#Aufmerksamkeitsökonomie

Medienökonomie – jenseits von Politik und Moral

von , 15.1.13

Nicht, um den vielen Kritikern zu widersprechen, sondern zur Abklärung, einer engen Verwandten der Aufklärung, soll ein Blick auf die Ökonomie der Medien geworfen werden, der sich von Politik und Moral nicht trüben lässt. Dieser Blick interessiert sich primär für Strukturfragen. Strukturen in den Vordergrund zu stellen, wird oft damit gleichgesetzt, die handelnden Personen für machtlos zu erklären. Das Gegenteil ist beabsichtigt. Strukturen aufzudecken, hilft, die Handlungen der Personen besser zu verstehen und damit für mögliches anderes Handeln ‚freizuschalten‘.

Medienökonomie systemisch zu rekonstruieren bedeutet, öffentliche Kommunikation und wirtschaftliche Arbeit zu beschreiben. Medien sind eine Komponente des Mitteilungshandelns. Mitteilungen bilden den Mittelpunkt der Kommunikation; vor allem der öffentlichen Kommunikation im Fall der Medienökonomie. Die Wirtschaft ist ein gesellschaftliches Teilsystem, dessen Organisationen ihre Leistungen so zu erbringen versuchen, dass sich der Sinn des Wirtschaftens erfüllt: einen nicht verbrauchten Überschuss zu erzielen, der für weitere wirtschaftliche Verwendung zur Verfügung steht.

Bedürfnisse zu befriedigen, ist dabei für die Wirtschaft nur ein Mittel, das sie entsprechend groß anpreist, um ihr eigentliches Ziel zu erreichen. Die Wirtschaft, sagt Luhmann, folgt „nicht einer immanenten Logik des Bedarfs, sondern der Bedarf einer immanenten Logik der Wirtschaft.“ Wohin führt es, wenn Öffentlichkeit und Wirtschaftlichkeit fusionieren? Der traditionelle Debattenstrang antwortet mit dem Hinweis auf den Warencharakter der Information. Dabei bekommt die Information die Rolle des Unschuldslamms; die Ware gilt als der böse Wolf, der alle guten Eigenschaften der Information verschlingt. Ein bisschen viel Märchen.

Das wohl auffälligste Merkmal der Medienlandschaft ist die oft beklagte Spaltung in wenige Branchenhünen und viele, ständig existenzgefährdete Liliputaner. „Die Kleinunternehmen sind so typisch für die Medienbranche, dass sie einen eigenen Namen – independents – bekommen haben. Sie operieren mit einem insgesamt teureren Kostengerüst, weil sie nur kleine Kopienauflagen verkaufen. Sie beschränken ihr Verlustrisiko durch geringen Aufwand für Einzelprojekte, behalten aber die Chance eines Überraschungserfolgs.

In den Kleinunternehmen werden durch Jobkombination, Einsatz von Privatvermögen und Selbstausbeutung die finanziellen und personellen Ressourcen generiert, die einen kontinuierlichen Betrieb bei geringen und unsicheren Erträgen ermöglichen.“ (Michael Hutter) An dem sozialen Graben, der europäische und US-amerikanische Regionen trotz ihres hohen Wohlstandsniveaus durchzieht, baggert die Medienbranche mit großen Schaufeln.

Sind Medienriesen rücksichtsloser als die Großkonzerne anderer Branchen? Stellen sich die vielen Kleinen und Freien, die auf Glanz, Gloria und Clickstorms  hoffen, besonders tolpatschig an, vielleicht weil sie zu viel träumen? Medienökonomie findet unter Strukturbedingungen statt, die genau diese Zustände hervorbringen, unter denen Die-da-unten zwischen Träumen und Bankrott, Die-da-oben zwischen Megahype und Größenwahn leben. Weshalb?

Öffentliche Kommunikation, die es mit einem unbekannten, unabgeschlossenen, unabhängigen, inzwischen globalen Publikum zu tun hat, hängt am Tropf der Aufmerksamkeit dieses Publikums. Off- und Online-Publikationen, die nicht wahrgenommen werden, haben ihren Sinn verfehlt. Publizistischer Erfolg ist in der Logik des Öffentlichkeitssystems  – weder für Texte, noch für Töne, noch für Bilder – eine Frage der Qualität, sondern der Quantität der Auflage, der Quote und der Klickrate. Natürlich kann man sich als ‚Publizist‘ mit der Qualität seiner Veröffentlichungen und der Exklusivität seines Publikums trösten, aber es ist eben nur ein Trost, der benötigt wird, wenn selbst der letzte Platz der Bestsellerliste verdammt weit weg ist.

Aufmerksamkeit ist ein tückisches Ding. Sie wendet sich dem zu, der sie schon hat. In der Währung Aufmerksamkeit wird – wie in jeder Geldwährung – immer auf den größten Haufen geschissen. Geld stinkt nicht, niemand fragt nach seiner Vergangenheit. Aufmerksamkeit ist moralfrei, Amoralität nützt ihr, weil sowohl der Fehltritt als auch die Erregung darüber zum Hinschauen verführen. Aufmerksamkeit  fühlt nichts, sie lässt sich von Katastrophen füttern. Redaktionen legen üblicherweise die Zahl der Toten fest, die sie für aufmerksamkeitsträchtig halten; daran kann sich der Volontär, der Nachtschicht hat, orientieren.

So funktioniert das innere Bewegungsgesetz der Medienökonomie: Der Kommunikationserfolg, die erreichte Aufmerksamkeit,  treibt die Erfolgsspirale weiter. Der Star wird leichter zum Superstar als der Nobody zum Sternchen. Der Wirtschaftserfolg, der erzielte Gewinn, erleichtert die nächste Million; die erste ist bekanntlich die schwerste. Das Zusammenwirken dieser beiden Steigerungsspiele macht den publizistisch Erfolgreichen reicher und die Reichen publizistisch erfolgreicher.

Wenn das stimmt, relativiert sich die Kritik an den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, sie seien nur noch auf der Jagd nach Quote. Die ist einfach der Maßstab, mit dem das Öffentlichkeitssystem operiert. Wer publizistisch als Gewinner dastehen will, muss eine hohe Quote, Klickrate oder Auflage vorweisen. Die Privaten haben den Vorteil, dass sie mit publizistischen Siegen Kohle machen und mit diesen Kohlen ihr publizistisches Feuer anfachen, darauf dann wieder ihr wirtschaftliches Süppchen kochen und so weiter. Aus diesem Steigerungsspiel ausgeschlossen zu sein, bedroht die Öffentlich-Rechtlichen. Deshalb brauchen sie politische Unterstützung, nicht das Genörgel von Gesinnungsschwestern  und Betbrüdern.

Natürlich kann man wehklagend die Hände über dem Kopf zusammenschlagen angesichts der Behauptung, für Veröffentlichungen gelte kein anderes Bewertungskriterium als ihre quantitative Rezeption. Im politischen System haben wir uns daran gewöhnt und feiern es sogar als Fortschritt, dass jede Wählerinnen- und Wählerstimme gleich zählt, egal ob eine Professorin, ein Milliardär, ein Pförtner, eine Obdachlose abstimmt. Im Wirtschaftssystem ist es ganz klar, dass die Höhe des Geldbetrags zählt, nicht, wer ihn in der Hand hält.

Im Öffentlichkeitssystem tun wir uns schwer, uns daran zu gewöhnen, dass die Abstimmung am Kiosk, an der Fernbedienung und an der Computermaus alles entscheiden soll. Niemand, der politisch urteilt, kann das akzeptieren. Aber das Öffentlichkeitssystem hat sich von der Politik im Prinzip unabhängig gemacht, wie die Wissenschaft und die Wirtschaft auch. Die Politik schafft es ja kaum noch, jenseits von Skandalen als interessantes öffentliches Thema Beachtung zu finden. Politikverdrossenheit hat in der Medienökonomie eine wichtige Ursache.

Es ist richtig und wichtig, zu kritisieren und dagegen zu protestieren, dass Prominenz und Sensation die Fixsterne öffentlicher Kommunikation sind. Solche Zustände sind weder gottgewollt noch naturgegeben. Gesellschaftliche Strukturen sind nichts anderes als einbetonierte Erwartungen. Man kann sie ändern, nicht im Alleingang, auch nicht im Hauruckverfahren von heute auf morgen. Was ist die wichtigste Bedingung der Möglichkeit, herrschende Strukturen aufzubrechen und vielleicht bessere zu etablieren? Sie zur Kenntnis zu nehmen, statt darüber hinweg zu politisieren und zu moralisieren.
 

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