#AfD

Mit der Kraft der Worte gegen die Macht der Schlagworte

von , 3.10.17

Mit der Kraft der Worte gegen die Macht der Schlagworte: Gäbe es eine anti-populistische Zauberformel, dies wäre ihr Slogan. Mit der Kraft der Worte gegen die Macht der Schlagworte! Stark gegen Hass und Hetze! Mit imprägnierender Langzeitwirkung! Für streifenfreien, rhetorischen Glanz ohne Nachpolieren! Auf ostdeutschen Marktplätzen erprobt!

Ich persönlich brauche diese Zauberformel als politische Redenschreiberin nicht. Die Politikerin, für die ich schreibe, ist Staatsministerin für Kultur und Medien. Wo sie als Rednerin gefragt ist, sitzt oder steht, konferiert oder feiert, diskutiert oder plaudert in der Regel ein Publikum, das für Pegida und AfD, für Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit nichts als Verachtung, im besten Falle einfach Unverständnis übrig hat. Menschen, die die Reden der Kulturstaatsministerin zu Ohren bekommen, sind häufig bildende Künstler, Schriftsteller, Musiker, Museumsleute, Kunstsammler, Schauspieler, Wissenschaftler, Gedenkstättenleiter, Journalisten, Interessenvertreter aus Kulturverbänden, Theaterleute, Filmproduzenten, Unternehmer aus der Kultur- und Kreativwirtschaft usw. – kurz: Menschen, für die Weltoffenheit und Neugier auf das Fremde meist schon von Berufs wegen zum Selbstverständnis gehören. Da kann man als Redenschreiberin, Populismus hin oder her, ganz entspannt bleiben, die Kirche rhetorisch schön im Dorf lassen, und die Moschee und die Synagoge auch. Einerseits.

Andererseits kann niemand sich für nicht betroffen, nicht zuständig, nicht verantwortlich erklären, wenn der Graben aus Unverständnis und gegenseitiger Verachtung in einer Gesellschaft immer größer wird – schon gar nicht wir, die wir professionell mit Worten, mit Sprache, mit Kommunikation zu tun haben, und schon gar nicht jetzt, wo die AfD im Deutschen Bundestag vertreten ist, als drittstärkste Kraft, mit über 90 Abgeordneten, die in ständiger Hör- und Sichtweite der Hauptstadtjournalisten gewiss keine Möglichkeit und kein Mikrofon auslassen werden, um sich einer breiten Öffentlichkeit als einzig wahre Volksvertreter zu präsentieren. Es wäre übertrieben, damit schon gleich die Grundfeste unserer parlamentarischen Demokratie erschüttert zu sehen. Deren Verfahren verdienen mehr Vertrauen von Seiten ihrer Verteidiger als die vergeblichen Versuche, Populisten durch Ächtung und Ausgrenzung klein zu halten, es in den vergangenen Monaten haben erkennen lassen. Ernsthafte Sorgen machen müssen wir uns allerdings um unsere demokratische Rede- und Debattenkultur: Die Verrohung der Sprache, die Verhärtung der Fronten, die Verweigerung demokratischer Verständigung – das sind Entwicklungen, deren gesellschaftliche Sprengkraft weit über Wahlkampfveranstaltungen auf deutschen Marktplätzen hinausreicht und denen entgegenzutreten nicht allein Aufgabe politischer Amtsträger ist. Die toxische Wirkung populistischer Rhetorik zu untersuchen und darüber nachzudenken, wie wirksame anti-populistische Rhetorik aussehen könnte, ist das Mindeste, was wir, die wir uns beruflich mit Rhetorik beschäftigen, zur Verteidigung unserer Demokratie gegen Demokratieverächter beitragen können und sollten.

 

Wie also rhetorisch umgehen mit populistischer Rede?

 

Es gehört zur Kultur des Sprechens (wie auch des Schreibens) über Populismus, den Teufel an die Wand zu malen oder zumindest von einem Gespenst zu raunen, das angeblich umgeht in Europa und das heute „Populismus“ heißt. Karl Marx ruhe in Frieden, denn für die Macht populistischer Rhetorik gibt es eine viele bessere Metapher: Der Populismus ist wie die Fliege im Porzellanladen. Sie allein kann nicht einmal ein Espressotässchen erzittern lassen. Aber wehe, wenn es ihr gelingt, ins Ohr eines Elefanten zu fliegen und ihn mit ihrem Gesumme irre zu machen, bis er tobt und trampelt … – dann bleibt vom Porzellan nur noch ein Scherbenhaufen. Dieses Bild hat der israelische Historiker Yuval Noah Harari geprägt, wenn auch in einem anderen Kontext. Für mich ist die Fliege im Porzellanladen eine treffende Beschreibung, wie populistische Rhetorik funktioniert – nämlich nur über das Ohr eines (oder mehrerer) Elefanten. Mit plumper Hau-drauf-Rhetorik kommt man deshalb in der Auseinandersetzung mit Populisten nicht weiter, im Gegenteil: Denn das Perfide ist, dass Populisten die Schwächen, die Ängste (und übrigens auch die Selbstgefälligkeit und moralische Überheblichkeit der Demokraten) zu nutzen, ja mehr noch: zu provozieren und für eigene Zwecke zu instrumentalisieren wissen. Deshalb ist es so wichtig, zunächst einmal zu verstehen, wie genau populistische Rhetorik funktioniert – und was sie von opportunistischer Rhetorik einerseits und volksnaher Sprache andererseits unterscheidet.

Der öffentliche Sprachgebrauch verwischt diese Unterschiede. Da fordern Journalisten „mehr Populismus“ in der Politik – und meinen damit mehr leidenschaftliche Reden in klarer Sprache. Da bezichtigen sich wahlkämpfende Politiker der großen Volksparteien wechselseitig des „Populismus“; gemeint ist das allzu offensichtliche Schielen auf Umfragewerte und Stammtische. Und die besonders Schlauen deklarieren den Begriff einfach um – vom Schimpfwort zum Kompliment; zu einer Art goldenen Ehrennadel für besondere Bürgernähe. All das ist Etikettenschwindel, über den die AfD sich nur freuen kann. Wenn einerseits jeder Versuch der politischen Anbiederung, jedes in den Wind gehaltene Fähnchen als „populistisch“ bezeichnet wird, wenn „Populist“ andererseits zu einem Schimpfwort wird, mit dem man die eigene Argumentationsfaulheit kaschiert, wenn man also nicht mehr unterscheidet zwischen Populismus und Opportunismus, zwischen Argumentation und Agitation, zwischen klar verständlicher und irreführend vereinfachender Rede, dann wird man den populistischen Demokratieverächtern rhetorisch wenig Überzeugendes entgegensetzen können. Der inflationäre Gebrauch des Begriffs insbesondere als Moralkeule, als Mittel einer armseligen politischen Rhetorik, verharmlost den Populismus und macht blind für seine Gefahren. Angesicht dieser Risiken und Nebenwirkungen plädiere ich für eine sparsame Dosierung in der politischen Auseinandersetzung.

Was also macht populistische Rhetorik aus, das Summen der Fliege am Ohr des Elefanten, um im Bild zu bleiben? Die rhetorischen Netze, die Populisten auswerfen, sind simpel geknüpft und bestehen im Wesentlichen aus drei in unzähligen Variationen wiederkehrenden Botschaften. Diese drei Botschaften lauten:

Erstens: Wir – und nur wir – vertreten das Volk.

Zweitens: Wir – und nur wir – sagen die Wahrheit.

Drittens: Wir – und nur wir – sind eine Alternative.

Eine Rede, die diesen Refrain in aller Deutlichkeit zum Klingen brachte, war die Inaugurationsrede Donald Trumps:

Die heutige Zeremonie“, erklärte er der amerikanischen Öffentlichkeit im Januar 2017, „hat eine ganz besondere Bedeutung. Denn heute übergeben wir die Macht nicht nur von einer Regierung an die andere oder von einer Partei an die andere, sondern wir nehmen die Macht von Washington D.C. und geben sie an euch, das Volk, zurück. Zu lange hat eine kleine Gruppe in der Hauptstadt unseres Landes von der Regierung profitiert, und das Volk hat die Kosten getragen. (…) Das Establishment schützte sich selbst, aber nicht die Bürger unseres Landes. Ihre Siege waren nicht eure Siege, ihre Triumphe waren nicht eure Triumphe. (…) All das ändert sich hier und jetzt. (…) Der 20. Januar 2017 wird als der Tag in Erinnerung bleiben, an dem das Volk wieder zu den Herrschern dieser Nation wurde.“  

So klingt populistischer Sirenengesang, so klingt das Lied, das sich einprägen soll, auf dass anti-demokratische Denk- und Wahrnehmungsmuster sich in den Köpfen verfestigen. Dazu dienen drei mittlerweile allgegenwärtige Narrative – drei Deutungsmuster, drei erzählerische Beschreibungen der Welt, die die populistischen Kernbotschaften plausibel machen. Da ist, erstens, die Geschichte vom betrogenen Volk: Alle Probleme, alle gesellschaftlichen Missstände lassen sich darauf zurückführen, dass mächtige Eliten sich selbst und die eigene Klientel bedienen, ihre Pfründe sichern, Profite scheffeln und den Willen des Volkes eiskalt ignorieren. Diese Geschichte erzählt nichts von der Interessenvielfalt einer pluralistischen Gesellschaft; es gibt darin nur zwei Gruppen: die Mächtigen, das elitäre Establishment einerseits und die Schwachen, das betrogene Volk andererseits. Dem Volk die Staatsgewalt zurückgeben, lautet dementsprechend der Titel eines Strategiepapiers der AfD. Zum Narrativ des betrogenen Volkes gesellt sich das Narrativ der unterdrückten Wahrheit: Politik und Medien stecken unter einer Decke und verbreiten Lügen und Fake News, um ihre Macht zu sichern. Die schweigende Mehrheit – das Volk – wird still gehalten, – aus rechtspopulistischer Sicht durch Sprechverbote der Political Correctness -, während einzig die Populisten den Mut haben, die Wahrheit offen auszusprechen. Mut zur Wahrheit ist denn auch der selbst-heroisierende Slogan, den die AfD wie eine Monstranz vor sich herträgt. Die dritte gebetsmühlenhaft vorgetragene Erzählung der Populisten ist das Narrativ der abgeschafften Demokratie: Die bestehenden Parteien, erzählen uns die Populisten, haben die Demokratie de facto abgeschafft, indem sie „das Volk“ und den „Volkswillen“ beharrlich ignorieren. Was demokratische Politik im Kern ausmacht – die Bereitschaft zur Verständigung mit Andersdenkenden, die Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen und Überzeugungen, das zähe Ringen um Kompromisse, das Abstriche-machen-müssen von politischen Maximalforderungen, der Vorrang pragmatischer Lösungen vor utopischen Heilsversprechen – all das, was die Demokratie von einer Diktatur unterscheidet, gilt als Verrat am Volk. Die Botschaft, die diese Beschreibung der Welt transportiert, lautet: „Wir – und nur wir – sind eine Alternative.“ Björn Höcke, AfD-Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag, hat es so formuliert: „Es gibt keine Alternative im Etablierten“. Adorno würde sich vermutlich im Grabe umdrehen angesichts dieser Vereinnahmung seines Diktums „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“.

Die drei Kernbotschaften und die Deutungsmuster, in die sie eingebettet sind, reichen für sich allein genommen aber noch nicht, um das demokratiezersetzende Gift der populistischen Rhetorik unters Volk zu bringen. Damit erreichen die Gaulands und Weidels, die Höckes und Meuthens, ja erst einmal nur diejenigen, die bereit sind, ihnen zuzuhören, die, aus welchen Gründen auch immer, schon empfänglich sind für Hass und Hetze. Das sind viel zu viele – aber es ist immer noch eine Minderheit. Deshalb zielt populistische Rhetorik darauf, die Wahrnehmung einer möglichst breiten Öffentlichkeit zu verändern. Dazu dienen, erstens, einprägsame Schlagworte, in denen sich die Weltsicht der Populisten verdichtet. Wenn sie in den Diskurs einsickern, transportieren und verbreiten sie die Deutungsmuster der Populisten. Begriffe wie „Volkswille“, „völkisch“, „Volksverräter“ oder auch „Wucherungen am deutschen Volkskörper“ (eine Bezeichnung des AfD-Politikers André Poggenburg für politische Gegner) sind einprägsame Abkürzungen für eine Weltsicht, in der es nur eine wahre Volksvertretung gibt – und übrigens auch klare Vorstellungen, wer zu diesem Volk gehört und wen man „in Anatolien entsorgen“ kann (Alexander Gauland über die deutsche SPD-Politikerin Aydan Özuguz). Begriffe wie „Systempresse“, „Lügenpresse“, „Mainstream-Medien“, „Meinungskartell“, „Meinungsterror“, „Sprachpolizei“ verbreiten die Erzählung,

dass die Meinung der schweigenden Mehrheit systematisch unterdrückt werde – und propagieren den „Mut zur Wahrheit“ der AfD. Begriffe wie „Kartellparteien“, „System“, „Establishment“ schließlich verbreiten die Wahrnehmung, dass es zwischen demokratischen Parteien keine Unterschiede und in der Demokratie keine Alternative gibt – bis auf die Alternative, die Front macht gegen das „System“.

Macht entfalten diese Begriffe, wenn nicht nur AfD-Politiker, sondern auch ihre Gegner sie aufgreifen. Es mag kämpferisch daher kommen, wenn demokratische Politiker einander in Talkshows oder Interviews der Verbreitung von „Fake News“ bezichtigen, um ihre abweichende Sicht der Dinge kund zu tun; es mag Beifall im Publikum geben, wenn man von einem „Meinungskartell“ schwadroniert, um berechtigte Kritik an der Berichterstattung der Medien zu üben; es mag knackige Schlagzeilen einbringen, wenn legitime Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin zugespitzt wird zu Formulierungen wie „Herrschaft des Unrechts“. Doch solche Begriffe transportieren das Gift populistischer Rhetorik. Sie verbreiten populistische Deutungsmuster. Sie plausibilisieren die populistische Weltsicht. Sie sind Wahlempfehlungen für die AfD, deren Protagonisten sich als Widerstandskämpfer feiern und sich dazu auch noch genüsslich bei Bertolt Brecht bedienen: „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“. Der bayerische AfD-Landesvorsitzende Petr Bystron zog damit im Wahlkampf über bayerische Marktplätze. Horst Seehofers Einlassung von einer „Herrschaft des Unrechts“ in Berlin dürfte ihm dabei sicherlich sehr willkommen gewesen sein.

Den Demokraten die eigenen Schlagworte und Denkmuster unterzujubeln und diese damit in möglichst viele Köpfe zu schleusen, gehört zur rhetorischen Guerilla-Taktik der Populisten. So macht man im Kampf um die Deutungshoheit aus bekennenden Gegnern unfreiwillige, doch willfährige Steigbügelhalter. Diesem Ziel dient auch die Provokation durch Hass und Hetze. Die darauf absehbar folgenden Beschimpfungen und Beleidigungen sind Teil des rhetorischen Kalküls. Denn erst die Stigmatisierung durch ihre Gegner erlaubt es den Populisten, sich als Opfer eines „Meinungskartells“ zu präsentieren, ihre Tabubrüche zum heroischen Akt („Stimme der unterdrückten Wahrheit“) zu überhöhen, ja sich gar als wahre Verteidiger der Meinungsfreiheit und der Demokratie zu inszenieren. Das Verletzen der Standards des Politischen und Moralischen hat genau diesen Zweck, und nebenbei noch den Vorteil, dass es mediale Aufmerksamkeit garantiert und sachliche Auseinandersetzungen überlagert. Wenn Demokraten also die Nazi-Keule schwingen, wenn sie AfD-Politikern verweigern, was Politikern anderer Parteien selbstverständlich zugestanden wird, geht das Kalkül der Populisten auf. So heißt es in einem internen Strategiepapier der AfD: „Je nervöser und unfairer die Altparteien auf Provokationen reagieren, desto besser. Je mehr sie versuchen, die AfD wegen provokanter Worte oder Aktionen zu stigmatisieren, desto positiver ist das für das Profil der AfD.“ Um auf die Fliege und die Elefanten zurück zu kommen: Die Narrative, also die erzählerischen Deutungsmuster, und die darin eingebetteten Kernbotschaften sind das Summen der Fliege. Mit einprägsamen Schlagworten und gezielten Provokationen erreicht es das Ohr der Elefanten – im Deutschen Bundestag künftig sogar verdammt vieler Elefanten.

Dort Positionen vertreten zu sehen, die man nicht teilt, die man bekämpft, vielleicht gar aus tiefstem Herzen verabscheut, gehört seit jeher zu den Zumutungen, mit denen die parlamentarische Demokratie ihre Bürger konfrontiert – so wie sie deren Repräsentanten die Mühsal auferlegt, sich trotz aller Meinungsunterschiede zu verständigen. Neu ist jedoch, dass dabei künftig eine Partei Rederecht beansprucht, die jede Verständigung mit den anderen Parteien explizit ablehnt und stattdessen das Ziel verfolgt, unseren demokratischen Grundkonsens zu verändern: jenen parteiübergreifenden Konsens des Respekts gegenüber Andersdenkenden, Andersglaubenden und Anderslebenden, jenen Konsens, der gebaut ist auf den Ruinen des Zweiten Weltkriegs und der gereift ist mit der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Barbarei, die unermessliches Leid über Europa gebracht hat. Verständigung ist kaum vorstellbar mit Volksvertretern, die in diesem Zusammenhang vom „Schuldkult“ reden und unseren demokratischen Grundkonsens – man könnte auch sagen: Wesenszüge unsere Leitkultur – unverhohlen ablehnen. Was aber bleibt dann noch, um eine zivilisierte Auseinandersetzung sicher zu stellen?

 

Abgrenzen statt ausgrenzen muss die rhetorische Devise der Demokraten deshalb heißen. Wer Populisten klein halten will, darf sie weder imitieren noch boykottieren, sondern muss sie in der demokratischen Auseinandersetzung, in der Debatte über ihre Positionen entlarven.

 

In Fällen von Volksverhetzung greift das Strafrecht. Für alle anderen Fälle bleibt gegen die Macht populistischer Schlagworte nur die Kraft der Worte, die sich entfaltet in der Freiheit der Rede, der Freiheit der Presse, der Freiheit der Kunst. Aus rhetorischer Sicht kommt es dabei vor allem darauf an, den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern der Populisten, die demokratiefeindlichen Argumenten den Boden bereiten, ihre Überzeugungskraft zu nehmen. Dazu gehört zunächst einmal, sich als Demokrat, als Demokratin nicht instrumentalisieren zu lassen für die Verbreitung eben dieser Deutungsmuster: des Narrativs vom betrogenen Volk, des Narrativs von der unterdrückten Wahrheit, des Narrativs von der abgeschafften Demokratie. So verständlich die Abscheu gegen rassistische Hetze auch sein mag: Pauschale Verunglimpfungen der Rechtspopulisten und ihrer Sympathisanten als „Faschisten“, „Nazis“ und „Pack“ wie auch gut gemeinte Versuche, Populisten an der Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte zu hindern, nützen nur den Populisten. Denn genau das liefert immer neuen Stoff für die Erzählungen von der unterdrückten Wahrheit und der abgeschafften Demokratie – und damit für die Selbstbeweihräucherung der AfD als einzige echte Oppositionspartei. Rhetorisch ebenso ungeschickt wie politisch aussichtslos ist es auch, Rechtspopulisten rechts überholen zu wollen, indem man sich ihre Sprache und damit auch ihre Deutungsmuster zu eigen macht. Populistische Sprache propagiert populistische Botschaften und mehrt nur populistische Profite.

Abgrenzen statt ausgrenzen muss die rhetorische Devise der Demokraten deshalb heißen. Wer Populisten klein halten will, darf sie weder imitieren noch boykottieren, sondern muss sie in der demokratischen Auseinandersetzung, in der Debatte über ihre Positionen entlarven. Dabei hilft es in jedem Fall, auf die populistische Achillesferse zu zielen, sich also die Schwächen der Populisten zunutze zu machen. Deren größter Feind ist die Wirklichkeit mit ihren politischen und moralischen Zielkonflikten, ihren Interessengegensätzen und ihrer Komplexität im Detail. Zielkonflikte, Interessengegensätze und komplexe Details behindern nämlich, was populistische Rhetorik erreichen soll: die Mobilisierung einer möglichst breiten Front gegen die Demokratie, die Einigkeit der populistischen Gefolgschaft. Solche Einigkeit gibt es nur in Form eines diffusen Dagegenseins. Nur in einer aus Wut oder Angst gespeisten Ablehnung, nur mit einer Programmatik und Rhetorik, in die jede und jeder seine eigenen Vorstellungen hineinprojizieren kann, ist die Anhängerschaft geeint. Das weiß auch die AfD. In ihrem vertraulichen Strategiepapier heißt es:

„Oberstes Ziel ist (…), im Wahljahr 2017 mit Themen zu werben, die innerhalb der AfD-Wählerschaft nicht zur Spaltung führen. Bei für die AfD bislang für Wahlerfolge nicht erforderlichen Themen (das gilt insbesondere für die Wirtschafts- und Sozialpolitik) muss sehr sorgfältig darauf geachtet werden, dass sich die Anhängerschaft der AfD nicht auseinanderdividiert. Während Teile des liberal-konservativen Bürgertums auf der einen und Arbeiter und Arbeitslose auf der anderen Seite bei Themen wie Euro/Europa, Sicherheit, Migration/Islam, Demokratie, nationale Identität oder Genderismus durchaus ähnliche Positionen vertreten, kann es Differenzen bei Fragen wie Steuergerechtigkeit, Rentenhöhe, Krankenkassenbeiträge, Mietbremsen oder Arbeitslosenversicherung geben.“

Damit ist eine Kernaufgabe anti-populistischer Rhetorik beschrieben: Sie lautet „spalten statt einen“, indem man die AfD in Sachdiskussionen zwingt und dabei ihre inneren Widersprüche und Konflikte zu Tage fördert. Populistische Rhetorik mag ausreichen, um einen AfD-Parteitag auf Betriebstemperatur bringen. In einer Plenardebatte über das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz oder die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung lässt das hohle Gerede vom „Volk“, von der „Wahrheit“ und der „Alternative für Deutschland“ sich mit ein wenig rhetorischem Geschick schnell als Ansammlung von Argumentationsattrappen entlarven. Das Weltbild überzeugter Nationalisten wird dadurch vermutlich nicht ins Wanken geraten. Aber es macht die Botschaften und Erzählungen der AfD weniger glaubwürdig bei denjenigen, die für Argumente noch zugänglich sind. Allein schon deshalb sollte man der AfD nicht den Gefallen tun, sie auszugrenzen und zu diffamieren. Denn was, bitteschön, wäre zur Entzauberung populistischer Macht besser geeignet als die bewährte demokratische Praxis, als Gespräche und Debatten? Populisten kriegt man nicht klein, indem man sie vom demokratischen Diskurs fernhält, sondern nur, indem man sie dem demokratischen Diskurs aussetzt. Die Abgeordneten der AfD verdienen es deshalb, im Deutschen Bundestag behandelt zu werden wie alle anderen demokratisch gewählten Abgeordneten auch – als Fraktion, von der man Konzepte zur Steuerpolitik, zur Rentenpolitik oder zur Gesundheitspolitik erwartet, als Bundestagsmitglieder, von denen man Rechenschaft verlangt, was sie konkret für ihren Wahlkreis tun – und was für ihre Wählerinnen und Wähler. Mit „Volk“ und „Wahrheit“ ist es ganz schnell vorbei, wenn die argumentative Frontlinie nicht mehr zwischen Deutschen und Einwanderern verläuft, sondern zwischen Angestellten und Unternehmern oder zwischen Arbeitnehmern und Rentnern. Im Übrigen haben CDU, CSU, SPD, Grüne und Linke allesamt Rednerinnen und Redner aufzubieten, denen man durchaus zutrauen darf, die heiße Luft in der populistischen Rhetorik sichtbar zu machen – so wie eine Karikatur aus dem Jahr 2015, die den damaligen Parteichef Bernd Lucke mit einem gewaltigen AfD-Staubsauger zeigt, eingerahmt von den Worten: „Es saugt und bläst der Heinzelmann … wo Mutti sonst nur blasen kann.“

Das ist vielleicht das Beruhigende: Wir Demokraten haben zwar keine anti-populistische Zauberformel; aber die Populisten haben auch keine anti-demokratische Zauberformel. Sie und wir haben nur die Freiheit der Rede, die Kraft der Worte. Dass Alexander Gauland noch am Wahlabend zur Jagd auf die Bundesregierung geblasen hat, verbunden mit dem Versprechen, seine Partei werde sich „unser Volk und unser Land zurückholen“, sollte man deshalb ganz gelassen sehen. Alexander Gauland hat es nicht einmal geschafft, das Direktmandat für seinen Brandenburger Wahlkreis in der Region Frankfurt an der Oder zu holen. Geholt hat es der Direktkandidat der CDU, Martin Patzelt, der 2015 zwei Flüchtlinge aus Eritrea bei sich aufgenommen hatte und sich dafür im Wahlkampf als „Volksverräter“ beschimpfen lassen musste. Martin Patzelt hat im Wahlkampf auf die Kraft der Worte vertraut und versucht, mit so vielen Menschen wie möglich persönlich ins Gespräch zu kommen. Eine Radtour durch Brandenburg in den letzten neun Tagen vor der Wahl führte ihn unter anderem in „Seidels Bierstuben“ in Brieskow-Finkenheerd an der polnischen Grenze, wo ihm ein Wutbürger seinen ganzen Zorn ins Gesicht brüllte. Ihm sei schlagartig klargeworden, wird Patzelt in einem Zeitungsartikel zitiert, „dass sehr viele Menschen sich hier wirklich von der Politik total verlassen fühlen“ – und dass Politiker diese Menschen mit ihrer Sprache und ihrer Denkweise kaum noch erreichten. Patzelt hat sich auf populistischen Jagdgründen für die direkte Konfrontation und gegen eine rhetorische Augen-zu-und-durch-Strategie mit den üblichen Politikfloskeln entschieden. „Zukunft ist nicht ,Wünsch Dir was‘, sondern ,Mach was‘“, war auf seinen Plakaten zu lesen. Er hat das Gespräch gesucht, er hat zugehört, er hat persönliche Worte gefunden – und er hat einen Wahlkreis gewonnen, den die AfD für locker zu holen hielt. Wie auch immer genau ihm dies rhetorisch geglückt sein mag – er hat mit Hirn, Herz und Haltung überzeugt. Dagegen kam ein Alexander Gauland nicht an.

Populisten sind eben vor allem dort erfolgreich, wo es brachliegende, von Argumentation und Verständigung unbewirtschaftete Felder des demokratischen Diskurses gibt, und das gilt nicht nur regional, sondern auch thematisch: wo Probleme ignoriert, beschönigt oder klein geredet werden, und Demokraten sich hinter Floskeln verschanzen, sich zurückgezogen oder nie hingetraut haben, aus Desinteresse, aus falsch verstandener Toleranz oder aus Angst, selbst in die rechte Ecke gestellt zu werden. Das Schweigen, die Phrase und der Euphemismus sind stille Komplizen populistischer Rhetorik, und nirgendwo sind sie in den vergangenen Jahren wirkungsvoller in Erscheinung getreten als in der Debatte über Zuwanderung und multikulturelle Vielfalt: auf dem Feld also, das Rechtspopulisten mit maximalem Ertrag bewirtschaften. Solche Gebiete für den zivilisierten Austausch zurück zu erobern und auf diese Weise eine Debattenkultur zu schaffen, in der der Populismus keinen Nährboden findet, ist die vielleicht größte rhetorische Herausforderung der kommenden Jahre. Anders ausgedrückt: Wer keine Fliegen im Ohr der Elefanten will, muss auch den Sumpf trockenlegen, in dem sie sich vermehren können.

 

Dieser Text ist die geringfügig geänderte Fassung eines Vortrags im Rahmen der Tagung „Sprechkultur 2017“  am 29. September 2017 an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart

 

 

Like what you see? Hier CARTA bei Facebook liken.

Was Sie tun können, um CARTA zu unterstützen? Folgen, liken und teilen Sie uns auf Facebook und Twitter. Unterstützen sie uns regelmäßig über die Plattform steady oder spenden Sie an den CARTA e.V. Wenn Sie über neue Texte und Debatten auf CARTA informiert werden wollen, abonnieren Sie bitte unseren Newsletter.

 

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.