von Cem Özdemir, 24.5.11
von Cem Özdemir und Oliver Passek:
Die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Fernsehens steht auf dem Prüfstand: Das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe wird eventuell noch in diesem Jahr ein weiteres wegweisendes Rundfunkurteil fällen. Es geht um die von Bündnis 90/Grüne Grünen initiierte und vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck Ende 2010 in Karlsruhe eingereichte Klage auf eine Normenkontrollklage des ZDF-Staatsvertrages. Geprüft werden soll, ob die Zusammensetzung der Gremien verfassungskonform ist und inwiefern gerade der politische Einfluss dort zu groß sein könnte.
Zwar will sich Beck laut seiner Klageschrift im Gegensatz zur ursprünglichen Initiative der medienpolitischern Sprecherin der Bundestagsfraktion, Tabea Rößner, auf bestimmte Punkte wie die Zusammensetzung des Verwaltungsrates beschränken, dies wird das Gericht jedoch nicht von einer umfassenden Prüfung des gesamten Staatsvertrages abhalten.
Die Anzahl der im Fernseh- und im Verwaltungsrat vertretenen direkten und/oder indirekten staatlichen Vertreterinnen und Vertreter – erstaunliche 50 Mitglieder lassen sich der staatlichen Sphäre zurechnen – wird durch Karlsruhe möglicherweise reduziert. Natürlich wären von solchen Änderungen auch die von der Staatskanzlei benannten Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen betroffen. Die Mitwirkung der politischen Parteien wollen wir jedoch keineswegs ausschließen, sie repräsentieren eine wichtige gesellschaftliche Gruppe.
Mehr Durchblick in die Gremienarbeit
Mindestens genauso wichtig wie die Zusammensetzung der Gremien ist die Sichtbarkeit ihrer Arbeit. Doch aus der Perspektive des Gebührenzahlers wirken die Rundfunkräte trotz der sehr engagierten Arbeit der Gremienvertreter und der Sekretariate leider häufig wie ein „Closed Shop“. Während die Sender selbst für die Grundversorgung an Informationen der Bevölkerung zuständig sind, tagen ausgerechnet deren Aufsichtsgremien in der Regel hinter verschlossenen Türen.
Auch beim ZDF sind die Sitzungen des Fernsehrates nicht öffentlich. Das Gremium selbst kann zwar eine Ausnahme beschließen, von der in der Regel aber kein Gebrauch gemacht wird. Immerhin sind die Haushaltsberatungen öffentlich zugänglich. Andere öffentlich-rechtliche Sender sind da schon viel weiter: Sowohl beim RBB, als auch beim Bayerischen Rundfunk, dem SR und dem SWR tagen zumindest die Rundfunkräte in öffentlicher Sitzung. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, dies nicht auch beim ZDF-Fernsehrat einzufordern. Die Sitzungen sind umfangreich, straff organisiert und durchgeplant, mediale Selbstdarsteller würden somit schnell ausgebremst. Auch eine Übertragung der Sitzungen ins Internet würde sich anbieten.
Mehr Mut bei der Öffentlichkeitsarbeit
Doch mehr Transparenz können die Rundfunkanstalten nicht nur durch öffentliche Sitzungen gewährleisten. Auch durch eine aktive Veröffentlichungspraxis im Internet könnten viele relevante Informationen für die Öffentlichkeit bereit gestellt werden.
Immerhin stellt das ZDF auf der Webseite „Das Unternehmen“ einige hilfreiche Informationen zur Verfügung. Darunter die im zweijährigen Rhythmus erscheinenden Selbstverpflichtungserklärungen oder auch eine Fülle an wichtigen Rechtsgrundlagen, wie die Grundsätze zur Transparenz im Bereich der Sportrechte oder die Richtlinien für Werbung und Sponsoring. Der jährliche, mehrere hundert Seiten umfassende Haushaltsplan, wird zwar nicht im Web angeboten, aber immerhin an anfragende Journalisten verteilt. In all diesen Dingen agieren andere Sendeanstalten noch wesentlich restriktiver.
Leider ist die Zurückhaltung in Sachen Informationsfreiheit auch beim ZDF immer noch sehr groß. So bedarf die Einsichtnahme in Niederschriften und Protokolle des Fernsehrates der vorherigen Zustimmung des Erweiterten Präsidiums, steht in dessen freiem Ermessen und darf allein wissenschaftlichen Zielen dienen.
Wir fragen uns: Warum sollten neben den Tagungsprotokollen nicht auch die Auswertungen des Zuschauerechos, der Tätigkeitsbericht des Intendanten, die Filmförderpolitik des Senders oder die Transparenzberichte zu Kooperationen, Sponsoring und Beistellungen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen? Schließlich betreffen all diese Vorgänge massiv die Interessen der Gebührenzahler.
Natürlich dürfen diese Forderungen nicht alleine auf das ZDF abzielen, auch andere öffentlich-rechtliche Sender und die Landesmedienanstalten – auch hier tagen die Medienräte zumeist vor verschlossenen Türen; erfreuliche Ausnahmen sind Mecklenburg-Vorpommern und Bremen – sind gefordert. Vorbild könnte die – zugegeben nur teilweise vergleichbare – US-Regulierungsbehörde FCC sein, deren Sitzungen des obersten Gremiums im Internet übertragen werden. Zusätzlich stellt die FCC online Datenbanken zur Verfügung, die es ermöglichen, z.B. jederzeit Akten zu Lizenzierungsverfahren einzusehen.
Partizipation der Zuschauer erhöhen
Auch ein verstärktes Mitwirken der Zuschauer am Programm trägt zu mehr Transparenz und Öffentlichkeit bei. Ausgerechnet unsere kleineren europäischen Nachbarn machen uns vor, wie man ein lineares Programm zeitgemäß und innovativ gestalten kann. Seit 2008 führt der öffentlich-rechtliche Kanal Ned3 in den Niederlanden das Projekt „TV Lab“ durch, bei dem eine Woche lang völlig neue Formate gezeigt wurden, die von den Zuschauerinnen und Zuschauern selbst bewertet werden.
In Deutschland wagte bislang nur der WDR 2006 ein ähnliches, für das Fernsehen fast schon radikales Experiment. Das ZDF scheint dies erkannt zu haben und ist Teil eines Programmlabs im Rahmen der Europäischen Rundfunkunion im Sommer diesen Jahres. Über ZDF NEO können die Zuschauer dann Ende August eine Woche lang über neue TV-Formate abstimmen. Wir dürfen schon jetzt sehr gespannt sein.
Eine weitere Option für eine stärkere Partizipation der Zuschauerinnen und Zuschauer können Creative-Commons-Lizenzen sein, die in verschiedenen Rechtsformen und Ausführungen die Möglichkeit bieten, Inhalte der Sender auf eigenen Plattformen wie Blogs oder Profilen in sozialen Netzwerken zu verwenden. Auch in dieser Hinsicht zeichnet sich gerade bei den öffentlich-rechtlichen Sendern endlich Bewegung ab. Waren es lange Zeit nur die beiden NDR-Programme ZAPP und EXTRA 3 die ihre Inhalte teilweise auch zum „Remixen“ zur Verügung stellten, zogen andere Sendungen, wie das Magazin „Quer“ des Bayerischen Rundfunks, inzwischen nach. Geradezu anbieten für solch offene Lizenzen würde sich z.B. der innovative ZDF-Krimi „Wer rettet Dina Foxx?“, der sich größtenteils im Internet abspielt.
Auch im Netz bewegt sich hier einiges: Vorreiter ist, wen wundert es, da in Frankreich keine so strengen Vorgaben bezüglich der Online Präsenz der öffentlich-rechtlichen Sender vorliegen, ARTE France. So feierte deren Webserie „60 Seconds“ vor kurzem nicht etwa im TV Premiere, sondern auf dem sozialen Netzwerk Facebook.
Von diesen Innovationen profitiert auch Arte Deutschland. Das Vorzeigeprojekt heißt „ARTE Creativ-Plattform“ und ist ein internationales, redaktionell betreutes und interaktives Netzwerk für Künstler und Kulturproduzenten. Die Plattform versucht verschiedenste kreative Felder von der Fotografie über Street Art und New Media, bis hin zu Grafik-, Produkt- und Webdesign abzudecken. Zusammen mit der Community will die Redaktion neue Formate an der Schnittstelle Web/TV entwickeln.
Auch spannend: Der vom „Kleinen Fernsehspiel“ des ZDF initiierte Online-Wettbwerb „Body Bits“, der sich an Nachwuchsregisseure richtet und dessen Ergebnis nachts im Hauptprogramm und auf ZDF-Kultur zu sehen sind. Nicht zu vergessen das Team um den „Elektrischen Reporter“ Mario Sixtus: Dieser entwickelt mit seinem Team für das ZDF im Netz derzeit neue Sendeformate, die sich mit netzpolitischen Themen beschäftigen. Die damit verbundene Idee: Die Ergebnisse dieser Experimente werden nicht zuerst der zuständigen Redaktion, sondern der Netzöffentlichkeit zum Feedback angeboten.
Beschweren aber wie???
Last but not least darf natürlich das klassische Feedbackinstrument der Fernsehsender nicht fehlen: Die gute alte Programmbeschwerde, die sich jedoch ganz schnell als „Bürokratiemonster“ entpuppt, auch wenn die Beschwerde selbst bereits seit längerem online; beim ZDF unter http://www.unternehmen.zdf.de/index.php?id=585#c892 eingereicht werden kann.
Das fängt schon einmal damit an, dass eine Beschwerde nicht gleich eine Beschwerde ist. Von Anfragen oder Kritik allgemeiner Art sind Beschwerden über das Programm des ZDF zu unterscheiden, in denen die Verletzung von Programmgrundsätzen vermutet wird. Hier wird der Fernsehrat in einem förmlichen Beschwerdeverfahren tätig.
Das mehrstufige Verfahren – der Vorsitzende des Fernsehrates leitet die Beschwerde zunächst an den Intendanten zur Stellungnahme weiter, ist der Beschwerdeführer nicht zufrieden geht der Vorgang weiter an den Programmausschuss des Fernsehrates und schließlich an das Plenum – ist einerseits zwar eine Referenz für große Sorgfalt, erscheint aber angesichts der netzbasierten Kommunikationsmöglichkeiten arg anachronistisch.
Gleiches gilt für die möglichen Konsequenzen, denn diese sind zumindest nicht vollständig transparent: Bei Rechtsverstößen kann der Fernsehrat vom Intendanten nach dem geltenden Rundfunkstaatsvertrag verlangen, dass er Beanstandungen des Fernsehrats im Programm veröffentlicht. Ansonsten ist keine bestimmte Sanktion in der Beschwerdeordnung festgelegt. Über geeignete Maßnahmen wird vielmehr im (unbestimmten) Einzelfall entschieden.
Grundsätzlich gilt: Das ZDF verfügt mit seiner Zuschauerredaktion über eine gut funktionierende Servicestelle zur Beantwortung von Zuschaueranfragen. Pro Jahr werden dort rund 500.000 Zuschaueranfragen schriftlich oder per Telefon beantwortet, zweifellos eine komplexe Leistung.
Wünschenswert wäre dennoch ein nach dem Vorbild des BBC Trust Managements vom Sender und Fernsehrat unabhängiger Beschwerdeausschuss. Dies würde gerade den Fernsehrat auch von dem ständig drohenden Vorwurf der Parteipolitisierung befreien, der auch einen immensen Druck für die Parteienvertreter bedeutet, wie gerade die jüngsten Vorgänge um die vom Fernsehrat ausgesprochene Ermahnung der Frontal 21 Redaktion zeigt.
Die Spruchpraxis des Beschwerdeausschusses sollte nach dem Vorbild des Deutschen Presserates im Internet veröffentlicht werden, verbunden mit einer juristischen Aufklärung, damit die Zuschauer die im Detail nicht so einfach zu verstehenden Programmgrundsätze besser nachvollziehen können. Ein weiteres Element sollte von der BBC übernommen werden: Dort trifft sich das so genannte „BBC Complaints Management Board of senior Executives“ einmal im Monat, um zu überprüfen, dass Erkenntnisse aus den Beschwerden in die Redaktions- und Managementprozesse der BBC auch wirklich einfließen.
Flexibel und abrufbar statt langwierig und linear sollten Programmbeschwerden im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zukünftig gehandhabt werden. „Flexibel und abrufbar“ gilt auch für das Programm, doch hierfür reicht der gute Wille der Sender selbst nicht aus. Die Politik muss sich im komplizierten Einklang mit Brüssel bewegen und entsprechende staatsvertragliche Änderungen herbeiführen, damit Internet und TV auch „im Regelbetrieb“ noch besser verschmelzen können.
Am 9. Juni lädt die Heinrich Böll Stiftung – passend zum Thema dieses Textes – zur Diskussion “Subtil 21. Wird Politik zum öffentlich-rechtlichen Programmgestalter?“.
Cem Özdemir ist Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied des ZDF-Fernsehrats.
Oliver Passek ist Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Medien- und Netzpolitik von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied des ZDF Fernsehrats.