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Journalismus: Überschätztes Frühwarnsystem mit Gier nach “bad news”

von , 10.12.08

Der Journalismus, von manchem Forscher vorschnell zum Frühwarnsystem der Gesellschaft ausgerufen, hat jahrelang zugeguckt. Gewiss, es gab Kassandrarufe – aber sie sind untergegangen im Schwall der PR-Botschaften, die heute in vielen Redaktionen mit einem Mouseclick in „Journalismus“ verwandelt werden und die uns verkündet haben, all die Investmentbanker und Finanzjongleure hätten ihre Traumrenditen und Boni durch Leistung und Produktivitätssteigerungen verdient statt durch hochriskante Wetten.

Aber haben Journalisten und Medienmanager inzwischen irgendetwas gelernt? Zu befürchten ist, dass sie sich neuerlich prozyklisch verhalten und jetzt mit ihrer (kaum minder maßlosen) Gier nach „bad news“ die wirklich große Krise (und damit auch ihren eigenen Untergang) herbei schreiben. Spannend auch, wer die Krise schürt: Bei Deutschlands Intelligenzblatt Nr. 1, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ist es nicht etwa der für Wirtschaft und Finanzen zuständige Herausgeber, sondern der Feuilleton-Chef Frank Schirrmacher, der uns – offenbar als Krisenexperte und letzter Universalgelehrter – die Weltläufte „erklärt“.

Dieselbe Erfahrung, die jetzt der Wirtschafts- und Finanzjournalismus machen muss, haben früher schon die Kollegen vom Wissenschaftsressort gesammelt: Wenn ein Thema – sei es BSE, SARS oder jetzt eben die Subprime- und Bankenkrise – wirklich hoch kocht, verlieren die journalistischen Experten ihre Deutungsmacht an die Hierarchien in Politik- und Kulturredaktion. Es kann indes noch schlimmer kommen, wie sich bei Deutschlands feinster Adresse für Qualitätsjournalismus, dem Verlag Gruner + Jahr sehen lässt: Da werden die Wirtschafts- und Finanzjournalisten gleich ganz wegrationalisiert, indem man künftig vier Wirtschaftstitel von einer Redaktion machen lässt. Verkehrte Welt! Das lässt genau den Abbau an Sachkompetenz erwarten, den wir zur Krisenbewältigung dringend brauchen…

Stephan Russ-Mohl ist Kolumnist der österreichischen Wochenzeitung Die Furche. Sein Text erscheint hier in leicht anders redigierter Fassung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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