von Ilja Braun, 5.12.13
Ein Gott, der alles sieht, der allgegenwärtig ist, omnipräsent – diese Vorstellung kann eine Quelle von Sicherheit sein, aber auch von Angst. Sie kann ein Gefühl von Aufgehobenheit erzeugen, aber auch eines von Unfreiheit.
Die Omnipräsenz digitaler Technik, dies lässt sich ohne jeden technischen Romantizismus feststellen, ruft ähnlich ambivalente Empfindungen hervor. Was verändert sich, wenn wir nicht mehr aktiv „ins Netz gehen“ müssen, weil uns umgebende Sensoren unsere Anwesenheit im Raum detektieren und die Informationen weitersenden? Was heißt es, wenn wir zukünftig immer häufiger mit Robotern interagieren? Die Digitalisierung ist tief in alle Lebensbereiche vorgedrungen, sie verändert unser Sozialverhalten ebenso wie unsere Arbeitswelt, aber auch unsere privaten Lebensräume, die zu digital vernetzten „Smart Homes“ werden sollen. Technologie umgibt und umgarnt uns. Haben wir sie im Griff? Auf der von der Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit der BITKOM veranstalteten Konferenz „netz:regeln“ mit dem Thema “Omnipräsenz – Leben und Handeln in der vernetzten Welt“ schwankte die Stimmung merklich zwischen Technikfaszination und Misstrauen.
Sarah Spiekermann vom Institut für Management-Informationssysteme in Wien wies darauf hin, dass die Verschmelzung der virtuellen mit der realen Welt längst viel weiter vorangeschritten sei, als man meine. Sie gab das Beispiel eines Vaters, der mit Hilfe von im Haus verteilten akustischen Sensoren massenhaft Daten über den Spracherwerb seines Kindes sammelt. Wird eines Tages, wenn die gesamte psychische Entwicklung eines Menschen derart in Datenform archiviert werden kann, das Datamining die Psychoanalyse ersetzen? Und was ist, wenn Roboter nicht nur laufen und sprechen lernen, sondern auch emotionale Reaktionen zeigen? Letztlich, so Spiekermann, gehe es nicht um Computer oder Roboter, sondern um die Frage, „wie sich die Technologie mit ökonomischen, politischen und kulturellen Trends verbindet.“ Sie plädierte für eine politische Agenda, die klare Verantwortungszuweisungen für das Handeln und die Entscheidungen von Maschinen vornimmt.
Auch jenseits der Cutting-edge-Technologien greift die Netztechnik tief in das Alltagsleben ein, etwa in der Arbeitswelt. Industrie 4.0 heißt hier das Stichwort. Wenn in einer Fabrik nicht nur jede Maschine, sondern auch jedes Werkteil, das gerade produziert wird, mit einer IP-Schnittstelle versehen ist, sodass alle Prozesse miteinander vernetzt werden können, werden Arbeitende dann nicht irgendwann überflüssig? Wilhelm Bauer vom Fraunhofer-Institut IAO an der Uni Stuttgart glaubt das nicht. Menschen würden auf jeden Fall auch in Zukunft benötigt, allerdings eher für anspruchsvollere Aufgaben, für Koordination und Supervision.
Constanze Kurz, Leiterin des Ressorts Branchenpolitik/Handwerk bei der IG Metall, sieht die Vision der menschleeren Fabrik auch noch nicht so bald Wirklichkeit werden. Dazu sei die Technik oft noch viel zu teuer. Allerdings stelle sich Unternehmen oft die Frage, ob sie Produktionsprozesse automatisieren oder in Billiglohnländer outsourcten. Einig war man sich darüber, dass der in den letzten Jahren viel beschworene Trend zu mehr Eigenverantwortung, Autonomie und Kreativität in der Arbeitswelt sich in der Praxis nicht wie erwartet realisiert habe. Stattdessen sei es oftmals eher zu einer Spaltung der Belegschaften gekommen: Neben kompetenten und gut bezahlten Ingenieuren und Informatikern zählten zunehmend unterbeschäftigte, „tayloristische Restarbeiter“ zum Kern eines Unternehmens. Dieser Trend, so Constanze Kurz, stelle nicht zuletzt die Gewerkschaften vor große Herausforderungen – ebenso wie die Dezentralisierung der Produktion, der sich mit 3D-Druckern bereits ankündige.
Solche Entwicklungen verlangen nach politischer Regulierung – doch die Politik, so konnte man Thomas Jarzombek (CDU) und Jan Philipp Albrecht (Grüne) verstehen, kommt dabei nicht voran. In den letzten Jahren, so Jarzombek, habe man so etwas wie Internetregulierung schlicht nicht hinbekommen, weil die technische Entwicklung stets schon einen Schritt voraus gewesen sei. Wenn eine Technik erst einmal etabliert und am Markt sei, sei es oft schon zu spät, um noch regulierend einzugreifen. Jan Philipp Albrecht wendete das ins Positive: Die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten müssten jetzt den Mut aufbringen, mit der europäischen Datenschutzgrundverordnung die Prinzipien und Werte Europas in die digitalisierte Welt hinüberzuretten. Es ist ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Bundesregierung, die Albrecht als Bremserin bei seinem Bemühen um die Durchsetzung der Reform wahrnimmt.
Am Ende bleibt das Gefühl, dass die Industrie, die die umfassende Vernetzung von allem und jedem, die Einbettung der gesamten Offline-Welt in ein Internet of things anstrebt, mehr wird liefern müssen als bloß das Versprechen, dass damit alles leichter und effizienter wird. Nämlich die Gewissheit, dass all jene, die auf die sie umgebenden Sensoren angewiesen sein werden, die Technik und die von ihr generierten und verarbeiteten Daten tatsächlich verstehen und kontrollieren können. Dass es dafür ein starkes Bedürfnis gibt, hat diese Konferenz gezeigt.
Crosspost von boell.de. Dort auch die Videos der Konferenz.