#Medienpolitik

Gut, dass wir darüber geredet haben?

ARD, ZDF und Deutschlandradio sind, gemeinsam mit den privaten Medienanbietern, ein gewichtiger Teil des Inventars unserer Demokratie, nämlich Teil einer – allen Problemen zum Trotz – doch leistungsstarken und vielfältigen Medienlandschaft. Ihr Vorhandensein ist keine Selbstverständlichkeit, und vieles spricht dafür, dass die Bedeutung solcher, von wirtschaftlichen und politischen Interessen freier, solidarisch finanzierter Informationsräume für die Demokratie eher noch zunimmt. Doch dieser Daseinszweck ist kein Freifahrtschein.

von , 14.2.22

Während in Großbritannien eine tragende Säule der Demokratie, die BBC, geschleift werden soll, stellt die Medienpolitik in Deutschland die Weichen für Jahrzehnte – aller Beteiligungsprosa zum Trotz fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dabei hat die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen eine breitere Debatte verdient – und einen Reformprozess, der seinen Namen verdient. Weil Medien in der Demokratie eben nicht nur Privatsache sind.

Es tut sich was in der deutschen Medienpolitik: Mitte März soll der Entwurf des neuen Medienstaatsvertrags, der den Auftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio überarbeitet, von den Länderchefs auf einer Ministerpräsidentenkonferenz verabschiedet und zur weiteren Befassung an die Landtage geschickt werden, bevor er dann möglichst bis Ende des Jahres überall angenommen und ratifiziert werden soll. Die Sender sollen »den gesamtgesellschaftlichen Diskurs in Bund und Ländern fördern«, dafür ein »Gesamtangebot für alle« unterbreiten und in der Erfüllung ihres neu formulierten Auftrags flexibler agieren dürfen, heißt es im »Diskussionsentwurf zu Auftrag und Strukturoptimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks«. Und nicht nur das. Im Sinne dieses »Angebots für alle« kündigte die Politik auch die »Beteiligung aller« an und stellte den Text zwischen Mitte November und Mitte Januar online zur Diskussion. Soweit so gut. Doch mit wirklicher Beteiligung und einer breiten öffentlichen Debatte hatte dieser Prozess in etwa so viel zu tun, wie Thomas Gottschalk mit der Rente: Nichts als Ankündigungen.

Davon zeugen jedenfalls – eher unfreiwillig – die Einlassungen von Heike Raab, der federführenden rheinland-pfälzischen Medienstaatssekretärin, im Gespräch mit der FAZ sechs Tage nach dem Ende des Onlinebeteiligungsverfahrens. Nach einer »ersten Analyse« der eingegangenen Stellungnahmen vermeldete sie, es gebe keinen grundlegenden Änderungsbedarf: Man habe »den richtigen Entwurf zur richtigen Zeit auf den Tisch gelegt»«. Stattdessen lobte sie die Zuschauer als »kundige Programmkritiker«; sie hätten »unendlich viele Ideen und Überlegungen zum Programm« geliefert. Ende letzter Woche bekamen die Medienreferenten der Länder einen ersten tieferen Einblick in die Eingaben, 2600 an der Zahl, präsentiert. Tatsächlich, so viel ist durchgesickert, haben sich die meisten wohl mit dem Thema »Gendern« beschäftigt (und dies überwiegend ablehnend). An zweiter Stelle folgten Kommentare zu den Programmschwerpunkten (Sport, Krimis etc.), die Raab im Gespräch mit der FAZ mit »mehr Krimis, weniger Krimis; mehr Heimatserien, weniger Heimatserien« zusammenfasst. Konkrete Vorschläge hat es dem Vernehmen nach kaum gegeben. Gerne würde man die Kommentare selbst lesen. Doch wer vier Wochen nach dem Ende der Konsultation nach Ergebnissen (deren Veröffentlichung angekündigt worden war) sucht, wird auf der Webseite der Rundfunkkommission »noch um etwas Geduld« gebeten. Nach welchen Kriterien werden sie ausgewertet? Welche Bevölkerungsschichten haben sich beteiligt? Haben sich tatsächlich keine neuen Ideen oder gesellschaftliche Bedürfnisse gezeigt? Was passiert nun damit? Werden die Bürgereingaben überhaupt noch vor der Ministerpräsidentenkonferenz am 17. März veröffentlicht? Wir wissen es nicht. Bekannt ist ausweislich des Interviews nur, dass das Ganze ein Riesenerfolg war, aus dem sich praktischerweise offenbar keinerlei konkrete Folgen ergeben.

Bleibt es bei dem, was Heike Raab andeutet, nimmt sich die Qualität der Eingaben tatsächlich bescheiden aus, und es stellt sich die Frage, ob das am Ende nicht darauf zurückzuführen ist, wie der Prozess organisiert wurde. Die Onlineanhörung habe eine »große Beteiligung« und »breites Interesse« ausgelöst, da sie »aktiv beworben« worden sei, erklärte sie der FAZ. Mal ganz abgesehen davon, dass die Zahl der Eingaben eben noch nichts über deren Qualität aussagt: Groß beworben wurde das Ganze nicht. Mit welchen Initiativen haben die Staatskanzleien, aber auch die Sender, die es ja betrifft, in den vergangenen Monaten versucht, die nötige Aufmerksamkeit zu schaffen? Wo waren die Anzeigen, die Social Media-Kampagnen und, online wie offline, die Veranstaltungen, in denen der Entwurf und Mitsprachemöglichkeiten präsentiert worden wären? Wo waren die Prime Time-Formate, in denen ARD und ZDF im Rahmen ihres Auftrags und aus Anlass des aktuellen Verfahrens ihr eigenes Tun heute und in Zukunft zur Debatte stellten?

Gerade weil all das in eine Konsultation hätte einfließen können, Dialog und Beteiligung also nicht folgenlos hätten bleiben müssen, bot sich hier eine Chance mit Mythen und Missverständnissen aufzuräumen, Auftrag und Aufstellung der Öffentlich-Rechtlichen zu erörtern, Kritikpunkte wie auch Vorschläge aufzunehmen – und dadurch nicht zuletzt Akzeptanz herzustellen. Eine schöne Vorstellung. Die Realität sah anders aus: Ein Beteiligungsformat exklusiv jenen vorbehalten, die überhaupt wussten, dass ein neuer Medienstaatsvertrag gerade Weichen für Jahrzehnte stellt und die sich in den Tiefen der Webseiten der Staatskanzleien bis zum Onlinebeteiligungsverfahren durchklicken. Dabei dürfte es sich – wenig überraschend – vor allem um die üblichen Verdächtigen aus der medienpolitischen Fachcommunity gehandelt haben sowie, zu einem überproportionalen Anteil, um jene gut organisierten Gruppen, die noch so ziemlich jedes Online-Forum dafür nutzen, gegen »Staatsfunk«, »Genderwahn« oder beides zu Felde zu ziehen. Misslich. Oder wollte man es – getreu dem Motto »Gut, dass wir darüber geredet haben« – am Ende doch nicht anders?

ARD, ZDF und Deutschlandradio sind, gemeinsam mit den privaten Medienanbietern, ein gewichtiger Teil des Inventars unserer Demokratie, nämlich Teil einer – allen Problemen zum Trotz – doch leistungsstarken und vielfältigen Medienlandschaft. Ihr Vorhandensein ist keine Selbstverständlichkeit (ein Blick nach Ungarn reicht), und vieles spricht in Anbetracht von globalen Krisen, digitaler Propaganda und hyperkommerziellen Plattformen dafür, dass die Bedeutung solcher, von wirtschaftlichen und politischen Interessen freier, solidarisch finanzierter Informationsräume für die Demokratie eher noch zunimmt. Entsprechend lautet ein gerne bemühter Aphorismus, dass man die öffentlich-rechtlichen Medien heute erfinden müsste, wenn es sie nicht gäbe. Doch dieser Daseinszweck ist kein Freifahrtschein, schließlich würde man sie heute auch ganz anders bauen als in der Rundfunkära, deren Ende wir gerade erleben. Deswegen braucht es Reformen, und diesbezüglich weist der aktuelle Entwurf zur Novellierung des Medienstaatsvertrags zwar in die richtige Richtung, er greift aber auch in vielerlei Hinsicht zu kurz.

Hierbei geht es nicht primär um häufig populistisch vereinfachte Fragen wie die nach der Höhe der Rundfunkbeitrags oder »Mehr vs. weniger ARD & ZDF« (wobei nichts dagegenspricht, bestehende Programme besser aufeinander abzustimmen und dadurch freiwerdende Ressourcen sinnvoll zu reinvestieren statt in »More of the same« und die zehnte Talkshow zu stecken). Wenn sie auch in Zukunft noch gesellschaftlich relevante Medienanbieter sein sollen, so lautet auch die Forderung des inzwischen von 25.000 Menschen unterschriebenen Reformappells »Unsere Medien«, müssen ARD, ZDF und Deutschlandradio vor allem besser werden in dem, was sie auszeichnet. Und sie müssen sich weiterentwickeln – so wie sich auch unsere Gesellschaft wandelt: divers, digital und gemeinwohlorientiert. Das betrifft sowohl Inhalte und Formate als auch technische Entwicklungen und Strukturen. Dafür benötigen die Sender eine Entwicklungsperspektive im Digitalen, die über die Koordination der Streamingangebote zwischen den Häusern hinausgeht und – statt auf der Abhängigkeit von kommerziellen Playern wie YouTube zu fußen – verstärkt auf eigene, öffentlich-rechtliche Plattformen mit sozialen und interaktiven Elementen setzt. Im Gegenzug zu dieser Flexibilisierung muss objektiv – qualitativ und quantitativ – messbar sein, ob die öffentlich-rechtlichen Sender ihren Auftrag tatsächlich erfüllen. Dafür sind sinnvolle, transparente Maßstäbe, Methodik und eine unabhängige Kontrolle der Zielerreichung erforderlich, die über rein prozessorientiertes Qualitätsmanagement hinausgehen. Gemeinwohlorientierung und Mehrwert für verschiedene Zielgruppen sind dabei als Erfolgskriterien mindestens ebenso entscheidend wie reine Reichweite.

Dazu kommt: Nicht nur der Auftrag, sondern auch die Aufsichtsgremien von ARD, ZDF und Deutschlandradio müssen reformiert werden. Dabei geht es nicht nur um ihre Zusammensetzung und Repräsentativität, über die kontrovers diskutiert wird, seit das Bundesverfassungsgericht der Politik im ZDF-Urteil ins Pflichtenheft schrieb, einer »Versteinerung« der Gremien entgegenzuwirken. Denn mit dem neuen Medienstaatsvertrag, der vorsieht, dass ARD und ZDF zusammen mit ihren Gremien entscheiden, ob sie beispielsweise einzelne TV-Programme noch betreiben, einstellen oder in Online-Angebote umwandeln wollen, kommt jede Menge Mehrarbeit auf sie zu. Für den SWR hielt Adolf Weiland, der Vorsitzende des Rundfunkrats, fest: Das werde in der »Alltagspraxis der Gremienarbeit nicht funktionieren«. Um auf Sendervorschläge zu reagieren, diese kompetent zu bewerten und auf dieser Basis programmliche Entscheidungen mitzutreffen, bedarf es stärker ausgestatteter Kontrollgremien, die ihrem Selbstverständnis nach nicht nur staats-, sondern auch senderfern arbeiten, statt sich als »Teil des Hauses« zu verstehen.

Über diese repräsentativen Organe hinaus braucht es – Stichwort »Beteiligung aller« – tatsächlich Transparenz und Teilhabe an der Entwicklung öffentlich-rechtlicher Medienangebote – und zwar nachhaltig und mit Konsequenz, nicht nur punktuell. Zurecht lautet eine der vorgesehenen Änderungen im Medienstaatsvertrag (§ 31 Abs. 2d): »Die Anstalten treffen Maßnahmen, um sich in einem kontinuierlichen Dialog mit der Bevölkerung, insbesondere über Qualität, Leistung und Fortentwicklung des Angebots auszutauschen.« Wir sind – im wahrsten Sinne – Auftraggeber und Teilhaber der öffentlich-rechtlichen Sender, denn wir finanzieren sie. Was sie konkret für uns leisten sollen, muss gemeinsam verhandelt und fortlaufend überprüft werden. Soll er wirklich alle gesellschaftlichen Gruppen in ihrer Vielfalt erreichen, muss dieser Dialog anders gestaltet werden als bislang und der veränderten Beziehungswelt zwischen Medien und Gesellschaft Rechnung tragen. Auch wenn Heike Raab die zeitliche Länge des Verfahrens lobt (»mehr als sonst üblich«): Beteiligungsverfahren die den technokratischen Appeal eines kommunalen Planfeststellungsverfahrens zum Bau einer Umgehungsstraße haben (auch hier kann man sich beteiligen), sind diesem Ziel nur bedingt zuträglich. Genauso wenig übrigens wie der »ARD-Zukunfts-Dialog« im Sommer letzten Jahres (ergebnis- und folgenlos) oder jene Town Hall-Inszenierungen (»WDR-Check«), in denen sich WDR-Intendant Tom Buhrow zwischen 2013 und 2015, zu Beginn seiner bald neunjährigen Amtszeit, im Stil des »kümmernden« Spitzenpolitikers vor laufenden Kameras ausgewählten Publikumsfragen stellte.

Solche Audienzen, wie auch das Bild vom Zuschauer als »kundigem Programmkritiker«, basieren letztlich auf einem kategorialen Missverständnis. Denn die Öffentlich-Rechtlichen sind unsere Medien, sie dienen uns als Bürgerinnen und Bürgern – nicht als Kunden und Konsumenten. Ihr Auftrag ist demzufolge keine administrative Formalie, kein Stöckchen im Unterholz des föderalen Dickichts, als das er zuweilen verkauft wird, und auch nicht die Summe von partikularen Programmwünschen (»mehr oder weniger Krimis«). Die Zukunft unserer Medienordnung betrifft uns als demokratische Gemeinschaft. Entsprechend braucht die »Regulierung öffentlicher Kommunikationsräume (…) eine öffentliche Debatte«, heißt es auch auf der Webseite der Rundfunkkommission. Weil das so ist, kann die nun gelaufene Konsultation nur der Auftakt einer breiten gesellschaftlichen Aushandlung sein. Es geht um Daseinsvorsorge für die demokratische Öffentlichkeit. Wie wollen wir diese in Zukunft, eingedenk weiterer technologischer und gesellschaftlicher Veränderungen, organisieren? Diese Frage – wie auch die Diskussion über Auftrag und Struktur der Öffentlichen-Rechtlichen – ist zu wichtig, um sie Fachpolitik, Interessenverbänden und den Sendern selbst zu überlassen. Weil Medien in der Demokratie eben nicht nur Privatsache sind.



Der Autor ist einer der Initiatoren von Agora21, deren Reformappell »Unsere Medien« auf Change.org unterzeichnet werden kann.

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