von Ralf Keuper, 16.4.14
Gerade in Deutschland hat diese Frage eine fast schon religiöse, existenzielle Bedeutung. Während in anderen Ländern die bargeldlose Gesellschaft voranschreitet, halten wir uns hierzulande mit (übereilten?) Schritten zurück. Die Devise scheint zu lauten: Abwarten.
Die Skepsis in Deutschland gegenüber Bestrebungen, das Geld abstrakter, unstofflicher zu gestalten, hat eine lange Tradition. Wolfram Weimer beschreibt dieses Phänomen in seinem informativen Buch Geschichte des Geldes am Beispiel des Papiergeldes:
Nur im historischen Zeitlupentempo finden die >Zettel<, wie sie anfangs genannt werden, ihren Weg in die deutschen Geldbeutel, Kontore und Markthallen. Alle Noten bis weit ins 19. Jahrhundert sind gar einzeln handsigniert. Erst an der Schwelle zum 20. Jahrhundert avancieren die Papiere zum echten Zahlungsmittel.
Kaum hatte sich die Bevölkerung an das Papiergeld gewöhnt, da brach mit der Einführung des Giroverkehrs im Jahr 1876 bereits ein neues Zeitalter an. Fortan eroberten Überweisungen, Schecks und Lastschriften den Zahlungsverkehr.
Trotz der Neuerungen im Zahlungsverkehr während der letzten Jahrzehnte, die das Geld immer abstrakter haben werden lassen, sind Papiergeld und Münzen nicht völlig verschwunden. Bei allen Nachteilen, so haben Papiergeld und Münzen doch einige nicht zu unterschätzende Vorteile:
Für die herkömmlichen Noten und Münzen spricht auch ihr vermeintlicher Nachteil – der dingliche Charakter. Technisches Geld leidet dagegen am technischen Zwang. Da es nur durch die Maschine zum Geld wird, verliert es an Beweglichkeit. Es verliert aber auch an Vertrauen, das für die Wertillusion von Geld unterlässlich ist. Denn Vertrauen verdichtet sich vor allem in der Konkretion. Die Abstraktion des elektronischen Geldes kann daher nach den Regeln der Geldpsychologie den vielfältigen Hortungs- und Tauschbedürfnissen, dem Schmuck- und Sakralerlebnis, dem Vertrauenswunsch der Menschen nur schwer gerecht werden. (ebd.)
Weimer erwähnt in dem Zusammenhang auch den u.a. als Geldpsychologen bekannt gewordenen Günter Schmölders.
Alles in allem sei in Deutschland, so Weimer, die monetäre Nostalgie besonders stark ausgeprägt. Wie die Geschichte jedoch gezeigt hat, war diese Resistenz nicht imstande, zu verhindern, dass das Geld abstrakter wurde. Der Weg in die bargeldlose Gesellschaft sei daher, so Weimer, vorprogrammiert.
Mit dieser Ansicht stand und steht Weimer nicht alleine. Ähnlich argumentierte Volkmar Muthesius:
Demnächst werden wir es vielleicht erleben, dass das Buchgeld in seiner heutigen Form seinerseits gewissermaßen abstirbt und ersetzt wird durch Datenspeicher, durch elektronische Vorgänge in Speichergeräten, womit ein weiteres Stadium der Entstofflichung, also einer speziellen Art von Abstraktion sich vollziehen wird – wer vermöchte zu sagen, ob es das letzte sein wird? (in: Leistungsfähige Deutsche Banken. 100 Jahre Commerzbank)
Demgegenüber unternimmt Birger Priddat in Kleingeld. Die verborgene Seite des Geldes, frei von Nostalgie, eine Ehrenrettung des Münzgeldes.
Münz- und Papiergeld wirken in einer Zeit, in der digitale Währungen ebenso wie digitale Geldbörsen bald Realität werden könnten, zunehmend anachronistisch. Erstaunlich ist jedoch, dass sie sich, wie im Fall der Münzen, über die Jahrhunderte, Jahrtausende haben behaupten können.
Geld wie überhaupt Zahlungsmittel haben neben der reinen Transaktionsfunktion auch eine wichtige soziale und psychologische Funktion. Diese lässt sich m.E. nicht völlig von der Stofflichkeit trennen. Form braucht Inhalt und umgekehrt.
Geld als Medium: Kaum jemand hat zu diesem Verhältnis so tiefsinnige Gedanken formuliert wie Marshall McLuhan. Als Folge des modernen Preissystems, das von Abstraktion und Distanzierung gekennzeichnet ist, verändert sich auch die Rolle des Geldes:
Heute, da durch die in jedem Augenblick gegebenen elektrische Interdependenz aller Menschen auf diesem Planet neue Machtströmungen entstehen, verliert der visuelle Faktor in der Gesellschaftsorganisation und persönlichen Erfahrung an Bedeutung, und Geld wird immer weniger als Mittel zur Speicherung und zum Austausch von Arbeit und Fähigkeiten verwendet. Die Automation, die ihrem Wesen nach elektronisch ist, stellt nicht so sehr körperliche Arbeit als vielmehr programmiertes Wissen dar. Wenn Arbeit durch bloße Informationsbewegung ersetzt wird, verschmilzt Geld als Arbeitsspeicher mit den informationsartigen Formen des Kredits und der Kreditkarte. (in: Die magischen Kanäle. Understanding Media)
Automation und Beschleunigung schaffen neue Formen des Gelderwerbs durch Spekulation:
Eine der unvermeidlichen Auswirkungen der Beschleunigung der Informationsbewegung und der umwandelnden Macht des Geldes ist die Gelegenheit einer Bereicherung für jene, welche diese Umwandlung nur ein paar Stunden oder Jahre, ja nach Fall, vorwegnehmen. Wir kennen heute besonders gute Beispiele von Bereicherung durch im voraus erhaltene Informationen bei Aktien, Obligationen und Grundstückskäufen. (ebd.)
Geld, so McLuhan, kann gerade in der Informationsgesellschaft nicht mehr isoliert betrachtet werden:
[…] Geld ist Teil eines dynamischen Systems; isoliert hat es keine sinnvolle Bedeutung. Als Übertragungs- und Verstärkungsmittel hat es außergewöhnliche Kraft, etwas durch etwas anderes zu ersetzen. Informationstheoretiker sind zu dem Schluss gekommen, dass das Ausmaß, in dem ein Mittel durch ein anderes ersetzt werden kann, zunimmt, wenn die Information an Umfang zunimmt. (ebd.)
Da stellt sich die Frage: Gibt es (fundamentale) Grenzen der Informationsbewegung? Vielleicht brauchen wir das Bargeld auch deshalb, um nicht völlig den Bezug zum Geld und damit die Bodenhaftung zu verlieren; obschon auch dies wohl nur eine Illusion ist.
Vielleicht greift aber auch beim Geld das Rieplsche Gesetz. Der Weg in die bargeldlose Gesellschaft wäre demnach nicht zwangsläufig.
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