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Leseempfehlungen zur Bundespräsidentenwahl

von , 29.6.10

Michael Spreng spricht sich mit Der Zuckerwatte-Präsident gegen Wullf aus. Er sei solle “den Wählern etwas verkaufen, was nichts mehr oder nicht mehr viel wert ist –  die schwarz-gelbe K.o.alition.” Wulff ist demnach der profillose Kandidat. Spreng kritisiert: “Ein Bundespräsident soll kein parteiischer Präsident sein, aber er darf eine klare, nicht verschwiemelte Meinung haben.” Zu Gauck schreibt Spreng nicht viel:

Ich will hier kein Loblied auf Joachim Gauck singen, aber er schmeichelt sich wenigstens nicht ein, er zeigt Ecken und Kanten. Er will auch keine Grundüberzeugung opfern, um sich bei der Linkspartei anzubiedern, die er auf Bundesebene für nicht regierungsfähig hält. Vielleicht fehlt ihm noch eine Portion soziale Sensibilität, vielleicht überhöht er etwas seinen Freiheitsbegriff, aber er ist wenigstens ein Typ, ein Kerl, kein Zuckerwatte-Verkäufer.

Auf F!XMBR meint Christian Sickendieck: Joachim Gauck ist die Personifizierung des Leipziger Parteitages der CDU und des FDP-Parteiprogramms. Für ihn steht Gauck für den sozialdemokratischen Niedergang, da er beispielsweise Schröders Agenda 2010 verteidigt und als mutig bezeichnet habe. “Joachim Gauck ist Neoliberalist aus Überzeugung und verkauft diesen unter der Etikette Freiheit.” Daher sein Fazit:

Ich befürworte mittlerweile Christian Wulff als Bundespräsidenten. Nicht, dass ich von dem CDU-Mann überzeugt wäre, ganz bestimmt nicht. Er wäre schlicht und ergreifend das kleinere Übel. Christian Wulff wird alle Hände voll zu tun haben, sich als überparteilicher Bundespräsident zu beweisen. Er muss es vermeiden, auch nur im Ansatz als parteiisch zu gelten. Joachim Gauck hätte Narrenfreiheit im Schloss Bellevue.

Gunnar Sohn appelliert: Liebe Wahlfrauen und Wahlmänner der Bundesversammlung, es wird keinen Gustav Heinemann-Effekt geben! Gauck wählen!. Er meint, dass die FDP sich nicht sorgen müsse mit der Wahl Gaucks ein Signal für eine Ampel-Koalition auszusenden:

Gauck ist kein Lager-Kandidat, er lässt sich für solche Machtspielchen nicht instrumentalisieren. Merkel und auch der Gegenkandidat Wulff könnten gut mit einer „Niederlage“ umgehen.

Einen Beitrag aus dem Corriere della Sera hat Thierry Chervel vom Perlentaucher übersetzt: Andre Glucksmann zeigt die europäische Perspektive auf und meint, die Nominierung Gaucks und die recht einhelligen Reaktionen der Öffentlichkeit seien Ein erfrischendes Signal:

Die populäre Begeisterung für diesen außergewöhnlichen – und außerparteilichen – Mann zeigt, dass es in Deutschland und Europa so etwas wie ein Gedächtnis gibt. Die traurigen Ungewissheiten der Krise löschen die Befreiungsbewegung nicht aus, die den Kontinent innerhalb eines halben Jahrhunderts umgepflügt und die Riegel des Jalta-Vertrags geknackt hat. […]

Deutschland hat beide Ungeheuer des 20. Jahrhundets kennen gelernt. Ein Kandidat spricht sich ihm gegenüber “gegen das Vergessen, für die Demokratie” aus. Und es ist schön, dass es ihm zuhört. Und Europa mit ihm.

Auf Welt Online vergleicht Miriam Hollstein unter dem Titel Joachim Gauck ist der wahre James Bond die beiden Kandidaten mit James Bond-Darstellern. Wulff wird demnach zu Daniel Craig,  den sie jugendlich-dynamisch, lebensnah und zeitgemäß findet und an den sich das Publikum nach kurzer Zeit gewöhnt hätte. Sie resümmiert allerdings:

Aber ich stelle mir als Retter der Nation einen anderen vor. Einen Weisen, der sich nichts mehr beweisen muss. Der die strategischen Spiele schon längst hinter sich gelassen hat. Einen, der für die Freiheit seinen Kopf riskiert, den Bösen getrotzt und gleichzeitig immer wieder die richtigen Worte im richtigen Moment gefunden hat. Und der dabei stets wie ein echter Gentleman aussah. Für mich ist Joachim Gauck der Sean Connery von Bellevue. Der einzig wahre James Bond.

In der taz fragen Vera Lengsfeld und Ingo Arend Christian Wulff oder Joachim Gauck? und beschreiben jeweils die Vorzüge der Kandidaten:

In unserem weitgehend mit dem eigenen Machterhalt beschäftigten Politstablishment wirkt Joachim Gauck wie eine frische Brise. […] Er will keinen Fürsorgestaat, keine Bemutterung, sondern die Fähigkeit zur Selbstständigkeit. Eine solidarische Gesellschaft ist für ihn eine, die den Einzelnen ermächtigt, ein Bürger zu sein.

Mit Christian Wulff, dem Gestalt gewordenen Mainstream, würde auch das angenehm Unscheinbare und Provinzielle der Bonner Republik wiederkehren, das dem Publizisten Karlheinz Bohrer stets ein Dorn im Auge war. Demokratie, will sie nicht zum Stilkorsett werden, muss so “unästhetisch” sein wie dieser Mann ohne nennenswerte Eigenschaften.

Auf der Metaebene hervorzuheben ist der Artikel Einig Zeitungsland von Hans Leyendecker auf sueddeutsche.de:

Medienleute laufen oft mit Medienleuten um die Wette und bemühen sich, manchmal schnaufend, um Deutungshoheit. Einigen der Akteure ist selbst beim Rennen Lagerdenken nicht fremd: Ums Rechthaben geht es natürlich auch.

In diesen Tagen allerdings sind in diesem eitlen Gewerbe seltsame Phänomene zu beobachten: Deutschland ist (fast) einig Zeitungsland. Die meisten wichtigen Blätter finden die Kandidatur des von SPD und Grünen präsentierten parteilosen Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck offenkundig deutlich reizvoller als die Bewerbung des von Merkel und Westerwelle ausgeguckten Kandidaten Christian Wulff (CDU) – im Internet gibt es eine ganz breite Unterstützerszene für Gauck.

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