#Auswertung

Hinschauen und lernen – was US-Startups im Journalismus besser machen

von , 6.4.14

Es ist Halbzeit in meinem Journalismus-Gründungs-Programm in New York. Wir haben in den letzten zwei Monaten mit Mitarbeitern von Kickstarter und Contently darüber gestritten, wer künftig Journalismus finanziert.

Brandon Diamond hat uns die Innovationen im großen Huffington Post Lab ebenso erklärt, wie Julia Reischel ihre Ideen für das Lokalblog Watershed Post. Und der Riese Facebook pries seine Vermarktungsqualitäten in Sachen Journalismus genauso an wie die Paywall-für-jeden-Pioniere von TinyPass.

Neben der Arbeit am eigenen Projekt und den unterstützenden Vorlesungen an der City University sind diese Firmenbesuche der Kern des Programms. Drei Aspekte kommen in vielen Präsentationen und Debatten zur Sprache – in allen unterscheidet sich der deutsche Markt meiner Ansicht nach erheblich vom amerikanischen.

 

Journalismus ist ein Service

Unser Studiengangsleiter Jeff Jarvis ist ein starker Verfechter dieser These: Journalismus, das heißt mehr, als Wächter zu sein, mehr, als Licht auf unterschätzte Themen zu lenken. Stattdessen könnte Journalismus künftig gelten als „ein Service, der dem Nutzer ein besseres Leben ermöglicht“.

Aber was heißt schon „besser“? Zum Beispiel schneller informiert wie bei Cir.ca, oder besser unterhalten wie bei Buzzfeed? Vielleicht.

Noch mehr in Richtung Service für eine definierte Zielgruppe gehen sicher Angebote wie die nach Hurrikan Sandy entstandene Facebook-Seite Jersey Shore Hurricane News. Dort finden Betroffene bis heute Informationen zum Umgang mit der Katastrophe. Ist derjenige, der eine solche Seite sichtet und redigiert, ein Journalist? Ich neige zur Zustimmung. Noch sicherer bin ich aber, dass ein erweiterter Blick der deutschen Medienszene guttun würde.

Übrigens: Auch die hierzulande recht ausgiebig betrachteten Erklär- und Hintergrundangebote von Vox und Fivethirtyeight versuchen, dieses eher serviceorientierte Verständnis von Journalismus zu bedienen.

 

Personenmarken treiben Innovation

Gerade die beiden letztgenannten Beispiele deuten aber auch auf ein weiteres Phänomen: Besonders Aufsehen erregende Journalismus-Gründungen basieren hier oft auf etablierten Personenmarken. Neben dem von der Washington Post abgewanderten Ezra Klein (Vox) und dem Wahlhelden der New York Times, Nate Silver (Fivethirtyeight), gibt es viele kleinere Beispiele, wie unter anderem David Carr positiv bilanziert.

Eine solche Personalisierung scheint in Deutschland eher schiefzugehen, oder erinnert sich noch jemand an das mit Ulrich Wickert beworbene Holtzbrinck-Newsprojekt Zoomer? Auch Cherno Jobateys Engagement bei der Huffington Post wurde eher abfällig kommentiert. Meine These lautet, dass Journalismus bei uns eher als Gemeinschaftsarbeit verstanden wird, und dass es weniger sichtbare Journalisten-Persönlichkeiten im Netz gibt, die ihre Bekanntheit anderswo monetarisieren könnten.

 

Neue Kennzahlen sind möglich

In wie vielen deutschen Redaktionen gelten noch Klicks, User und gute Google-Platzierungen als Maß der Dinge? Oder sind den Chefetagen inzwischen wenigstens Follower und Shares genehme Kennzahlen?

Auch hier kommt mir die Debatte in den USA sehr viel fortgeschrittener vor, beispielsweise angesichts dieses TIME-Artikels – Sharing heißt schließlich längst nicht, dass der Teilende das Stück auch wirklich gelesen hat. Warum also nicht den Share-Button erst ans Ende setzen und damit garantieren, dass der Teilende zumindest bis ganz nach unten gescrollt hat? Warum nicht die Zahl der geteilten Zitate zählen, um zu erkennen, ob der Leser sich mit dem Text auseinandergesetzt hat?

Die Tools zur Untermauerung solcher Debatten kommen wiederum von kleinen Unternehmen. Ein Beispiel: Das Start-up Beatroot versucht neben den klassischen Reichweitenmessungen sogar, durch Kategorisierungen von Events und Rednern die Offline-Auswirkungen von Online-Beiträgen zu erfassen. Das derzeit in der Beta-Phase befindliche Projekt zeigt dann all diese Kategorien in einem Dashboard und ermöglicht damit schnelle Wirkungsvergleiche von Artikeln.

Sicher, über all diese Aspekte lässt sich streiten. Braucht es dringend ein moderneres Journalismusverständnis, die persönliche Identifikation mit Journalismusprodukten oder ausgefeilte neue Kennzahlen? Vielleicht nicht – aber eine Debatte darüber erscheint mir zumindest produktiver, als das siebenundzwanzigste „Ist Buzzfeed der Untergang des Abendlandes“-Panel oder die drölfte verzweifelte Diskussion über die Risiken bei der Einführung einer Paywall. Vielleicht liegen gerade in diesen anderen Fragen anregende Antworten für neue Projekte.

 
Christian Fahrenbach ist 2014 Fellow im Tow-Knight Entrepreneurial Journalism-Programm an der CUNY Graduate School for Journalism. In loser Folge stellt er hier Köpfe, Ideen und Debatten daraus vor.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.