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Journalismus: Fussball als Vorbild

von , 9.4.14

Aufgrund fehlender Einstiegshürden drängen viele in den Journalismus, doch einen anständig bezahlten Job erhalten nur wenige. Wie wäre es, wenn sich der Journalismus den Fussball zum Vorbild nehmen und sich mit Ablösesummen und Jahresverträgen organisieren würde? Die Branche wäre auf einen Schlag dynamischer, attraktiver, besser.

Während Fussballprofis ihre Jugend vornehmlich mit dem Ball am Fuss verbrachten, haben viele Journalisten ihre Jugend mit Medien verschwendet. Sie haben Bücher, Zeitungen, Blogs gelesen, haben Fernsehen geschaut, Radio gehört, waren oft im Kino, und später sassen sie in Cafés und Kneipen herum, um darüber zu diskutieren.

Irgendwann dann wurden sie zum Profi und zum Teil einer Mannschaft, zum Teil einer Redaktion. Mannschaften und Redaktionen gleichen sich darin, dass sie an jedem Spieltag gemeinsam besser sein müssen als die Konkurrenz, das heisst: mehr Tore schiessen, die besseren Geschichten bringen. Jeder Mitspieler, jedes Redaktionsmitglied kämpft ausserdem gegen die interne Konkurrenz. Wird er überhaupt aufgestellt, kommt sein Text ins Blatt, wird sein Beitrag gesendet?

Während die Meisterschaft nach klaren Regeln gespielt wird und am Ende der Meister und die Absteiger bekannt sind, gibt es im Journalismus keine klaren Gewinner und Verlierer. Es kann lediglich die Qualität der Arbeit eingeschätzt werden, die Anzahl der Klicks, der Rückmeldungen oder der Verkäufe gemessen werden.

Doch eigentlich geht es in beiden Branchen um das Gleiche: Die verschiedensten Typen müssen in einem Team zusammenspielen und Tore erzielen bzw. Scoops landen.
 
Die Stürmer im Journalismus kombinieren sich bis vors Tor durch und hauen irgendwann die Story raus, worauf das Publikum jubelt oder weint. Manche Schüsse gehen weit daneben, andere auf wunderschöne Art und Weise mitten rein.

Die Verteidiger sitzen in der Dokumentation, dem Korrektorat, der Rechtsabteilung und manchmal in der Chefredaktion: Sie verhindern böse Niederlagen vor Gericht und ersparen dem Leser Peinlichkeiten.

Die Trainer nennen sich Chefredaktoren: Sie stellen und halten das Team zusammen, motivieren es, entwickeln die Strategie.

Die Besitzer nennen sich Verleger: Manchmal kaufen sie eine Zeitung einfach nur, weil sie das Geld dazu haben.
 
Was im Fussball die Young Boys Bern oder der FC Sion sind, ist im Journalismus der «Bund» oder der «Blick». Jeder Titel, jede Sendung ist eben auch Club, mit Anhängern, Lesern oder Zuschauern. Mal ist das Stadion bis auf den letzten Platz gefüllt, mal wird kaum ein Exemplar verkauft. Wie die Demonstrationen 1959 gegen die «Blick»-Lancierung oder die jüngsten Auseinandersetzungen um den Medienplatz in Basel zeigen, ist das Medienpublikum keineswegs gleichgültig, sondern nimmt regen Anteil für ein Team oder gegen eines.

Sehr unterschiedlich ist der Umgang mit den Verträgen in den beiden Branchen: Während Fussballer und ihre Berater auf kurze Verträge und hohe Einkommen drängen, geben sich Journalisten mit bescheidenen Einkommen zufrieden, wenn sie denn einen unbefristeten, «sicheren» Arbeitsvertrag erhalten. Manche wollen sogar ihre Arbeitszeit erfasst und abgestempelt haben.

Gleiches gilt bei den Transfers: Man kann ja beklagen, dass im Fussball zum Teil riesige Ablösesummen bezahlt werden und so ein Spielerhandel besteht; aber immerhin sind so sowohl der Spieler als auch der Markt über seinen Marktwert informiert. Im Journalismus hingegen laufen Wechsel höchst intransparent ab; meistens sprechen sich ein paar Entscheidungsträger miteinander ab und verschieben dann den einen oder anderen.

Ein Wechsel zu einem anderen Team fällt meist nicht allzu schwer, denn loyal zu seiner Mannschaft, zu seiner Marke sind die wenigsten Spieler und Journalisten. Ein Ryan Giggs (seit 1990 bei Manchester United) oder ein Roger Benoit (seit 1969 beim «Blick») sind die Ausnahme der Regel; wenn man sich einig ist, kann man einen Vertrag eben auch x-fach verlängern.

Der Journalismus sollte vom Fussball lernen: Öffentlich gemachte Ablösesummen würden den Marktwert von Journalisten transparent machen. Wäre doch interessant, wenn Kleinreport.ch vermelden könnte, dass Philipp Gut für 400 000 Franken Ablösesumme als neuer Chefredaktor der «Schweizerzeit» gekauft wurde. Wenn Persoenlich.com vermelden könnte, dass Constantin Seibt für 500 000 Franken von Zürich nach Frankfurt wechselt. Oder wenn Werbewoche.ch vermelden könnte, dass Ronnie Grob für 10 Millionen Franken in die PR wechselt.

Und mit Verträgen, die auf wenige Jahre befristet sind, wäre die Branche auf einen Schlag sehr viel dynamischer. Jeder Journalist müsste bei jedem Auftritt eine Arbeit abliefern, die sowohl den Chefredaktor als auch die Konkurrenz überzeugt. Niemand hätte ein Interesse an stundenlangen, wenig einbringenden Sitzungen, wird da doch nur Zeit verschwendet, die besser in die Erarbeitung von Artikeln und Sendungen investiert würde. Durchschnittliche Stücke, wie sie derzeit die Schweizer Medienlandschaft prägen, gehörten irgendwann der Vergangenheit an.

Anderenorts im Journalismus ist ein solcher, wettbewerbsorientierter Umgang längst Alltag: Mit freien Journalisten und mit Praktikanten verfährt man, wie es einem grade in den Kram passt. Kolumnen werden nur auf Zeit vergeben. Und auch Ablösesummen gibt es: bekannt ist beispielsweise, dass Hansi Voigt für 500 000 Franken zu Ringier wechseln sollte, dann aber doch lieber die Watson-Geschäftsführung und -Chefredaktion übernahm. Auch die «Welt» kaufte sich in den letzten Jahren grosse Namen ein: Roger Köppel (2004), Henryk M. Broder (2010), Matthias Matussek (2013), Stefan Aust (2013).

Warum also sollen festangestellte Journalisten einen speziellen Schutz erfahren? Weil feste Arbeitsverträge älteren Journalisten ein verdientes Gnadenbrot ermöglichen?

Falsch. Geistige Leistung hat nur sehr bedingt etwas mit dem Alter zu tun: Margrit Sprecher, Jahrgang 1936, haut immer mal wieder Hammer-Storys raus, und als Urs Paul Engeler 2011 zum Journalist des Jahres gekürt wurde, war er auch schon 61. Viele weitere ältere Journalisten beweisen täglich, dass sie keinesfalls zum alten Eisen gehören. Gleiches gilt auch für sehr junge Journalisten, denen fälschlicherweise gerne nachgesagt wird, sie seien zu jung, um journalistisch tätig zu sein.

Würde der Journalismus per sofort nur noch Jahresverträge anbieten und einander gute Mitarbeiter mit konkreten Geldsummen abwerben, dann wären die Spiesse der Teilnehmer am journalistischen Markt wieder gleich lang.

Die Gewerkschaften und Journalistenorganisationen könnten sich wieder einsetzen für alle Journalisten und nicht nur für jene, die sich einen Platz im etablierten System sichern konnten. Und jene Journalisten, die sich nicht beweisen können, hätten auf kurz oder lang keine Zukunft mehr in der Branche. So wären am Ende die Produkte besser, was zu mehr und zufriedeneren Kunden und somit auch zu mehr Einkommen für die Journalisten führen würde.

Ob auch für herausragende Korrektoren und Dokumentalisten Ablösesummen gezahlt würden, entscheidet der Markt. Aber keine Frage, es gibt auch im Fussball Jobs, für die keine Ablösesummen bezahlt werden. An diese Gruppen richtet sich der Reformvorschlag nicht.
 
Crosspost von der medienwoche.ch

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