommen, und Facebook kann das kaum ignorieren.

PS: Regulierung mag national sein, aber die Ideologie von Facebook ist noch global. Zuckerberg muss nicht nur dem US-Senat Rede stehen, sondern auch in England und der EU. Ein Problem liegt darin, dass die Regulierungen den Kern der Wertschöpfung von Facebook gar nicht erreichen. Sie mögen sich um Datenschutz oder Fake-News kümmern, aber das eigentliche Problem gehen sie nicht an: die fehlende Demokratie innerhalb der Plattform. Die EU geht das politische Problem vom Konsumentenschutz her an. Ich denke, man sollte eher über Änderungen im Backend, in der API und den Einstellungen sprechen, um Probleme von Intransparenz und Filterblasen anzugehen, womit die Bildschirmsucht vielleicht auch nachlässt. Der Exodus aus Facebook, den Vertrauensverlust und nachlassende Bindung können wir als eine Chance begreifen, die Plattformen zu ändern. Wenn wir es dieses Mal nicht repariert bekommen, dann müssen wir uns mit der Nachfolgeplattform auseinander setzen.

GL: Facebook, so wie wir es kennen, lässt sich nicht reparieren. Auf lange Sicht werden sich ein Massenexodus und eine Zersplitterung kaum vermeiden lassen. Dazu kommt die Abneigung der jüngeren Generation, die Facebook eh nur als Kontrollplattform von Eltern und anderen alten Säcken ansehen. Das mag nicht die größte Sorge von Politikern sein, aber sehr wohl von Werbern, die mit Social-Media-Daten arbeiten. Schließlich geht die Hälfte aller weltweiten Werbebudgets über Google oder Facebook. Es geht also um einen Haufen Geld. Social-Media-Marketing ist eine neue Industrie. Und meine Universität hier in Amsterdam beliefert sie jährlich mit tausenden von Arbeitskräften.

SH: Was wird auf lange Sicht passieren? Und was kurzfristig? Ich fürchte, dass nach der gegenwärtigen Kampagne gegen Facebook eben keine bessere Plattform kommt, sondern ein vollintegriertes Kontroll-Tool, und für den politischen Diskurs eine Rückkehr zu den alten Medien mit ihren sehr verlässlichen und gegen allzu aufdringliche Nutzerbeteiligung abgeschirmten Wegen der Meinungsbildung. Vorbild China. Auf lange Sicht haben sich bislang immer unsere Modelle vom Menschen den Technologien der Selbstbeschreibung angepasst. Je mehr Daten wir verarbeiten können, desto granularer werden diese Beschreibungen. Daran führt meiner Ansicht nach gar kein realistischer Weg vorbei. Das ist quasi technische Notwendigkeit. Es wird darauf ankommen, das wir diese Verhaltensmodelle nicht einfach zur intransparenten und privatisierten Regierungstechnik werden zu lassen, sondern uns immer wieder selbst aneignen.

PS: Den Exodus aus Facebook, den Vertrauensverlust und nachlassende Bindung können wir als eine Chance begreifen, die Plattformen zu ändern. Wenn wir es dieses Mal nicht repariert bekommen, dann müssen wir uns mit der Nachfolgeplattform auseinander setzen. Die intransparenten und vollprivatisierten Öffentlichkeiten stellen für die Markt-Demokratien von heute ein großes Risiko dar. Unter dem Einfluss von Indien und China wird sich die Frage stellen, wie Design-Änderungen demokratisiert werden können, oder jedenfalls den verschiedenen politischen Systemen angepasst werden. Transparenz der Datenmodelle, voller Zugriff für Forscher mit nichtkommerziellen Absichten. Das wäre speziell nötig, um KI-Elemente und Algorithmen ethisch zu bewerten. Ich sehe erst einmal eine Facebook-Wissenschaft-Revolution kommen. Wenn Wissenschaftler Zugriff auf soziale Daten haben, können sie für alle nützlich werden.

GL: Gut vor einem Jahr hat eine kleine Gruppe, bei der ich dabei war, ein »Data Prevention Manifesto« verfasst – ein Datenvermeidungsmanifest. Statt Datenschutz oder Verschlüsselung hat die Gruppe vorgeschlagen, Systeme zu entwickeln, die Daten von vorneherein vermeiden. Das würde ich gerne mal auf Pits Vorschlag eine API anwenden, die »gute Daten« herstellt. Wir sollten lieber ein Kultur entwickeln, die Daten ignoriert und überwindet. Wir wissen ja, dass Computer alles speichern. Das liegt in ihrer Natur. wir können diese Daten aktivieren und sammeln, oder ignorieren und wegwerfen. Daten sind keine Information, keine Evidenz, keine Wahrheit. Für mich sind Daten erst einmal ein vielförmiger Urstoff, aber auf keinen Fall ein Rohstoff wie Öl. Es ist der Diskurs, die Ideologie, die die Daten wirksam werden lässt. Begriffe wie »Freund« oder »Like« produzieren Daten im Facebook-Universum. Das Soziale ist zu einer computerisierten Kategorie geworden. Wie können wir diese Art von quantifiziertem Leben überwinden? Ich weiß schon, dass das Nietzscheanisch klingt, aber trotzdem, die Frage stellt sich.

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