#Journalismus

Medien-Stresstest

von , 23.9.10

Viele meiner Journalisten-Kollegen arbeiten inzwischen in der Ausbildung. Und ich habe das Gefühl: Es werden immer mehr! Sie machen „Coaching“ und „Consulting“ für andere Journalisten (und Journalistenschüler) oder workshoppen in Erzählcafés, wie man Themen findet und Texte twittert.

Jede kleine Fachhochschule, die gerne mal Uni genannt werden möchte, richtet inzwischen Multimedienstudiengänge ein, weil der Qualitätsberuf „Irgendwas-mit-Medien“ zur Standortpolitik (und zur Corporate Identity) sämtlicher deutscher Klein- und Mittelmetropolen gehört.

Qualitätsjournalisten veranstalten gefühlt alle drei Minuten Qualitäts-Journalisten-Reporter-Netzwerk-Workshops oder diskutieren mit Qualitätsjournalismusexperten auf Medientagen und Stiftungsforenkongressdisputen keynotespeaker-mäßig und impuls-referatig Gegenwart und Zukunft des Multi-Medien-Journalismus, nicht zu vergessen die tausend Media-Business-Design-Akademien und die 500 Euro teuren Video-Journalismus-Interview-Lehrgänge politischer, kirchlicher oder projektbezogener Stiftungen – und all die Legionen von Medienblogs oder Irgendwas-mit-Medien-Blogs, in denen Journalisten und beratende Journalisten und journalistische Beratungsjournalisten mit Medienexperten die Online-Strategien des Qualitäts-Journalismus durchexerzieren, bis die Laptops qualmen und die Leser den Qualitäts-Multimedia-Diskurs so was von über haben, dass die Mastermedien-Bachelor-Absolventen im Rahmen ihrer Spezialmediadesign-Ausbildung (oder nach Teilnahme an einer der zig Millionen Frühling-Sommer-Herbst-und-Winterakademien) dazu verdonnert werden, Hauptseminar-Surveys unter Web-2.0-Journalisten zu veranstalten, in denen herausgefunden werden soll, warum der digitale Graben immer breiter, tiefer und länger wird…

Das ist zweifellos eine wichtige und tolle Sache (und es spiegelt ja auch den Trend der Zeit).

Aber gleichzeitig höre ich, dass diese Journalismusexpertenmassen, die derzeit an Massenmultimedieninstituten ausgebildet werden, in Zukunft gar nicht mehr gebraucht werden, weil die Redaktionsarbeit zum größten Teil von Algorithmen, südchinesischen Wanderarbeitern und Facebookdaumen erledigt werden soll.

Aber dann denke ich mir: Vielleicht gewinnen ja all die weitergebildeten Gelegenheitsqualitätsjournalisten, Bürgervideoreporter, Flipboard-Ergänzungs-Dienstleister, Social-Media-Kontextgeber und User-Generated-Content-Experten durch die  Rationalisierungsprozesse der Medienbranche ausreichend Zeit, in Zukunft ganztägig auf Stiftungspodien und Livestream-Konferenzen in der Micromedia-Academy von Klein-Breetzendorf oder in der Media-Management-Sektion der Hamburg School of Business Administration oder im Master-of-Science-Abschluss-Panel der Rüsselsheimer Culture-University darüber zu diskutieren, wie die Ergebnisse der letzten Irgendwas-mit-Medien-Stresstests zu bewerten sind…

Sorry, Kollegen. Es musste mal raus… Stressreaktion!… Geht schon wieder…

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