#Demokratie

Kongress “Öffentlichkeit & Demokratie”: Multitude im Internet – oder nicht?

von , 28.9.10

Teile der Linken waren einst geradezu Medienwandel- und Technologie-euphorisch, zumindest ging das bekanntlich Bertolt Brecht so. Heute hingegen scheint die Linke in Bezug auf mediale Entwicklungen eher zwischen Larmoyanz, Kritik und Aufbruch zu verharren:

Man könnte als progressiv denkender Mensch durchaus zu dem Schluss kommen, dass sich im Netz teilweise Multitude-Ansätze zu manifestieren beginnen. Doch zugleich sind die Vorbehalte auf der linken Seite des politischen Spektrums gegenüber der vermachteten und kommerzialisierten Öffentlichkeit gr0ß. Über den Zustand und die Qualität der politischen Öffentlichkeit hierzulande wird folglich derzeit sehr unterschiedlich geurteilt.

Ein Groß-Kongress in Berlin wird sich am kommenden Wochenende an einer breiten Zustandsanalyse zu diesem Thema versuchen. Unter dem Titel “Demokratie und Öffentlichkeit” wird es über 70 Veranstaltungen mit 130 Referenten in den Räumen der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und des Wissenschaftszentrums Berlins (WZB) geben.

Getragen wird die Veranstaltung von einem Bündnis von DJV über Humanistische Union, Hans Böckler Stiftung, Lobby Control bis zur Rosa Luxemburg Stiftung. Die Idee zu dem Kongress entstand vor drei Jahren auf einer Sommerakademie von Attac, wie Mitinitiator Dieter Rucht vom WZB erläutert.

In seinem Vorwort zur Veranstaltung schreibt Rucht:

Die Strukturen politischer Öffentlichkeit sind in vieler Hinsicht problematisch, diskussionswürdig und verbesserungsfähig. Kritik wird zumeist nur vereinzelt, ad hoc und auf Teilbereiche bezogen. Beim Kongress Öffentlichkeit und Demokratie sollen diese Debatten und die daran Interessierten zusammengebracht werden.

Es geht zunächst um eine breite Bestandsaufnahme, an der vornehmlich Professionelle im Medienbereich, politisch Aktive und WissenschaftlerInnen beteiligt sind und wechselseitig voneinander lernen sollen. Es darf aber nicht beim Kritisieren oder gar Lamentieren bleiben. Einzelne der Veranstaltungen des Kongresses dienen auch dazu, Möglichkeiten der politischen Intervention und Gestaltung zu erkunden und anzuregen.

Rucht geht es folglich nicht nur Medienanalyse als Gesellschaftanalyse, sondern auch um die Formation von öffentlickeitskritischen Aktionsbündnissen.

Das Internet wird auf dem Kongress eine große Rolle spielen. Zugleich wird aber auch deutlich, dass die Veranstalter einer emanzipatorischen Wirkung des Internets eher skeptisch gegenüber stehen. Rucht sagte uns auf Nachfrage:

Das Internet ist wichtig, aber es wird von den meisten Internetaktivisten überschätzt. Häufig werden die Potenziale des Netzes mit der realen Nutzung verwechselt. Es ist zudem kein gutes Medium, um neue Leute für ein politisches Thema zu interessieren oder gar zu mobilisieren.

Das Netz erscheint so gesehen eher als weitere Infrastruktur, in dem sich eine sozialpolitische ‘Gegenöffentlichkeit’ mit ihren Inhalten und Mobilisierungsversuchen eher schwer tut. Auf diese Weise bleibt der Kongress durchaus eher auch distanziert gegenüber Netz-Phänomenen, wie dem #Zensursula-Petitionserfolg und der Piratenpartei.

Carta wird die Veranstaltung auf jeden Fall interessiert und kritisch begleiten. Ich habe mal einige Programm-Highlights aus meiner Sicht herausgesucht:

Fr. 1. Oktober

18.30h (FES): Oskar Negt: Eröffnungsvortrag “Öffentlichkeit und  Demokratie”

Samstag, 2. Oktober

9.30h (WZB): Wolfgang Storz (Otto-Brenner-Stiftung), Wolfgang Lieb (NachDenkSeiten), Sven Giegold (MdEP): Wirtschaftsjournalismus und Finanzkrise

9.30h (FES): Daniel Dietrich (Open Data Network e.V.) Elmar Wigand (Lobby Control): Open Data: Datenschätze bergen und nutzbar machen

11.00h (WZB): Daniel Schmitt (Wikileaks): Anonymität im Netz

11.00h (WZB): Konstantin Neven DuMont (Verleger): Meinungsbildungsprozesse aus Sicht des Verlegers

11.00h (FES): Angelika Gardiner, Christopher Ramm, Dr. Manfred Brandt (abgeordnetenwatch.de), Prof. Hans Kleinsteuber: Wie durch Öffentlichkeit eine erfolgreiche Kontrolle von Abgeordneten hergestellt wird.

14.30h (FES): Walter van Rossum (Publizist):  Konformismus als journalistische Weltanschauung am Beispiel der Tagesschau

16.00h (FES): Peter Conradi (ehem. MdB, SPD) Winfried Hermann (MdB, B‘90/Grüne): Das Beispiel Stuttgart 21: Intransparenz – Protest – vierte Gewalt

Die Tageskarte kostet 25 Euro (ermässigt 10 Euro). Weite Teile des Kongresses werden übrigens auch auf der eigenen Website gestreamt.

Weiter Informationen hier: oeffentlichkeit-und-demokratie.de

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