#Bundestagswahl

Nichts Genaues weiß man nicht

von , 5.5.09


Das Gerücht will wissen, dass Schröders Wahlsieg 2002 seinen Ursprung auf Hannovers Kröpcke nahm. Dort im Stadtzentrum eröffnete der fast aussichtslos zurückliegende Kanzler den heißen Wahlkampf mit einer rein strategischen Rede: Seine Schreiber hatten zwölf Themen jeweils exakt fünf Minuten gewidmet. Elfmal rührte sich kaum eine Hand. Als Schröder Deutschlands Beteiligung am Irak-Krieg kategorisch ablehnt, donnerte es Applaus: Der Wahlkampf hatte urplötzlich sein Thema.

Dieses wird in vier Monaten nicht der Fall sein!

Nie zuvor ist den Deutschen im Wahljahr unklarer, was sie eigentlich wählen wollen. Wirtschaft oder Wirtschaftskritik? Wut oder Neuanfang? Ordnungspolitik oder Staatsfürsorge? CDU oder FDP oder SPD oder Grüne oder Linke? Für alles gibt es so seine Gründe!

Das liegt einerseits an immer undurchsichtigeren Lösungswegen: Für 42 Prozent der Deutschen gehören Banken in staatliche, für 47 in private Hände. Eine Hälfte hält die „Bad Bank“ für eine gute, die andere für eine schlechte Idee. Viele sind für die Reichensteuer, noch mehr dagegen. Eine Hälfte befürwortet Staatshilfen bei angeschlagenen Konzernen, die andere lehnt sie ab. Etwa 50 Prozent sind für Tempo 130 auf Autobahnen, ebenso viele dagegen. Und die am häufigsten genannte Wunschkoalition – Union und FDP – kommt gerade mal auf 27 Prozent.

Soll heißen: Die „klare Kante“ gibt es nicht. Argumente sind längst nicht mehr bonuspunktfähig, zumal sich für 70 Prozent nichts ändern wird, egal ob ein Union- oder SPD – Kanzler Deutschland regiert.

Die Wählermeinungen sind so atomisiert, wie nie zuvor. Das „Richtige“ ist für ebenso viele falsch, wie das „Falsche“ richtig ist. Lösungsansätze und Argumente spielten nie eine geringere Rolle. Parteiprogramme und Grundsatzüberlegungen haben am Wahltag nichts verloren.

Fünf Monate vor dem Wahltag sind die Wähler verunsichert wie nie zuvor. Ihr Kreuz mit dem Kreuzchen am 27. September ist so groß wie noch nie: Erst 30 Prozent sind bereits entschieden. Vor fünf Jahren noch betrug allein der Stammwähleranteil 50 Prozent. Jeder zweite SPD –Wähler von 2005 zweifelt heute daran, „seine“ Partei wiederzuwählen. Bei der Union ist es etwa jeder Dritte. Es riecht nach Entscheidung in letzter Sekunde.

Wenn Inhalte schon nicht entscheiden? Was ist es dann?

Angst und Wut und Gerechtigkeit und Vertrauen!

Nie zuvor waren die Deutschen in prekärerer Lage als heute: Für 70 Prozent haben wir eine Weltwirtschaftskrise durchzustehen, nur für jeden Vierten eine normale Rezession. Für aktuell 79 Prozent ist der Höhepunkt der Krise längst nicht erreicht. 40 Prozent der Beschäftigten rechnen mit Lohneinbußen. 16 Prozent mit Kurzarbeit. 40 Prozent haben Angst davor, arbeitslos zu werden. Und 90 Prozent wissen, dass sie mittelfristig ihren Lebensstandard nicht halten können, nur noch nicht, wo die Spirale endet. So einen Krisenwahlkampf hatten wir noch nie.

Wer glaubhaft Sicherheit im Wandel verkörpert, hat einen klaren Vorteil.

74 Prozent halten Wirtschaftsdesaster nach Art des Bankenabsturzes für wiederholbar. Doch 84 Prozent sind wütend, dass Banken noch nicht mal Teilwiedergutmachung leisten. Nur noch jeder Hundertste glaubt den Aussagen der „Bangster“: Absolut letzter Platz auf der Vertrauensskala, noch weit hinter Gewerkschaftlern und Politikern.

Wer Wut bedient, besser noch die Krisenschuldigen in Regress nimmt, hat einen klaren Vorteil.

Ganze 15 Prozent sind für Staatsbeteiligungen bei angeschlagenen Firmen. Doch 80 Prozent für die Gleichbehandlung aller in Not geratener Unternehmen. Wo selbst kleine Steuerzahler das Großkapital retten müssen, fordern die Wähler entweder Schluss mit dem unordnungspolitischen Wahlversprechen oder aber Gleichbehandlung für alle.

Wer hier wie die SPD nach den Banken über weitere Branchen Füllhörner ausschütten will, wird noch vor dem Wahltag „gestellt“. Schließlich verurteilen bereits 75 Prozent die hohen Staatsschulden. 70 Prozent fordern stattdessen eine Reduzierung von Mehrwert- oder Einkommenssteuern. Das Verpulvern von Milliarden ist die größte Angst.

Also bleiben Redlichkeit, Glaubwürdigkeit und Vertrauen die nur schwer zu fassende Hauptmotive für den 27. September. Kanzlerherausforderer Steinmeier muss dazu schnellstens seinen Ausflug als Retter aller Bedrängten unterbinden. Vor allem in puncto Glaubwürdigkeit entfernt er sich zusehends von der Kanzlerin.

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