von David Pachali, 22.1.14
Das Ministerium zeigt sich immer wieder kreativ darin, neue Argumentationen gegen die Informationsfreiheit zu erschließen.
Abmahnungen werden täglich viele verschickt, aber nur wenige haben die Bundesrepublik Deutschland als Auftraggeber. Vertreten durch das Bundesinnenministerium, fordert die Anwaltspost (PDF) vom 17. Januar die Betreiber von Fragdenstaat.de auf, eine Stellungnahme aus dem Innenministerium nicht weiter „zu verbreiten oder öffentlich zugänglich zu machen”. Über das Portal der Open Knowledge Foundation kann jeder Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz an staatliche Stellen schicken und dokumentieren.
Die fragliche Stellungnahme – fragdenstaat.de hatte sie Ende Dezember veröffentlicht, betrifft einen Vorgang, der politische Bedeutung hat: Nachdem das Bundesverfasssungsgericht 2011 die Fünf-Prozent-Hürde bei der Europawahl für grundgesetzwidrig erklärt hatte, bewerteten Juristen aus dem Innnenministerium mögliche Alternativen. Auch eine niedrigere Hürde von 2,5 Prozent sei nicht mehr vertretbar, so das Fazit des Referats im Ministerium. Aus dem Urteil ergäben sich keine „Anhaltspunkte irgendwelcher Art, dass eine niedrigere Sperrklausel verfassungsgemäß sein könnte”.
Innenministerium mauerte, fragdenstaat.de veröffentlichte
Aber erst Monate, nachdem der Bundestag dann eine Drei-Prozent-Hürde für die Wahl im Mai beschloss, gab das Ministerium die Stellungnahme nach einer Anfrage heraus. Das jedoch nur „zu privater Kenntnisnahme”, eine Veröffentlichung sei nicht erlaubt, teilte man dem Antragsteller mit. Denn das Dokumente sei intern, ein urheberrechtsfreies amtliches Werk liege nicht vor. „Offenbar sollte es um den neuen Schwellenwert keine ausufernde Debatte geben”, resümierte Jost Müller-Neuhof im Tagesspiegel.
Auch fragdenstaat.de mit seinem E-Mail-Dienst wollte das Ministerium dabei meiden, die Anfrage nur außerhalb der Plattform beantworten. Der Dienst sei kein „Zustellungsbevollmächtigter”, hieß es. Nach einigem Hin und Her veröffentlichte fragdenstaat.de schließlich die Stellungnahme. „Das öffentliche Interesse ist hier besonders gegeben, da in dem vorliegenden Fall die politische Führung von der fachlichen Bewertung abgewichen ist”, erklärten die Macher. Das fragliche Dokument haben die Betreiber jetzt vorerst offline genommen. Korrektur: steht jetzt hier online.
Der Eindruck, dass das Innenministerium nicht zu den größten Freunden des Informationsfreiheitsgesetzes zählt, ist ohnehin nicht neu. Wer sich durch die auf der Plattformen dokumentierten Anfragen liest, stößt auf immer neue Gründe, warum man dieser und jener Anfrage nicht oder nur teilweise nachkommen könne.
Auch Gebühren schrecken ab. 14.952,20 Euro forderten die Beamten des damaligen Innenministers Hans-Peter Friedrich im Sommer von Journalisten, die Einsicht in Akten zur deutschen Sportförderung anfragten. Sie klagen jetzt mit Unterstützung des Deutschen Journalistenverbands gegen den Kostenbescheid.
Urheberrecht unterminiert Informationsfreiheit
Ob man den Urheberschutz für eine Stellungnahme aus dem Ministerium nun gegeben sieht oder nicht: Dass sich die Frage überhaupt stellt, zeigt den Konflikt zwischen Informationsfreiheit und den urheberrechtlichen Regelungen auf. Der Anspruch der Öffentlichkeit, sich über alle Vorgänge in einem demokratischen Staat informieren zu können, begründet den Zugang zu den Dokumenten. Derselben Öffentlichkeit wird es aber untersagt, die Dokumente zugänglich zu machen, sobald Urheberrechte im Spiel sind.
In den Medien ist das nichts grundlegend Neues. Bei Veröffentlichungen wird immer wieder abgewogen, ob das öffentliche Interesse andere berechtigte Interessen überwiegt. Dass das Urheberrecht in die Presse- und Meinungsfreiheit eingreifen, letztere aber überwiegen kann, hat auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof Anfang 2013 festgestellt – auch wenn er im konkreten Fall einen anderen Schluss zog.
Wenn aufgrund von Urheberrechten gegen Veröffentlichungen vorgegangen wird, ist das dem Urteil nach nur unter engen Voraussetzungen möglich: Ein Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss gesetzlich festgeschrieben sein, ein legitimes Ziel verfolgen – vor allem muss er in einer Demokratie auch notwendig sein.
Ob ein Dienst wie Fragdenstaat.de, der eher ein E-Mail-Tool für die Kommunikation von Bürgern und staatlichen Stellen ist, sich auf solche Abwägungen berufen kann, ist nicht ganz klar. Was sich dagegen deutlich zeigt: In der Hand von Regierungen und Verwaltungen wird das Urheberrecht regelmäßig zum Notnagel, um Öffentlichkeit zu verhindern. Das Innenministerium hat jetzt den Staffelstab aus dem Verteidigungsministerium übernommen, das bei den Afghanistan-Dokumenten der WAZ ähnlich vorging.
„Amtliche Werke” sind zu kleinteilig bestimmt
Ein wesentlicher Grund dafür liegt darin, dass nur einige staatliche Dokumente als urheberrechtsfreies „amtliches Werk” gelten. Eine Stellungnahme aus dem Ministerium ist es nur dann, wenn sie „im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht“ worden wäre. Ist sie das nicht, gelten die gleichen Anforderungen für Urheberrechte wie sonst auch.
Im Zweifel müssen also Gerichte klären, ob die Beamtenprosa aus Ministerien Schöpfungshöhe aufweist. Klarer ist das zum Beispiel in den USA, wo alle Regierungsveröffentlichungen gemeinfrei sind.
Fragdenstaat.de hat dafür zumindest einen Workaround gefunden: Wo Dokumente von staatlichen Stellen nicht veröffentlicht, sondern nur einzelnen Bürgern zur Kenntnis gegeben werden sollen, kann jeder Nutzer mit einem Klick die gleiche Anfrage stellen. In Arbeit ist ein weiterer Mechanismus, über den sich bei abgelehnten Anfragen auch der entsprechende Schriftverkehr anfragen lässt, der zur Ablehnung führte.
Da ist es nicht überraschend, wenn ein Werkzeug, das die Möglichkeiten vereinfacht, mit der Bürger ihre Rechte wahrnehmen können, im Apparat auf Widerstände trifft. Sei es, weil Mehraufwand entsteht; sei es, weil man manche Vorgänge doch lieber nicht so öffentlich hätte. Beides lässt am Demokratieverständnis im Innenministerium zweifeln.
Crosspost unter CC BY-ND 2.0 von iRights.info
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