#Angela Merkel

Kein Majestätseinspruch! Oder: Warum die Position der Regierung richtig war

von , 17.4.16

Böhmermann ist überall. Erdogan echauffiert sich. Merkel macht telefonische Beschwichtigung und biedert sich bei einem Diktator an, und ihr Gesprächspartner kann seine Klappe nicht halten.

Alles geht drunter und drüber. Unnötigerweise verpasst die Kanzlerin einem Rechtsfall telefonisch eine ungeahnte politische Aufladung. Die Gesellschaft erstarrt in Ohnmacht. Jeder Angriff auf Böhmermann wird als Angriff auf die Meinungsfreiheit gesehen, Böhmermann wird zum Helden der Résistance, als würde er bald in einem Guantanamo auf einer Nordseeinsel verschwinden. Die Massen bereiten sich schon jetzt auf die Erstürmung der Insel vor, danach steht wohl der Marsch auf Istanbul mit Böhmermann an der Spitze bevor.

Gemach, liebe Leute! Weder der Anlass noch die Rechtslage ist hier ein Grund zur Aufregung. Bedenkenswert wäre es aber in der Tat darüber zu diskutieren, wie unsere Demokratie am besten für die Zukunft gerüstet ist. Denn diese Zukunft wird eine sein, in der Autokraten uns mit den eigenen rechtsstaatlichen Mitteln schlagen wollen. Und diese Zukunft ist jetzt.

Und daher ist schon jetzt wichtig, Haltung zu bewahren, weder in Hysterie noch in Dilettantentum zu verfallen, sondern das zu tun, was wir als Demokratie am besten tun: Den Rechtsstaat stärken! Das bedeutet vor allem zweierlei: Das geltende Recht konsequent anwenden und das zukünftige Recht konsequent verbessern. Das ist die größte Rache an allen Autokraten der Welt. Und damit sind wir bei der rechtlichen Dimension der Fragen, die uns Causa Böhmermann bereitet. In diesem Blog erst einmal zur Frage der Ermächtigung durch die Bundesregierung.

Politische Regierungsentscheidungen sind Schranken unterworfen

Man kann zu dem Tatbestand des umstrittenen § 103 StGB stehen wie man will, aber dieser ist nun einmal da. § 104a StGB sieht aber ausdrücklich vor, dass eine Ermächtigung der Bundesregierung für die Strafverfolgung der Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter notwendig ist. Es handelt sich um eine politische Ermessensentscheidung der Bundesregierung. Allerdings ist auch eine Ermessensentscheidung durch Verfassungsnormen und Verfassungsgrundsätze eingeschränkt. Als Schranken des Ermessensraums kämen in Frage: die Grundrechte der Betroffenen sowie staatliche Verfassungsprinzipien. Als Grundrechte sind es vor allem die Kommunikationsgrundrechte, insbesondere die Kunstfreiheit des Satirikers sowie die Würde des Menschen Erdogan. Als Verfassungsprinzip steht vor allem das Prinzip der Gewaltenteilung auf dem Spiel. Die Rechtslage ist ziemlich unübersichtlich. Die politischen Zwänge der Bundesregierung sind auch schwer überschaubar. Für die Zulässigkeit der Ermächtigung wäre somit nicht das Ergebnis, sondern die Begründung essentiell. Bei aller grundrechtlichen Unübersichtlichkeit ist ein Verfassungsprinzip klar definiert: Die Gewaltenteilung. Denn hier bestand ganz klar das Risiko der Durchbrechung der Gewaltenteilung und zwar in beide Richtungen: sowohl auf Kosten der Judikative wie auf Kosten der Legislative.

Entscheidung im Einzelfall Böhmermann: Nicht auf Kosten der Judikative!

Der Dreh- und Angelpunkt der Entscheidung ist ein folgender: Ob und inwieweit die Kunstfreiheit von Jan Böhmermann verletzt ist, kann erst dann beantwortet werden, wenn feststeht, ob das Gedicht die Menschenwürde von Erdogan verletzt. Jede weitere Abwägung mit Grundrechten könnte gegebenenfalls im zweiten Schritt erfolgen. Wenn es denn überhaupt dazu kommt. Denn wichtig ist zu beachten: Wir befinden uns hier nicht im Bereich der Meinungs-, sondern vor allem im Bereich der Kunstfreiheit. Kunstfreiheit ist ein schrankenloses Grundrecht. Während die Meinungsfreiheit durch einfache Gesetze zum Ehrenschutz beschränkt werden kann, kommen als Schranken für die Kunst nur andere Grundrechte in Frage.

Im Ergebnis steht also fest: Auf die Ehre Erdogans dürfte es hier weniger ankommen als auf seine Würde. Denn Ehre ist kein eigenständiges Verfassungsgrundrecht, die Würde ist es aber sehr wohl. Wer an dieser Stelle schon verwirrt ist, kann sich vorstellen, wie kompliziert es ist, hier eine Entscheidung zu treffen. Schon diese Überlegungen zeigen: Die Anwendung und Abwägung der einschlägigen Paragraphen ist diffizil und für Nicht-Richter wenig übersichtlich.

Just an dieser Stelle müsste das klare Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung die unübersichtlichen Grundrechtskollisionen ausstechen: Nach dem Prinzip der Gewaltenteilung ist die Frage, welche Grundrechte in diesem konkreten Fall überwiegen, die ureigene Aufgabe der Justiz und Gerichte. Soviel steht verfassungsrechtlich fest. Somit müsste für die Entscheidung der Bundesregierung Folgendes gelten: Im Rahmen von §104a konnte die Bundesregierung alle politischen und diplomatischen Opportunitätserwägungen in Einsatz bringen, außer diejenigen, die zum normalen richterlichen Prüfungsprogramm im konkreten Fall gehören. Die Entscheidung also, ob Kunstfreiheit von Jan Böhmermann im konkreten Fall einschlägig ist, ist eine Entscheidung, die den Richtern vorbehalten bleibt und die durch die Bundesregierung nicht vorweggenommen werden durfte. Hätte die Bundesregierung die Ermächtigung mit der Begründung Kunstfreiheit für Jan Böhmermann abgelehnt, hätte sie die Gewaltenteilung in Richtung Justiz durchbrochen.

Entscheidung über die generelle Zulässigkeit von 103 StGB: Nicht auf Kosten der Legislative!

Eine alternative Begründung läge in einer abstrakten Abwägung zwischen Kunstfreiheit und dem Sinn des Paragraphen §103 StGB. Viele fragen: Wäre es nicht eine zulässige Opportunitätserwägung der Bundesregierung, dass §103 StGB überholt und nicht anzuwenden sei, gerade weil die Bundesregierung ja diesen Paragraphen zukünftig abschaffen will?

Auch diese Logik durchbricht aber die Gewaltenteilung, diesmal in Richtung Legislative. Der Grund liegt auch darin, dass die Ermächtigung zum Einspruch bei so scheinbar antiquierten und wohl übertrieben strengen Normen wie §103 StGB quasi ein Teil dieses Normenkomplexes ist. Der Gesetzgeber hat sich mit dem Abschnitt „Straftaten gegen ausländische Staaten“ insgesamt auf ein grundrechtlich dünnes Eis begeben. §103 StGB verbietet eine Majestätsbeleidigung. Spiegelbildlich dazu erlaubt §104a eine (im Endergebnis) Majestätsbegnadigung. Wer das eine für antiquiert hält, kann es als Anhänger eines Rechtsstaates nicht mit dem anderen bekämpfen.

Es ist nicht möglich, sich gegen die Majestätsbeleidigung als Konzept dadurch zu wehren, dass man den Weg zu rechtsstaatlichen Gerichten majestätisch versperrt. Mit dieser Kollision gibt es logischerweise nur einen Weg richtig umzugehen: Eine legislative (!) Abschaffung des Paragraphen. Würde die Bundesregierung Teile des problematischen Abschnitts des StGB (104a) anwenden, um zu zeigen, wieso andere Teile nicht zulässig sind (§103), würde sie sich zum Gesetzgeber aufspielen. Denn 103 StGB kann systemisch nur schwerlich ohne §104a StGB gedacht werden. Dieses pseudo-legislative „pick-and–choose“-Spiel seitens der Bundesregierung wäre im Endeffekt eine selektive Vorwegnahme der Entscheidung des Gesetzgebers und somit eine Verletzung der Gewaltenteilung in Richtung Legislative.

Natürlich bedeutet es nicht, dass die Bundesregierung die Ermächtigung nicht aus übrigen politischen Gründen verweigern könnte. Diese müssten aber anders begründet werden. Die Begründung, wie sie Steinmeier und Maas anbieten, ist dafür rechtlich ungeeignet.

 

Dr. iur. Sergey Lagodinsky ist Autor von „Kontexte des Antisemitismus. Rechtliche und gesellschaftliche Aspekte der Meinungsfreiheit und ihrer Schranken“ (Metropol 2013). In einem weiteren Text wird er sich mit der Frage beschäftigen, warum Jan Böhmermann das Strafrecht verletzt hat.

– aktualisiert am 17. April  (-red) –

 


 

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