#Online-Wahlkampf

Koalitionsverhandlungen: Wo bleibt die digitale Anreicherung? Wo bleibt Twitter? Wo bleiben die Blogs?

von , 7.10.09

Der (Online-)Wahlkampf ist vorbei – und damit auch die Vergleiche mit der Über-Referenz Obama. Aber warum eigentlich? Denn auch bei der Regierungsbildung setzte der US-Präsident Maßstäbe in Sachen digitaler Mediennutzung.

Während der Übergangsphase zwischen dem Wahltag im November und der formellen Amtsübernahme im Januar lagen arbeitsreiche Monate der so genannten Presidential Transition – in dieser von langer Hand geplanter Übergangsphase vollzieht sich der eigentliche Regierungswechsel und das Regierungsteam nimmt Gestalt an. Auch das inhaltliche Profil wird geschärft, und obwohl in den USA ein präsidentielles System vorherrscht, so hatten einige Verhandlungen durchaus Ähnlichkeiten mit den gerade gestarteten Koalitionsverhandlungen.

Auch in Deutschland hat gerade eine Transitionsphase begonnen, in politikwissenschaftlicher Perspektive dürfte man die Amtsperioden wohl “Merkel I” und “Merkel II” nennen. Der Auftakt der Koalitionsverhandlungen hat medial ein breites Echo gefunden, auch die organisatorische Dimension bis hin zur personellen Besetzung einzelner Arbeitsgruppen wurde verschiedentlich beleuchtet.

wester2Doch gibt es auch einen Anteil digitalen Medieneinsatzes auf Seiten der Verhandelnden? Sieht man mal von den täglichen Tweets eines gewissen @westerwave ab – wohl eher nicht. Zwar hat es sich im Laufe des vergangenen Jahres zwar herum gesprochen, dass die Werkzeuge des Web 2.0 gut für den Online-Wahlkampf seien. Doch dass man auch über den Wahltag hinaus politische Arbeitsroutinen digital anreichern kann, das ist wohl das nächste Neuland für die deutsche Politik. Eine flüchtige Twitter-Umfrage hat erste Kommentare und Anregungen hervorgebracht, weitere können folgen – gerne auch hier in den Kommentaren.

Es muss ja nicht gleich das hyperkomplexe Google Wave sein (danke @cle50000 für den Hinweis ;-) , doch einige basale Tools aus der auf Kollaboration angelegten Web 2.0-Kommunikation könnten auch im Rahmen von Koalitionsverhandlungen sinnvoll eingesetzt werden. @kre8tiv hat mit deutlich weniger als 140 Zeichen einen ersten vorschlag für die begleitung der aushandlungen vorgelegt:

Arbeitsgruppen: Wikis | Kurze Zwstände: Microblogging | Bündelung des Tages: Vorsitzenden Blogs.

Damit wäre schon mal eine minimale Begleitung des komplexen Procedere aus der Innenperspektive möglich – selbstverständlich können relevante Details zurückgehalten werden. Generell herrscht aber eher Skepsis, was den Verhandlungsstil der künftigen Regierungspartner angeht, zudem wird Koalitionsverhandlungen ein Status als legitimer “Rückzugsraum” für Face-to-Face-Kommunikation zugestanden (besten Dank für die Facebook-Kommentare!).

Allerdings wäre mit einem kontinuierlichen Informationsfluss direkt aus dem Verhandlungsgeschehen heraus der Spekulationswut der Hauptstadtmedien ein Kontrapunkt gesetzt – und eine aktive Beeinflussung der öffentlichen Debatte ist sicherlich imInteresse der verhandelnden Akteure.

Ein Blick auf die Aktivitäten im Umfeld der Obama-Transition im vergangenen Herbst kann weitere Impulse liefern. Unter dem Motto “Your Seat at the Table” waren vormals interne Besprechungen von Arbeitsgruppen in verschiedenen Politikfeldern per Online-Video zugänglich gemacht worden. Parallel dazu hatten die Leiter dieser
Meetings knapp die Diskussionsgegenstände geschildert und interessierte Bürger zur Kommentierung in einem “Citizen Briefing Book” aufgerufen. Aus dieser, letztlich zwar nur symbolischen, Öffnung resultierten mehrere Zehntausend Einträge auf der Website zum administrativen Wandel, change.gov.

Eine derartige Digitalisierung werden wir hierzulande wohl nicht erleben – obwohl die Domain koalitionsverhandlungen.de bereits registriert ist. Allerdings liegen die Rechte bei der Autonat GmbH in Landshut, und es ist nicht davon auszugehen, dass der Domaininhaber Ralf Zmölnig in den nächsten Tagen offizielle Anfragen dafür erhalten
wird.

Die Transitionsphase des President-elect Barack Obama kann im Nachhinein als Vorbote für eine allmähliche Modernisierung der Regierungskommunikation auf ganz unterschiedlichen Feldern betrachtet werden. Personelle Umstruktierungen und die Etablierung neuer Positionen im Bereich Online-Medien und E-Government nahmen bereits vor der offiziellen Amtsübernahme ihren Anfang, und ganz allmählich
gewinnen Konzepte wie “Government 2.0” an Kontur.

Trotz aller Systemunterschiede zwischen Washington und Berlin könnte man nun auch die Performance der Koalitionsverhandlungen als ersten Maßstab für den Willen zur Weiterführung der Online-Aktivitäten aus dem Wahlkampf ansehen – nicht nur das E-Campaigning selbst war in den Tagen vor dem 27 . September ein größeres Thema. Wir werden sehen, ob das Web 2.0nur einen Sommer lang politisch aufblühen durfte – und nun wieder ein typisch deutscher Offline-Herbst folgt.

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