von Robin Meyer-Lucht, 25.3.09
Bundespräsident Horst Köhler hat gestern eine Rede gehalten, die eine deutlich raumgreifendere Exegese der aktuellen Krise darstellt, als man dies nach seinen zuletzt zurückhaltenden Auftritten erwarten konnte – und als dies irgendein anderer Bundespolitiker in den letzten Monaten getan hat. Die Rede war dabei keinesfalls kohärent, sondern eher ein Sammelsurium aus Erklärungs- und Deutungsansätzen. In diesen Tagen, in denen so einige Kommentatoren eine “ideologische Leere” angesichts der Wirtschaftskrise erkennen wollen, bot Köhler damit zumindest reichlich Anknüpfungspunkte und Diskussionsstoff.
Eine Schlüsselstelle der Rede war aus meiner Sicht der Absatz:
Gerade die Krise bestätigt den Wert der Sozialen Marktwirtschaft. Sie ist mehr als eine Wirtschaftsordnung. Sie ist eine Werteordnung. Sie vereinigt Freiheit und Verantwortung zum Nutzen aller. Gegen diese Kultur wurde verstoßen. Lassen Sie uns die kulturelle Leistung der Sozialen Marktwirtschaft neu entdecken. Es steht allen, insbesondere den Akteuren auf den Finanzmärkten, gut an, daraus auch Bescheidenheit abzuleiten und zu lernen.
Köhler hat damit nicht ungeschickt (seine solche Nicht-Rhetorik durchzog auch seine Rede) die Praxis der Marktwirtschaft kritisiert und ihr ideologisches Fundament verteidigt. Natürlich handelt es sich hier um eine “typische Politikerrede, Marke Sonntag” (FTD). Und natürlich hätte man sich von Köhler noch sehr viel mehr erwartet. Aber Köhler hat als einer der ersten Politiker einfache und richtige Worte zu den Ursachen gefunden und sie auch benannt:
Zu viele Leute mit viel zu wenig eigenem Geld konnten riesige Finanzhebel in Bewegung setzen. Viele Jahre lang gelang es, den Menschen weiszumachen, Schulden seien schon für sich genommen ein Wert; man müsse sie nur handelbar machen. Die Banken kauften und verkauften immer mehr Papiere, deren Wirkung sie selbst nicht mehr verstanden.
Richtig ist auch, dass Köhler seine Rede einer unangenehm populistischen Korona versehen hat. Eine Formulierung wie
Wir haben uns eingeredet, permanentes Wirtschaftswachstum sei die Antwort auf alle Fragen. Solange das Bruttoinlandsprodukt wächst, so die Logik, können wir alle Ansprüche finanzieren, die uns so sehr ans Herz gewachsen sind – und zugleich die Kosten dafür aufbringen, dass wir uns auf eine neue Welt einstellen müssen.
ist anbiedernder Unsinn. Denn natürlich basiert die Soziale Marktwirtschaft auf einer Wachstumsprämisse, wie Thomas Strobl richtig ausführt. Peinlich war, wie Köhler versuchte, sich zu Beginn der Rede zum gescheiterten Reformer des Finanzsystems zum erklären. Denn Köhler ist in den letzten Jahren nicht als Kritiker von freiem Markt, Deregulierung und freier Preisbildung aufgetreten –ganz im Gegenteil.
Köhlers Rede war besser als man erwarten konnte, radikaler möglicherweise auch, aber eben auch verhaftet in einer klassischen politischen Rhetorik. Leider zeigt sich auch, dass der Bundespräsident, der ein Umdenken fordert, noch immer nicht so recht die Mittel des Internets für sich zu nutzen weiß. Köhler ist so gesehen noch TV-Präsident. Er hat seine Rede in Textform auf seiner Seite veröffentlicht. Die Chance aber, den Bürgern seine Rede zum individuellen Abruf und in voller Länge im Netz zu präsentieren, nutzt er nicht. Auch auf YouTube gibt es das Video noch nicht. Köhlers Medienstrategie zeigt: Er ist ein unflexibler Präsident, der das Interesse am Neuen eher plakativ vor sich her trägt.
Alle reden von Obama und alle Politiker wollen Obama sein. Obamas Wirkung auf die Öffentlichkeit basiert maßgeblich auf dem Effekt, über Online-Videos in voller Länge die Bevölkerung zu erreichen. Diese Technik hat den politischen Diskurs beflügelt. Gerade in der Krise wäre sie wichtig. Doch Köhler sorgt sich noch nicht um diese Frage. Es gibt auch keine Möglichkeit, auf der Seite des Bundespräsidenten über die Rede zu diskutieren und ihm anderweitig Feedback zu geben. Köhler ist der un-interaktive Präsident.
Auch die deutschen TV-Stationen sorgen sich nicht sonderlich darum, die Rede von Köhler in voller Länge zur Verfügung zu stellen, man muss schon sehr danach suchen, bis man sie bei Phoenix findet. Phoenix wiederum ist nicht in der Lage das Video so anzubieten, dass es in andere Websites eingebunden werden kann. Warum das eigentlich nicht?
Als Beitrag zum politischen Diskurs und zur Diskussion um die ideologischen Folgen der Krise stellen wir hier mal Köhlers Rede zur Verfügung – mit Einbettungsfunktion für andere Blogs. Wie es sich gehört.