von Wolfgang Michal, 20.8.12
Die Ansprüche waren enorm. Im Dezember 2010 kündigte der WikiLeaks-Aussteiger Daniel Domscheit-Berg an, er werde zusammen mit Ex-Mitarbeitern von WikiLeaks eine eigene Whistleblower-Plattform unter dem Namen OpenLeaks etablieren. Grund: Die Daten seien bei WikiLeaks nicht sicher. Vor seinem Ausstieg hatte Domscheit-Berg deshalb ein größeres Datenpaket von einem der WikiLeaks-Server „mitgenommen“. Im Unterschied zu WikiLeaks, sagte Domscheit-Berg, solle der Schwerpunkt von OpenLeaks ganz auf den Inhalten liegen:
„Informationen, und nicht die Personen, die sie verbreiten, sollen im Mittelpunkt der Wahrnehmung stehen. OpenLeaks soll nicht nur Dokumente von globaler Bedeutung, sondern auch länder- oder regionalspezifische Dokumente verwalten und ist als Schnittstelle, Dienstleistung und technische Lösung zur Anonymisierung gedacht.“
Große Worte. Doch der ursprünglich für Januar 2011 anvisierte Start fiel ins Wasser. Auch der auf der Re:publica 2011 für den Sommer projektierte Start blieb aus. Ebenso der im August 2011 auf Februar 2012 verschobene Beginn. Heute, 18 Monate nach der ersten Ankündigung, ist OpenLeaks als „gesicherte Einreichungsplattform für Dokumente“ noch immer nicht betriebsbereit. Die Kooperationspartner des Dauerankündigungs-Projekts (u.a. taz und freitag) sind ziemlich kleinlaut geworden.
Am 7. November 2011 gab foodwatch, einer der fünf Openleaks-Partner, den Ausstieg aus dem Projekt bekannt:
„Aus Sicht von foodwatch sind die Gespräche über eine Zusammenarbeit … unbefriedigend verlaufen. Für eine Plattform, die auf Vertrauen angewiesen ist, müssen hohe Anforderungen vor allem hinsichtlich der Transparenz des Projektes und der Verlässlichkeit der Zusammenarbeit gelten. Darauf hatten wir uns mit den OpenLeaks-Betreibern auch verständigt. Getroffene Vereinbarungen wurden jedoch nicht wie verabredet eingehalten. Wegen der Sensibilität eines solchen Projektes hat sich foodwatch daher entschieden, die Pläne für eine Zusammenarbeit fallen zu lassen.“
Ein Blick zurück
Im August 2011 hatte Daniel Domscheit-Berg während des Finowfurter Sommercamps des Chaos Computer Clubs (CCC) versprochen, es gehe nun tatsächlich bald los mit OpenLeaks, der neuen Whistleblower-Plattform, die alles besser machen würde.
Domscheit-Berg rief die versammelten Hacker dazu auf, die neue Plattform einem Stresstest zu unterwerfen. Doch dazu kam es nicht mehr. Der CCC war stinksauer. Andy Müller-Maguhn, damals noch führend am CCC beteiligt, misstraute dem WikiLeaks-Aussteiger und seinen Versprechungen. Auch fühlte sich der CCC von Domscheit-Berg als eine Art Stiftung Warentest missbraucht. In einer spontanen Aktion beschloss der CCC-Vorstand deshalb, Domscheit-Berg aus dem Club zu werfen. Kai Biermann schrieb damals bei Zeit Online:
„CCC-Mitglied Felix von Leitner bloggt dazu, der Club habe eigentlich die Rückgabe der Daten an Wikileaks vermitteln wollen und Domscheit-Berg hätte zugesagt, die entsprechende Festplatte “innerhalb von zwei Wochen” an den CCC zu übergeben. Von Leitner schreibt: “Das war vor 11 Monaten. Seit dem ist nichts passiert. Daher gibt Andy Müller-Maguhn jetzt auf und stellt offiziell das Angebot ein, die Daten übergeben zu wollen.”
Und Heise kommentierte:
„Die Gründe für die Gereiztheit liegen im Verborgenen. Andy Müller-Maguhn versucht, zwischen OpenLeaks und Julian Assange/Wikileaks zu vermitteln. Nachdem Assange seinen Mitstreiter Daniel Domscheit-Berg exkommuniziert hatte, ging der zentrale Wikileaks-Server am 25. August in den Wartungsmodus. Da der Server bei einem Hoster im Ruhrgebiet betrieben wurde, sollte der in Deutschland weilende Domscheit-Berg die Wartungsarbeiten übernehmen. Er unternimmt mehrere Anläufe, fährt schließlich los, repariert das System und zieht dabei vorab eine Sicherheitskopie, die verschlüsselt abgespeichert wird. Den Schlüssel zu diesen Dateien besitzt nur Assange.“
WikiLeaks schrieb damals zu den „entwendeten“ Dokumenten:
“The material is irreplaceable and includes substantial information on many issues of public importance, human rights abuses, mass telecommunications interception, banking and the planning of dozens of neo-nazi groups.”
Da Domscheit-Berg nicht bereit war, die Dokumente an WikiLeaks zurückzugeben, hatte Julian Assange den Berliner Rechtsanwalt Johannes Eisenberg mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. Eisenberg warf Domscheit-Berg im Sommer 2011 vor, er habe Informationen an Journalisten weiter gegeben, die zur Entdeckung der im Internet kursierenden Datei mit den unredigierten US-Botschaftsdepeschen geführt hätten. Mit dieser Aktion sollten die Sicherheitslücken von WikiLeaks entlarvt werden. Der Openleaks-Partner Freitag hatte als erstes Medium über das Leck berichtet. Die von Domscheit-Berg abgezweigten Dokumente blieben jedoch verschwunden. Angeblich hat er sie vernichtet.
Open End bei OpenLeaks?
Die weitere Geschichte verlief seltsam. Nachdem sich der Partner Foodwatch am 7. November 2011 von OpenLeaks distanziert hatte, wurde Domscheit-Berg im Februar 2012 in allen Ehren wieder in den CCC aufgenommen – Gegenspieler Andy Müller-Maguhn schied dagegen aus dem Vorstand aus. Heise Online am 6. Februar:
„OpenLeaks-Gründer Daniel Domscheit-Berg ist wieder Mitglied des Chaos Computer Club (CCC). Das teilte der Verein im Anschluss an eine außerordentliche Mitgliederversammlung am Sonntag in Berlin mit. Domscheit-Berg war aufgrund eines einstimmigen Vorstandsbeschlusses während des Chaos Communication Camp im August 2011 ausgeschlossen worden. Seither war er nur Mitglied des eigenständigen lokalen Chaos Computer Clubs Berlin.
Auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung, die am Sonntag den Beschluss zur Wiederaufnahme Domscheit-Bergs fällte, wurde zudem ein neuer Vorstand gewählt. Ihm gehört das langjährige Vorstandsmitglied Andy Müller-Maguhn nicht mehr an, der seinerzeit zwischen WikiLeaks und OpenLeaks vermitteln wollte. Der auf dem Camp angekündigte Test der eigenständigen Whistleblower-Plattform OpenLeaks steht nach wie vor aus.“
Ende Februar 2012 interessierten sich dann offenbar die Piraten für das Phantomprojekt OpenLeaks:
„Gäbe es bei Openleaks/Wikileaks einen echten Neuanfang, dann könnte es auch die Piraten wieder interessieren. Dafür müsste die Plattform weniger in der Diskussion wegen Querelen sondern wegen Inhalten sein. Wichtig ist, dass die Plattform unabhängig ist.“
Schließlich traten Daniel Domscheit-Berg und seine Frau Anke im Mai 2012 überraschend der Piratenpartei bei. Und wenn OpenLeaks nicht gestorben ist, dann lebt es wohl noch heute…