von Marcus Müller, 15.7.13
Jetzt ist sie aber wirklich tot, die Zeitung, habe ich vor ein paar Wochen noch gedacht. Das kam so: Thomas de Maizière hörte so dies und das über eine Drohne, die nicht zu gebrauchen war und sein Verteidigungsministerium doch noch anschaffen wollte. Aber der Minister hörte erst davon, als alles entschieden war. Vorher war ihm dieser „Euro Hawk“ ein völlig unbekanntes Flugobjekt. Na ja, zuerst hieß es, dass er dieser Drohne praktisch nie zuvor so richtig entscheidungsmächtig, oder wie das heißt, begegnet war. Dann allerdings schon, aber nicht in einer Akte. Darauf begegnete ihm der „Euro Hawk“ sogar auch in einer Akte, aber nicht in einer richtigen.
Zwischendrin erfuhren ein paar Bundestagsabgeordnete ein bisschen was von dem Thema. Und dann machte ein Journalist, was ein Journalist gerne macht: Er schaute ins Archiv. Und siehe da! Hatte alles doch schon in der Zeitung (und so was Ähnlichem) gestanden, was sich da über dem „Euro Hawk“ zusammenbraute, bevor der korrekte Minister damit – in was für einer Form auch immer – „befasst“ worden war. Aber die Zeitung hatte er natürlich nie gelesen. Man muss sich den Frühstückstisch der Familie de Maizière als einen zeitungsfreien Ort vorstellen. Und wozu machen sie in mörderischer Frühe diese Pressespiegel in Ministerien? Runde Ablage wird das in den Behörden dieses Landes mit dem berühmten Mangel auch an sprachlichem Humor genannt.
Da habe ich gedacht: Tot! Wenn selbst die, die ständig drin vorkommen und die auch ihre Bedeutung daran messen, ob und wie sie darin stehen, sie nicht mehr lesen – dann geht es der Zeitung echt elend.
Aber es gibt Hoffnung, und wie so oft in letzter Zeit, trägt die einen blassen Blazer: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die hat nun auch gerade eine unschöne Sache am Hals, neben den Ketten, die sie sich umlegt. Eben erst war der US-Präsident zu einem Eins-A-Wahlkampfbilder-Shooting bei bestem Wetter da, schon verpufft diese Schmeichelei wieder, weil rauskommt, dass der das direkte Gespräch mit Merkel gar nicht benötigt. Seine NSA-Geheimdienst-Horcher sagen ihm lange vorher, was in „Old Europe“ ausbaldowert wird. Wusste Merkel natürlich nichts von, schließlich regiert sie dieses Land erst seit 2005. Und wenn irgendwas schief läuft, sind ohnehin die Rot-Grünen von davor schuld. (Aber wiederum auch nicht dieser ganz dicke Schwarze von noch früher, nur damit das klar ist! Das soll hier ja kein Historikerseminar werden.)
Jedenfalls wächst die Zuversicht, wann immer diese Bundeskanzlerin spricht. Zu den Spitzeleien sagte sie jetzt der Zeit: „Von Programmen wie Prism habe ich durch die aktuelle Berichterstattung Kenntnis genommen.“ Und das ist doch schön! Nicht nur, dass sie es überhaupt getan hat. So was kann ja schnell an einem vorbeirauschen, wenn man morgens nicht auf den Vorort-Bus angewiesen ist, in dem die Leute dies und das ausplaudern, was sie gehört haben, und man schon dadurch einfach eine Menge mitbekommt. Wie sie es getan hat, das ist sensationell!
Offenbar meidet Merkel Medien nur, wenn sie darin sich und ihre Politik einmal genauer erklären soll. Das kommt noch immer so oft vor, wie es Bananen in der DDR gab. Aber dafür schmökert sie in Medien: Man darf sich die Bundeskanzlerin als Zeitungsleserin vorstellen. Vielleicht sogar als Surferin in diesem „Neuland“? Schrill!
Dabei „nimmt“ die oberste Bürokratin dieses Landes „Kenntnis“. Ein so unendlich wohltuender Zug, wo doch sonst Politiker immer alles gestalten wollen. Wahrscheinlich zeichnet Merkel sogar den mühsam zurechtgeschnibbelten Pressespiegel (Die Kanzlermappe!) ab, damit die Steffen-Seibert-Leute im Bundespresseamt vor Freude auch so schön rote Bäckchen bekommen, wie der frühere ZDF-Nachrichtensprecher, wenn er neben seiner Chefin hockt. Am Donnerstag löst Merkel dann bestimmt noch schnell die irre schweren Rätsel in der Zeit und gibt sie für alle in die Hauspost des Bundeskanzleramts, zur gefälligen Kenntnisnahme.
Seit ihre Regierung ein für die deutschen Verlage so richtig schönes Leistungsschutzrecht zusammengekloppt hat, nimmt Merkel danach wohl auch wieder ohne Gewissensbisse den Tee mit Friede Springer – und fertig ist eine neo-feudalistische Politik, mit der man in diesem Land offenbar ein paar schöne Jahre an der Macht verbringen kann. Zum Neofeudalismus würde auch noch passen, dass im Bundeskanzleramt zufällig der Bruder eines Lobbyisten der sehr am Leistungsschutzrecht interessierten Axel Springer AG sitzt. Aber das würde jetzt wirklich zu weit führen, und wenn Merkel es nicht ohnehin wusste, hat sie davon bestimmt schon hier, hier oder hier Kenntnis genommen.
Logischerweise kann es für diesen Umgang mit der bedeutenden Kulturtechnik des Zeitunglesens nur einen Abzug in der B-Note für de Maizière sowie ein Plus für Merkel geben. (Aktualisierend muss am 13.7.2013 noch ein Abzug für de Maizière hinzugefügt werden, weil der offenbar auch seine internen Unterlagen nicht liest. Aber vielleicht dringen die zufälligerweise auch nie ganz zu ihm vor, wenn sie brenzlig sind.)
Zeigen Politik, Gesellschaft, Medien und PR-Salat-Verkäufer ausreichend Grazie, wenn sie ihre Tätigkeit in Wort, Schrift, Bild und Hosenanzug ausführen? So wie das für Eiskunstläufer festgestellt wird, will Marcus Müller das in seiner Kolumne B-NOTE über unser Öffentlichkeitspersonal für den debattiersalon herausfinden.