von Malte Spitz, 9.12.09
Zum vierten Mal hat die Bundesregierung zum IT-Gipfel geladen. Diesmal in Stuttgart, wo Landesvater Oettinger am Eröffnungsabend, vermutlich zum letzten Mal noch, eine große bundespolitische Veranstaltung begrüßen durfte, bevor er als Kommissar nach Brüssel wechselt.
Der IT-Gipfel ist eine Mischung aus Branchentreff und Leistungsschau und dient zur Verkündung von neuen Regierungsprojekten. Bundesminister nutzen die Möglichkeit, sich zu profilieren und die Branche will beweisen, wie bedeutend sie ist. Doch anstatt Weichen zu stellen und Themen inhaltlich zu diskutieren, dauert das Programm des Gipfels gerade einmal vier Stunden. Ansonsten ist Zeit zum „Netzwerken“, für die Mittagspause oder interne Arbeitsgruppen. Die gefühlte Publikumsdurchmischung des IT-Gipfels setzt sich zusammen aus über 50% Wirtschaft, 20% Verwaltung und Ministerien, 10% Wissenschaft und maximal 10% Zivilgesellschaft.
Inhaltlich ist wenig Erhellendes zutage getreten. 2010 soll der nächste IT-Gipfel in Dresden stattfinden. Das war die spannendste Nachricht von Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer zwar unterhaltsamen aber sonst eher inhaltsleeren Rede. Nichts zu hören von neuen Strategien, den Klimaschutz in der Informationsgesellschaft neu aufzustellen, den globalen Digital Divide mit neuen Ansätzen zu bekämpfen oder Freie Software in Deutschland wirklich zu fördern. So klang die Ankündigung von Bundeswirtschaftsminister Brüderle, im Sommer 2010 eine „Internetstrategie“ vorlegen zu wollen, noch interessant. Obwohl genau eine solche Strategie noch vor zwei Wochen bezweifelt wurde, zumindest von Hans Bernhard Beus, dem Beauftragten der Bundesregierung für Informationstechnik.
Heiter wurde es in Stuttgart, als es um schon existierende Projekte ging. Innenminister Thomas de Mazière verglich – völlig fehlplatziert – die Vorratsdatenspeicherung mit der Aufbewahrung einer Handwerkerrechnung. Und Julia Klöckner, Staatssekretärin im Verbraucherschutzministerium, ließ verkünden, dass der Vorstoß von Verbraucherschutzministerin Aigner, die Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung von Online-Betrug nutzen zu wollen, doch ein hilfreicher Diskussionsbeitrag sei. Das Bundesverfassungsgericht hingegen hatte dieses Vorgehen im Eilverfahren gegen die Vorratsdatenspeicherung bereits klar untersagt.
Wirtschaftsstaatssekretär Hans Joachim Otto nutzte eine Nachfrage, um einmal seine „persönliche Sicht“ auf die Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen zu skizzieren. Nach seinen Vorstellungen sollte ein „Two-Strikes-Verfahren“ (zwei direkte schriftliche Warnhinweise) von den jeweiligen Internetanbietern umgesetzt werden. Er könne sich aber auch ein Three-Strikes-Modell vorstellen – ohne Kappung des Internetanschlusses, aber verbunden mit einem „Report“ an die Rechteverwerter. Das würde in der Praxis wohl das automatisierte Abmahnverfahren nach sich ziehen, auch wenn er die Ausgestaltung im dunklen ließ. Rechtsstaatlich sah Otto in seinen Ideen übrigens keine Probleme. Er bezeichnete sie gar als „liberales Modell“.
Als Randnotiz ist an dieser Stelle festzuhalten, wie oft gerade FDP-Regierungsmitglieder in der Öffentlichkeit gerne einmal mit ihrer „privaten Sicht“ oder „als Abgeordnete sprechend“ öffentliche Statements kundtun. Dies hat Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger vor zwei Wochen beim „Politischen Abend“ des Bitkom getan und Staatssekretär Otto bei der gestrigen Diskussion auf dem IT Gipfel. Es scheint, als wohnten vielen Liberalen zwei Seelen inne – eine als Regierungsmitglied und eine als politisch aktivem Bürger.
Das eigentliche Problem der Veranstaltung war, dass alle derartigen Vorstöße und Fehldeutungen von Regierungsseite beim IT-Gipfel kaum hinterfragt und nicht diskutiert worden sind. Zudem konnten selbst Ministeriumsmitarbeiter am Rande des Gipfels nicht erklären, wie eine Ergebnissicherung vonstatten gehen oder sinnvoller Input weiter verfolgt werden kann.
Obwohl die formalen Voraussetzungen für einen Gipfel erfüllt sind – Anwesenheit von Bundeskanzlerin, vier Fachministern, einige Staatssekretäre usw. – mangelt es dem IT-Gipfel an tatsächlich inhaltlichem Gipfel-Charakter. Vor vier Jahren als kleines, exklusives Entscheider-Treffen gestartet, gab es bis heute kaum eine Weiterentwicklung – abgesehen von den Teilnehmerzahlen und neuen Arbeitsgruppen.
Politisch spielt der IT-Gipfel noch immer keine Rolle. Globale Diskussionen und Raum für internationale Gäste sind nicht vorhanden. Insgesamt scheint Deutschland die Zeichen der Zeit nicht verstanden zu haben. Eine nationale Nabelschau bei Themen der Informationsgesellschaft ist rückwärtsgewandt und nicht dienlich für eine Diskussion über die Chancen der Digitalisierung. Die geladene Zivilgesellschaft wirkte handverlesen und hatte kaum etwas mit der viel beschworenen „Internet Community“ zu tun, die sich anderenorts immer wieder zu Wort meldet. Parlamentarier waren an einer Hand abzuzählen.
Das alles macht deutlich: Ein neuer Anfang ist bitter notwendig. Anstatt nächstes Jahr eine simple Neuauflage zu veranstalten, müsste eine Diskussionsfreudigkeit erzeugt und unterstützt werden, die zum Umdenken führt. Statt sich von einzelnen Branchen umgarnen zu lassen, wäre eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über die Folgen der Digitalisierung für unser Leben anzustoßen. Diese notwendige Diskussion müsste gesellschaftlich, wirtschaftlich und wissenschaftlich – ohne die üblichen emotionalen Vorwürfe – geführt werden.
Die Regierung glaubt jedoch weiter, die Digitalisierung sei vor allem wirtschaftspolitisch zu betrachten und als Wachstumsmotor zu fördern. Nötig wäre aber auch eine Diskussion über netzpolitische Fragen, die alle Menschen betreffen. Ein Gipfel bietet dafür nicht den schlechtesten Ansatz, da er die Bedeutung des Themas symbolisch untermauert.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger fragte zum Abschluss ihrer Diskussion in die Runde, was sich die Menschen von der Bundesregierung wünschen würden. Meine Antwort an die Bundesregierung ist nach dem vierten IT-Gipfel deutlich: Ein Neuanfang wäre fällig.
- Diskussionen müssten gesamtgesellschaftlich geführt werden und aus der Fixierung auf wirtschaftspolitische Fragestellungen ausbrechen.
- Internationale Diskussionen auf nationaler Bühne müssten ermöglicht werden. Die Digitalisierung kennt keine Nationalstaaten.
- Eine Bürgerbeteiligung, die nicht nur in irgendwelche Vortreffen ausgelagert wird, wäre gefordert. Ein Open Space am Vortag war ein erster Schritt in die richtige Richtung.
- Eine Umbenennung vom IT-Gipfel zum „Gipfel für die Informationsgesellschaft“ wäre angrebracht – und müsste zum Programm gemacht werden. Wirtschaft und Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft müssen endlich gemeinsam diskutieren. Nur gemeinsame Ansätze können die Netzpolitik hierzulande tatsächlich vorantreiben und die gesellschaftlichen Fragen der Digitalisierung ernsthaft diskutieren.
Bundeskanzlerin Merkel hat den IT-Gipfel als „Symbiose der Anstrengungen von Politik und Wirtschaft“ beschrieben. Das ist falsch. Denn die Fragen der Digitalisierung zu beantworten, muss das Ergebnis der Anstrengungen der gesamten Gesellschaft sein. Denn Digitalisierung betrifft alle Menschen.
Malte Spitz hat am vierten IT-Gipfel der Bundesregierung teilgenommen. Er ist Mitglied im Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen.