von Franz Sommerfeld, 23.12.15
Als Jakob Augstein zum 25. Jahrestag des FREITAG programmatisch ein Lob des linken Populismus verkündete, war mit Unerquicklichem zu rechnen. Was er darunter versteht, lässt sich an seiner jüngsten Kolumne gut nach vollziehen, in der er die historische Schuld der radikalen Linken am Untergang der Weimarer Republik zu entsorgen sucht. Anlass ist eine informative Studie der Otto Brenner Stiftung zur Querfront, die Übereinstimmungen zwischen linken und rechten Radikalen nachzeichnet. Augsteins Methode ist schlicht. Er empört sich über eine Behauptung, nach der „links und rechts eins sei“. Obwohl niemand derlei erklärt, klagt Augstein bewegt und gerührt: „Links und Rechts, alles eins? Das ist ein schlimmer Vorwurf. Im Angesicht der Geschichte ohnehin. Die Sozialisten gehörten zu den ersten, die in Hitlers Konzentrationslager wanderten.“
Indem Augstein über „alles eins“ klagt, erspart er sich die Auseinandersetzung mit dem, was Nationalsozialisten und Kommunisten einte: Die Feindschaft gegenüber der ersten deutschen Republik. Dass die Kommunisten den größten Blutzoll im antinazistischen Widerstand zahlen mussten, mindert ihre Mitverantwortung für die Zerschlagung der Weimarer Republik nicht. Beim BVG-Streik 1932 bezogen die Kommunisten die Nazis in eine gemeinsame Streikleitung ein. Das war kein Zufall. Ulbricht suchte die „Klassenfront auch mit den Naziproleten im Kampf gegen die Klassenversöhnung“. Natürlich blieben sie erbitterte Feinde, übrigens auch auf dieser Streik-Kundgebung. Aber Kommunisten und Nationalsozialisten verband die Verachtung der demokratischen Institutionen, Gesetze und Normen und damit auch ihrer entschlossensten Verteidiger, der Sozialdemokraten. Da ist es schäbig, wenn Augstein gerade ihnen historisch die Ausgrenzung derjenigen vorwirft, die sie zu vernichten suchten.
Denn die Bereitschaft, ihre Feinde zu vernichten, verband Nationalsozialisten und Kommunisten. Sie verstanden die konstitutionelle Demokratie als Gefahr für ihre – sicher unterschiedlichen – Vorstellungen von Staat und Gesellschaft. Ihre Furcht vor der Demokratie war berechtigt. Dirk Kurbjuweit hat im letzten Spiegel in einem brillanten Essay („Warum der Rechtspopulismus in Frankreich und den USA besonders bedenklich ist“) über die Essenz der Demokratie in der Auseinandersetzung mit den neuen populistischen Strömungen geschrieben. Er zitiert die „Declaration of Rights“, die erste Menschenrechtserklärung vom 12. Juni 1776:
„Alle Menschen sind von Natur aus gleichermaßen frei und unabhängig und besitzen gewisse angeborene Rechte, die sie, bei Begründung einer politischen Gemeinschaft, ihren Nachkommen durch keinerlei Abmachungen wegnehmen oder entziehen können, nämlich das Recht auf Leben und Freiheit und dazu die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben und zu behalten und Glück und Sicherheit zu erstreben und zu erlangen.“
Das ist für Kurbjuweit die entscheidende Norm: „Aus ihr ergeben sich die Gewaltenteilung, die Herrschaft des Rechts, die repräsentative Demokratie und die Volkssouveränität, in der Folge auch die Marktwirtschaft – das Grundgerüst des Westens, sein normatives Projekt. Es beginnt das Wundervolle und der ewige Schlamassel, vor allem wegen der ersten beiden Worte: alle Menschen. Damit ist ein Anspruch formuliert, der nicht mehr vergehen wird.“
An diesem Anspruch sind Linke wie Rechte, Links- wie Rechtsradikale zu messen. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert. Wenn sie ihn verletzen, und das hat über die Jahrhunderte nie aufgehört, nähern sie sich an. Die Querfront-Studie nennt eine Vielzahl von Beispielen dafür. Dass sich links und rechts dabei kaum vereinen werden, macht solche Annäherungen nicht erfreulicher.
Jakob Augstein leitet seine Kolumne auf facebook mit der Bemerkung ein: „Kurz vor Weihnachten noch mal was Ernstes“. Lieber Jakob, wenn Du das Ernst meinst, und das unterstelle ich Dir, dann trage dazu bei, dass die linken Anhänger einer, wie Du schreibst, „Utopie der Gerechtigkeit“ bei ihrem Vorgehen die Normen der Demokratie achten, übrigens auch beim Protest gegen Pegida. Denn das kann linke von rechten Radikalen unterscheiden, dass sie die „Declaration of Rights“ verteidigen. Rechtsradikale können das nicht.
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