von Philipp Otto, 21.4.10
Lieber Frank Werneke,
als vor ein paar Tagen eine Einladung des ver.di-Bundesvorstandes zu einer Pressekonferenz anlässlich des “Welttags des geistigen Eigentums” bei mir einging, war das Erstaunen groß. Hieß es doch in der Pressemitteilung:
” (…) zum Tag des geistigen Eigentums laden die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und Spitzenorganisationen der Buch-, Film-, Musik und TV-Branche unter dem Motto “Diebstahl geistigen Eigentums im Netz: 5 vor 12 für die Kreativwirtschaft” gemeinsam ein (…)”.
Und weiter:
“(…) gefordert ist ein besserer Schutz geistigen Eigentums im Internet (…)”.
Mit von der Partie auf Einladung von ver.di sind – neben Ihnen als stellvertretendem Bundesvorsitzenden –, der Vorstandsvorsitzende des Bundesverband Musikindustrie (und Sachverständiger der Internet-Enquete) Dieter Gorny, Jürgen Doetz als Präsident des Verbands Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT), Steffen Kuchenreuther als Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO), Alexander Skipis als Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und Peter Henning als Vorstandsmitglied des Verbands der Drehbuchautoren (VDD).
Ich frage mich, wie diese illustre und sonderbare Runde zustande kommt. Ver.di als Teil der Anti-Piracy-Koalition? Ist bei ver.di nicht angekommen, was die Digitalisierung bedeutet? Wie schlecht muss man aufgestellt sein, um solche (falschen) Freunde nötig zu haben? Wo sind auf dem Podium eigentlich die auch noch in ver.di vorhandenen kritischen und kompetenten Stimmen? Hat ver.di die Entwicklungen der letzten Jahre komplett verschlafen? Trauen Sie sich zu, bei diesem Thema kompetent für ver.di sprechen? Haben Sie die höchst umstrittene und wissenschaftlich sehr zweifelhafte Tera-Studie, auf die in der Presseinformation deutlich hingewiesen wird, kritisch gelesen?
In der Einladung heißt es dazu: “Nach einer kürzlich vorgelegten Untersuchung (…) hat die illegale Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte im Internet allein in Deutschland im Jahr 2008 bei Produktion und Vertrieb von Spielfilmen, TV-Serien, Musik und Software einen Schaden von 1,2 Milliarden Euro verursacht und damit rund 34.000 Arbeitsplätze gekostet”. Warum beruft sich ver.di auf eine Studie, die unter anderem von der Anti-Piracy-Lobbyorganisation BASCAP beauftragt wurde? Ist ver.di nun treibendes Mitglied der Creative Coalition Campaign? Zu diesen Verwicklungen ist eine Analyse von Heiko Hilker und Jürgern Scheele erschienen.
Wie kommt man als Gewerkschaft im Jahr 2010 dazu, die propagandistische Aussage vom “Diebstahl geistigen Eigentums im Netz” als Titel für seine Pressekonferenz zu wählen? Wer hat hier wem was in die Blöcke diktiert? Denkt ver.di ernsthaft, alles sei so einfach und man könne mal draufhauen und schauen was dabei rauskommt? Wie muss das Urheberrecht aus Sicht von ver.di ausgestaltet sein, dass sowohl die Urheber als auch die Nutzer zu ihrem Recht kommen?
Lieber Frank Werneke, diese Fragen brauchen eine Antwort.
Vielleicht irre ich mich aber auch nur, und ver.di wird uns bei dieser Pressekonferenz mit einer konstruktiven Sicht auf die Dinge überraschen. Vielleicht ist die thematische Auswahl aber auch nur konsequent, da ver.di seit geraumer Zeit teilweise sehr altmodische Positionen zum Urheberrecht vertritt. Bereits jetzt ist es so: Viele Kreativschaffende fühlen sich durch ver.di nicht mehr vertreten. Es gibt organisatorische Ausgründungen, und auch nahezu der gesamte Bereich der Kreativschaffenden im Internet hat bei ver.di kein zu Hause. Das ist ein massives Problem für die Gewerkschaft. Vielfach wurde in der Vergangenheit versucht, der Gewerkschaft Hilfestellung zu geben, auch gab es dort heftige interne Konflikte. Doch wie es scheint, sind die für die gewerkschaftliche Ausrichtung beim Urheberrecht Verantwortlichen beratungsresistent.
Mails, Telefonanrufe und Nachfragen bei ver.di-Mitarbeitern im Bundesvorstand brachten zudem ein erschreckendes Bild zu Tage. Darüber, dass es diese Pressekonferenz geben sollte, herrschte alles andere als Einigkeit im Haus. Festzuhalten bleibt, dass sich ver.di mit dieser Veranstaltung auf ein sehr dünnes Eis begibt. Es ist so dünn, dass es zu brechen droht. Markus Beckedahl von Netzpolitik.org konstatiert dazu “ver.di hat eine Werbekampagne gestartet, um sich bei Internet-Nutzern nachhaltig unbeliebt zu machen”.
Viele Grüße und viele Fragen,
Philipp Otto
Die Pressekonferenz findet am 26. April um 11.55 Uhr (!) in der ver.di-Bundesverwaltung im Raum “Nabucco”, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin statt.
P.S.: In der Wikipedia heißt es zur Oper “Nabucco” von Guiseppe Verdi: “Die Oper hat einerseits das Streben des jüdischen Volkes nach Freiheit aus der babylonischen Gefangenschaft zum Thema; andererseits steht die Hybris des Titelhelden im Zentrum, der sich selbst zum Gott machen will, daraufhin mit Wahnsinn geschlagen wird und erst durch seine Bekehrung zum Gott der Hebräer geheilt wird.” Aber das spielt hier natürlich keine Rolle, sondern ist nur ein völlig zufälliger Zufall.