#Bundeshaushalt

Peer Steinbrücks Etatentwurf: Bilder einer bloßstellenden Austellung

von , 25.6.09

Den Surrealismus hatten wir bislang in den 1920er bis 1940er Jahren verortet. Mit dem Bundeshaushalt 2010, den Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) jetzt vorgelegt hat, ist das Surreale endgültig auch in der Politik angekommen.

Der Haushaltsentwurf gleicht einem Spiegelbild des Zustands unserer Gesellschaft: So geben wir beispielsweise – aus einem Gesamtvolumen von 327 Mrd Euro – für Wirtschaft und Technologie mit 6,3 Mrd Euro nur unwesentlich mehr aus als für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (5,4 Mrd). Wenn man dabei in Rechnung stellt, dass ein großer Teil des BMWi-Haushalts immer noch in die Kohle fließt, fragt man sich, was da noch für neue Technologien übrig bleibt. Jedenfalls weniger als für die Landwirtschaft. Familie, Senioren, Frauen und Jugend sind uns in Summe 6,4 Mrd Euro wert. Hingegen bleiben für Sigmar Gabriel und seine Umweltvisionen ganze 1,5 Mrd Euro. Soviel zum Thema „…und deshalb fördern wir massiv die Erneuerbaren Energien“.

Die Bundesschuld in Höhe von 41 Mrd Euro, das sind weit über zehn Prozent des Gesamthaushalts, überspringen wir jetzt einfach mal, denn da wird uns ohnehin nur noch schwarz vor Augen. Stattdessen wenden wir uns dem krassesten Gegensatz zu, den das Staatsbudget einer sich modern und innovativ glaubenden Industrienation wohl nur aufweisen kann: Es ist die Diskrepanz zwischen den Häusern „Schavan“ (10,3 Mrd Euro) und „Scholz“ (153, 1 Mrd Euro). Die Bildungsrepublik Deutschland hat zwar den Anteil ihrer Ausgaben für Forschung und Entwicklung unter Kanzlerin Merkel beachtlich gesteigert, wie die Statistiken des Bildungs- und Forschungsministeriums glaubhaft belegen. Und doch wenden wir für die Gestaltung unserer Zukunft nur einen Bruchteil dessen auf, was in die chronisch defizitären Sozialkassen fließt. D a s ist das Surreale an der bundesdeutschen Haushaltspolitik.

Wohlverstanden: Uns geht es nicht darum, an der bescheidenen Höhe der gesetzlichen Rente oder den Zuwendungen für chronisch Kranke herumzumäkeln. Wer nachweislich bedürftig ist, dem muss staatlicherseits geholfen werden. Was aber, genau wie die rätselhaften Bilder eines Dali oder Magritte, der näheren Betrachtung bedarf, sind die Proportionen: Wenn wir annähernd die Häfte (!) des gesamten Bundesetats für den Bereich Arbeit und Soziales (sprich: gesetzliche Rente, Arbeitslosenversicherung, Kurzarbeitergeld etc.) aufwenden, hingegen nur drei Prozent für Bildung und Forschung, dann ist das schon ein Statement. Es besagt, dass der soziale Frieden, die vielgepriesene „Gerechtigkeit“ uns ziemlich genau 15 mal soviel wert sind wie die Zukunftssicherung einer ganzen Gesellschaft. „Ein Euro für die Optischen Technologien, 15 Euro für die Rente. Zwei Euro für neue Werkstoffe, dreissig für die Arbeitslosenversicherung…“. Man möchte bei den Haushaltsverhandlungen (lieber nicht) Mäuschen spielen.

Das Ernüchternde an dieser Bildbetrachtung ist: Es kann kaum besser werden. Deutschland hat sich vor Jahrzehnten prinzipiell dafür entschieden, seine sozialen Sicherungssysteme auf dem Umlageverfahren zu basieren. Da aber die Zuflüsse nicht reichen, muss der Staat permanent nachschießen – oder die Steuern respektive die Sozialabgaben erhöhen. Über die Alternative, nämlich eine kapitalgedeckte Kranken- oder gar Altersvorsorge, darf man seit der Finanzkrise nicht mehr öffentlich sprechen: „Das hätte Millionen von Rentnern in den Ruin gestürzt“, schallt es einem nur noch entgegen. Dass es an den Börsen, nach starken Jahren, auch einmal in den Keller gehen kann, ist einer zutiefst risikoaversen Gesellschaft schlichtweg nicht vermittelbar.

Und so ziehen wir weiter, von Etatposten zu Etatposten, als seien es die Bilder einer Ausstellung. Die Relation der Einzelposten zueinander ist so „bloßstellend“, wie Neo Rauch es vom Genre der Zeichnung sagt: „Man ist des Kolorits entkleidet“, so der Künstler am 23.6. in der Neuen Nationalgalerie. Die Bundesrepublik porträtiert sich mit dem Haushaltsentwurf 2010 als ein Land, das ernsthaft Gefahr läuft, in seiner „Verkarstung“ (Peer Steinbrück am 24.6.) zu erstarren. Es ist zumindest hochgradig optimistisch anzunehmen, dass die Bundestagswahl daran grundlegend etwas ändern könnte.

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