#Alltag

LOHAS als Klimaretter? Abschied von einer Illusion

von , 12.2.09


Die Umweltdebatte zeichnet sich hierzulande, aber auch in Großbritannien und den USA, durch eine bemerkenswerte Skepsis gegenüber den Möglichkeiten institutionalisierter Politik aus. Die Notwendigkeit „umweltfreundlichen“ Handelns wird durchgängig auf zwei Ebenen zugleich thematisiert. Gefragt sei nicht nur eine konsequente Umweltpolitik. Notwendig seien aber mindestens ebenso sehr auch Bewusstseins- und Verhaltensänderungen im Alltag eines jeden Einzelnen. Klimabewusstes Alltagshandeln gilt mindestens als notwendige Ergänzung, wenn nicht gar als Voraussetzung konsequenter Klimapolitik.

Doch im derzeitigen Boom von Klimaratgebern und Öko-Lifestyle-Internetportalen, im Kauf von Autos mit Hybrid-Antrieb oder dem Wechsel zu Ökostrom-Tarifen drückt sich nicht nur ein fehlendes Vertrauen in den Politikbetrieb aus, sondern auch eine immense Überschätzung „politisierter“ Alltagspraxis. Denn diese gelangt häufig kaum über die Sphäre der symbolischen Ökonomie des Avantgarde-Bewusstseins hinaus, auch die klimapolitischen Effekte bleiben eher bescheiden.

Zwar ist das Umweltbewusstsein in Deutschland traditionell vergleichsweise stark ausgeprägt, in einer veränderten Alltagspraxis schlägt sich dies jedoch nach wie vor nur bei den wenigsten nieder – ein Umstand, der eine ganze Generation von Umweltpädagogen und -psychologen nicht nur zur Verzweiflung, sondern auch in Lohn und Brot gebracht hat. Den Versuch eines „nachhaltigen Lebensstils“ unternimmt lediglich eine kleine, wenn auch diskursmächtige Minderheit, die sich nicht zuletzt durch eine Kombination von hohen Bildungsabschlüssen und mindestens durchschnittlichen Einkommen auszeichnet.

Zu den seit den 70er Jahren bekannten “Verzichtsökos” gesellen sich in jüngster Zeit auch Gruppen, die globales Verantwortungsbewusstsein mit ausgesprochener Konsumfreude kombinieren. Das Alltagshandeln der sog. LOHAS (abgeleitet von „Lifestyle of Health and Sustainability“) richtet sich nicht auf die Minimierung von Material- und Energieflüssen, sondern auf deren Umlenkung in nachhaltigere Bahnen. Im Mittelpunkt steht nicht die persönliche Einschränkung, sondern der „strategische Konsum“. Das Motto des wichtigsten deutschsprachigen Öko-Lifestyle-Portals utopia.de lautet dementsprechend: „Kauf Dir eine bessere Welt“.

Ein “klimabewusster” Lebensstil ist aus Sicht des Einzelnen aber nur dann erstrebenswert, wenn die eigenen Anstrengungen auch mit positiven Bedeutungskonnotationen versehen werden können. Diese „emotionale Rendite“ kann oft schon allein durch das Gefühl realisiert werden, einen positiven Beitrag für die Zukunft der eigenen Kinder geleistet zu haben. Am sichersten gelingt diese Operation noch immer im beständigen Vergleich mit anderen, weniger umweltbewussten Existenzen – sei es in der moralisierenden Abwertung der Ignoranten in der eigenen Nachbarschaft („das muss doch wirklich nicht sein“), sei es in der selbstgerechten Verurteilung von China, Brasilien und den USA, die gern unter Generalverdacht gestellt werden, „unser Klima zu ruinieren“.

Man könnte über die Fragwürdigkeit solcher Motivlagen getrost hinwegsehen, wenn sie denn spürbar positive Klima-Effekte nach sich ziehen würden. Dies aber ist allzu häufig nicht der Fall, vor allem deshalb, weil der Einzelne der Komplexität klimapolitischer und energiewirtschaftlicher Funktionszusammenhänge meist nicht gewachsen ist.

Nur ein Beispiel: Dem gesunden Menschenverstand scheint es zwingend, dass Stromsparen im Haushalt zu einer Verminderung des CO2-Ausstoßes führen wird. Dem ist jedoch mitnichten so. Denn das EU-Emissionshandelssystem ist so konstruiert, dass das Gesamtvolumen der Emissionsberechtigungen, die von Kraftwerksbetreibern und energieintensiven Industriezweigen erworben werden müssen, schon auf Jahre hinaus festgelegt ist, mit stetig sinkender Tendenz. Eine verminderte Elektrizitätsnachfrage privater Haushalte ändert nichts an der Gesamtzahl der ohnehin knappen Zertifikate. Zwar kann durch privates Stromsparen zunächst der CO2-Ausstoß eines nahegelegenen Kohle- oder Gaskraftwerks sinken, es ermöglicht den Kraftwerksbetreibern jedoch, die nun überschüssigen Zertifikate an der Strombörse zu verkaufen. Die Emissionen werden also lediglich verlagert, entweder auf andere Kraftwerke oder hin zu industriellen Großverbrauchern von Elektrizität.

Je mehr die umweltbewussten Haushalte einsparen, desto mehr und demzufolge günstigere Zertifikate kommen auf den Markt. Davon profitieren vor allem energieintensive Industrien wie Stahl- und Aluminiumhütten, für die der Druck zur Anpassung ihrer Produktionsprozesse ein wenig abgemildert wird – was in volkswirtschaftlicher Hinsicht nicht das Schlechteste sein muss, für den klimasensitiven Verbraucher aber wohl kaum der Grund gewesen sein dürfte, sich eine effizientere Waschmaschine zuzulegen. Wer als Einzelner innerhalb des bestehenden Systems einen positiven Klimaeffekt erzielen will, hat im Grunde nur eine – erstmals von sandbag.org.uk vorgeschlagene – Möglichkeit: selbst Emissionszertifikate an der Börse kaufen und nicht wieder in Verkehr bringen.

Die Liste alltäglicher Beispiele für nicht-intendierte Effekte oder nur unzureichend durchschaute Zusammenhänge ließe sich beinahe beliebig verlängern. Wer vermag schon mit Sicherheit zu sagen, welcher Ökostromtarif keine Mogelpackung darstellt, sondern tatsächlich positive Umwelteffekte zeitigt, ob Biogemüse aus Spanien gegenüber konventionell angebautem aus der Region zu bevorzugen wäre oder wie es um die CO2-Bilanz verschiedener Sorten von Biokraftstoffen bestellt ist?

Eine Minderheit – gewissermaßen die Avantgarde der Avantgarde – konsultiert in solchen Fragen eifrig die einschlägigen Fachmedien. Die Mehrheit aber steigt an genau diesem Punkt aus, eben weil der Alltag in der Spätmoderne noch ganz andere Herausforderungen bereit hält, als einen zweifelsfrei nachhaltigen Lebensstil zu pflegen, etwa: Geld verdienen, die Kinder zum Sport bringen, den nächsten Kurzurlaub planen, mal eben kurz in die Mails schauen.

Die faktische Kapitulation vor der Komplexität schlägt sich meist jedoch nicht in einem Zurückfahren der Ansprüche an das eigene Handeln nieder. Weil der Alltagsverstand aber nichts mehr fürchtet als fortwährende Ambivalenzen, wird das Wissen einfach den eigenen Möglichkeiten und Präferenzen angepasst. Die Systemausschnitte für die möglichst positive Bewertung der eigenen Alltagspraxis werden so gewählt, dass der Vorreiter-Anspruch gewahrt und das Gewissen beruhigt bleibt. Der Erfolg des Toyota Prius ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass er seinen Besitzern ein “grünes” Image verleiht.

Misst man den Ansatz einer ökologisch ausgerichteten „Alltagspolitik“ an seinen eigenen Ansprüchen, so fällt die Bilanz der letzten 30 Jahre doch recht bescheiden aus. Nicht einmal Energiesparlampen und CO2-arme Autos haben sich bislang am Markt durchsetzen können, allem Umweltbewusstsein zum Trotz. Auf die Energie- und Materialeffizienz von industriellen Produktionsprozessen haben Endverbraucher ohnehin keinen Einfluss. Eine „Individualisierung von Verantwortung“ kann deshalb nicht zum Ersatz für den erfolgversprechenderen Weg einer politischen Regulierung werden. Es hat sich als wenig effektiv erwiesen, energie- und klimapolitische Entscheidungen mit gruppenspezifischen Moralvorstellungen aufzuladen. Weitaus zielführender ist es, durch politische Rahmensetzungen vermehrt Anreize für professionelle Akteure zu schaffen, eine Vielzahl von energieeffizienten und klimafreundlichen Lösungen zu entwickeln und diesen im größeren Maßstab zum Durchbruch zu verhelfen.

So ist etwa der vergleichsweise hohe Ausbaustand bei erneuerbaren Energieträgern in Deutschland keineswegs einer besonders großen Zahl an bewussten Ökostromkonsumenten zuzuschreiben, sondern dem regulatorischen Modell der Einspeisevergütung, das den Anbietern ein hohes Maß an Planungssicherheit verschafft, indem es die großen Energieversorger dazu zwingt, die Gesamtproduktion an Wind- und Solarstrom zu staatlich festgelegten Preisen in die Elektrizitätsnetze einzuspeisen und die anfallenden Kosten „ungefragt“ auf alle Stromkunden umzulegen. Und seit die EU im März 2007 im Grundsatz beschlossen hat, den Anteil der Erneuerbaren am Energieverbrauch bis 2020 auf 20% zu steigern, investieren auch die großen Energieversorger massiv in diesen Sektor. Nicht deshalb, weil sie plötzlich „grün“ geworden wären, sondern weil dieses Geschäftsfeld aufgrund politischer Grundsatzentscheidungen ökonomisch lukrativ zu werden verspricht.

Eine De-Politisierung der Alltagspraxis wäre keineswegs gleichbedeutend mit dem Ende von Umweltpolitik, ganz im Gegenteil. Sie brächte dem Einzelnen nicht nur eine Entlastung von letztlich uneinlösbaren Ansprüchen an sein individuelles Handeln. Sie könnte zugleich auch eine Re-Politisierung des Umweltbewusstseins beflügeln. Denn die entscheidenden Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Veränderungen werden nicht auf dem Feld des privaten Konsums ausgetragen, sondern auf dem der institutionalisierten Politik.

Ambitionierte klimapolitische Ziele werden sich nur erreichen lassen, wenn Gesellschaften über wirkmächtige und am Gemeinwohl orientierte Steuerungsinstanzen verfügen. Dass Regierungen und Parteien weltweit bislang nur einen bescheidenen klimapolitischen Leistungsnachweis erbracht haben, gibt Anlass zu großer Skepsis, kann jedoch nicht bedeuten, das Potential staatlicher Regulierung schlicht zu negieren und statt dessen auf die scheinbare Macht des mündigen Verbrauchers zu bauen. “Kritischer Konsum” ist als klimapolitische Strategie in etwa so erfolgversprechend wie “freiwillige Selbstverpflichtungen” der Industrie.

Dieser Text ist eine gekürzte und überarbeitete Version eines Beitrags, der unter dem Titel “Strategischer Konsum statt nachhaltiger Politik?” im Schwerpunktheft “Klimapolitik und Solidarität” der Zeitschrift “Transit – Europäische Revue” erschienen ist.

RSS Feed

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.
Topics: | |