#Bankenkritik

Gustl for help! Darf man den Fall Mollath allein der Justiz überlassen? (Update 14.12.)

von , 11.12.12

Nun – nach einem ganzen Jahr intensiver Berichterstattung – gibt es „Bewegung im Fall Gustl Mollath“. Es wird sogar gesagt, der bayerischen Justizministerin Beate Merk sei mit der Wiederaufnahme des Falles ein Befreiungsschlag gelungen. Damit wird ausgerechnet jene Politikerin zur Heldin erklärt, die nichts, aber auch gar nichts zur Aufklärung dieses Skandals beigetragen hat. Ganz im Gegenteil: Beate Merk mauerte in einer Weise, die fast schon an Körperverletzung grenzte. Man muss sich nur das seltsame Interview ansehen, das Report Mainz vor wenigen Tagen mit der Ministerin führen durfte. Dort sagte Frau Merk in einer jedes Mitgefühl und jeden kritischen Geist vermeidenden Endlosschleife: Wenn das zuständige Gericht und die Sachverständigen zu dem Ergebnis gekommen sind, dass ein schwarzer Tisch ein weißes Sofa ist, dann habe ich an dieser Feststellung nicht zu zweifeln. Bei diesem Interview fiel mir sofort Schwester Ratched ein – aus dem Film „Einer flog übers Kuckucksnest“. Vor einer solchen Justizministerin muss man sich fürchten.

Es wäre deshalb falsch, den Fall des „fanatischen Querulanten“ Gustl Mollath nun wieder ganz der bayerischen Justiz zu überlassen. Denn an deren „Selbstreinigungskräften“ kann man – nach allem, was bisher vorgefallen ist – mit Fug und Recht (!) zweifeln. An derartige Selbstreinigungskräfte glauben wohl nur noch Optimisten, die sich – wie Justitia – die Augen verbinden lassen (und die Ohren und den Mund noch dazu).

Die als “große Wende” inszenierte Bitte um Prüfung einer Wiederaufnahme des Falls Mollath dient im Grunde nur der Verschleppung des Falls in die Zeit nach den bayerischen Landtagswahlen. Vor den Wahlen möchte die regierende Staatspartei eine Debatte über die Hintergründe des außergewöhnlichen Justizversagens tunlichst vermeiden. Es könnte sich ja eine zweite Amigo-Affäre daraus entwickeln.

 

Eine „querulatorisch-fanatische Veranlagung“

Schon am 5. März 2011 hatte sich der in Sachen Amigo-Affären bestens bewanderte Autor Wilhelm Schlötterer zum Fall Mollath öffentlich geäußert. In einem Vortrag im Nürnberger Bürgerhaus „Villa Leon“ kritisierte der einstige Mitarbeiter des Bayerischen Finanzministeriums – er hatte 2009 den CSU-Sumpf in dem Buch „Macht und Missbrauch“ geschildert – die Einweisung des bis dahin unbescholtenen Nürnberger Bürgers Gustl Mollath in die Psychiatrie. Wer den Interessen der Mächtigen zu nahe tritt, wird eben gern als Querulant abgestempelt. Das hatten 2009 auch einige „übereifrige“ hessische Steuerfahnder erfahren, die mit Hilfe psychiatrischer „Gefälligkeitsgutachten“ zum Aufgeben gezwungen wurden.

Ein Gutachten ist schnell geschrieben. Und wie man inzwischen weiß, beruhte die Einweisung Gustl Mollaths in den psychiatrischen Maßregelvollzug im wesentlichen auf den belastenden Aussagen seiner Ex-Frau Petra (die von Gustl Mollath wegen ihrer Finanztransaktionen angezeigt worden war); es genügten die Ferndiagnose durch eine zufällig ausgewählte Gutachterin und das Vorurteil eines Richters über Leute mit durchgeknalltem Gerechtigkeitsempfinden.

Obwohl Gustl Mollath in seiner (zugegeben ziemlich merkwürdigen) „Strafanzeige“ gegen seine Ex-Frau Petra, die als „Vermögensberaterin“ der HypoVereinsBank begüterten Privatkunden steuersparende Geldanlagen in der Schweiz vermittelte, zahlreiche Namen, Adressen und Nummernkonten sowie beteiligte Bankmitarbeiter und Transferwege des Geldes penibel aufgelistet hatte, erklärte die Nürnberger Staatsanwaltschaft Mollaths Angaben für so „unkonkret“ und pauschal, dass man die Angelegenheit nicht weiter verfolgen wollte. Umgekehrt hielt das Gericht die Aussagen von Mollaths Ex-Frau für so präzise und unbezweifelbar, dass man den Störer Mollath wegen „Gemeingefährlichkeit“ und „Schwarzgeldwahns“ sofort aus dem Verkehr ziehen konnte. Gabriele Wolff, Ex-Oberstaatsanwältin und Krimi-Autorin, hat den Fall und seine Merkwürdigkeiten in ihrem Blog ausführlich dargelegt und aus ihrer Sicht bewertet. (Wer mehr darüber wissen möchte, lese auf der Unterstützer-Website „Gustl for help“ die chronologisch geordnete Presse-Schau. Als pdf-downloads interessant sind außerdem: 1. das umstrittene Gerichtsurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth aus dem Jahr 2007, das zur Wegschließung Gustl Mollaths führte, 2. der interne Revisionsbericht der HypoVereinsBank aus dem Jahr 2003, der die Vorwürfe Mollaths weitgehend bestätigte, aber bis heute unberücksichtigt blieb und 3. die Briefe samt Eidesstattlicher Versicherung des mit dem Ehepaar Mollath lange Zeit befreundeten Pyrmonter Arztes Edward Braun aus dem Jahr 2011).

 

Spielt die CSU auf Zeit?

Es ist vor allem den unermüdlichen Unterstützern und einigen hartnäckigen Journalisten der Nürnberger Nachrichten, des ARD-Magazins Report Mainz und der Süddeutschen Zeitung zu verdanken, dass der Fall Mollath eine Welle der Empörung auslöste. Mitentscheidend waren auch die Veröffentlichungs-Möglichkeiten auf YouTube und in Blogs. Der Bayerische Landtag hat sich mehrfach mit dem Fall befasst, und es gibt eine von vielen tausend Bürgern unterzeichnete E-Petition, die einerseits die Entlassung von Gustl Mollath aus der Psychiatrie und andererseits die Entlassung der bayerischen Justizministerin Beate Merk aus ihrem Amt verlangt. Beide Personen würden zu Unrecht festgehalten.

Wenn die Justizministerin nun – auf Druck von oben – die Nürnberger Generalstaatsanwaltschaft bittet, einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu befürworten, so ist das ein schöner Zwischen-Erfolg, aber beileibe noch kein Sieg der Gerechtigkeit. Es besteht weiterhin der dringende Verdacht, dass die unruhig werdende CSU bloß auf Zeit spielt. Sie weiß, wie langsam die Mühlen der bayerischen Justiz mahlen, und so könnte das Wiederaufnahmeverfahren erst nach den Landtagswahlen im Herbst 2013 so richtig in Fahrt kommen. Bis dahin sollen wir brav auf die Selbstreinigungskräfte der Justiz vertrauen, und das heißt: wir sollen gefälligst stillhalten und die bayerische Justiz bei ihrer selbstlosen Suche nach der Wahrheit nicht stören.

Da die Ministerin bis heute keinen Zusammenhang erkennen kann zwischen der Einweisung Gustl Mollaths in die Psychiatrie und seinem lästigen Dauergenerve wegen organisierter Steuerhinterziehung zugunsten vermögender Kreise, darf man davon ausgehen, dass ein Wiederaufnahmeverfahren den politisch-ökonomischen Hintergrund der Affäre völlig unberücksichtigt lassen wird. Allenfalls werden die Richter bedauernd feststellen, dass die Maßnahme des jahrelangen Freiheitsentzugs ein wenig überzogen war. Sie werden Gustl Mollath rehabilitieren und ihn aus Steuergeldern entschädigen, ohne den Vorwurf der organisierten, mutmaßlich von oben gedeckten Steuerhinterziehung auch nur im Mindesten aufzuklären. Und so werden die Bürger – wenn sie denn stillhalten – nie erfahren, ob es tatsächlich ein Komplott gegen Gustl Mollath gegeben hat oder ob sich dieser im Zuge seines aufreibenden Rosenkriegs mit seiner Ex-Frau in eine zeitweilige Psychose hineinsteigerte – oder ob am Ende beides zusammentraf.

 

Update 14.12.: Vier Journalistinnen von „Zeit“ und „Spiegel“ greifen in den Fall Mollath ein

Gestern veröffentlichten Spiegel und Zeit große Geschichten, die den Fall Mollath in einem anderen Licht erscheinen lassen. Ihr Tenor: Viel Lärm um nichts. Gerichte und Experten hätten richtig gehandelt. Einerseits ist es gut, dass die vier Journalistinnen hier einiges gerade rücken, andererseits sind ihre Interpretationen auch ärgerlich.

Beide Artikel sind von engagierten Frauen geschrieben. Sie nehmen insbesondere Frau Mollath (und Frau Merk) in Schutz. Das führt leider dazu, dass die Journalistinnen einiges ausblenden. Wer den 17-seitigen Revisionsbericht der HypoVereinsbank vom März 2003 aufmerksam liest, dem muss Folgendes auffallen:

Die von der Revisionsabteilung der Bank anlässlich der Beschuldigungen von Gustl Mollath „vernommenen“ fünf Bank-Mitarbeiter logen jeweils so lange, bis man ihnen mit schriftlichen Beweisen auf die Sprünge helfen konnte. Sie versuchten mit allen Mitteln, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen und ihre heimlichen „Geschäfte“ und „Gefälligkeiten“ abzustreiten. Es ging dabei u.a. um die Annahme von Provisionszahlungen für die Schädigung des eigenen Arbeitgebers, um dubiose Wertpapiergeschäfte, um Edelmetallkäufe für Kunden zu Mitarbeiter-Konditionen, um das Zur-Verfügung-Stellen von eigenen Konten für Fremdgeschäfte, um Geldwäsche und Schwarzgeldanlagen für Kunden. Die Kunden ihrerseits bedankten sich großzügig. Dies alles wäre nicht aufgefallen, wenn es die Briefe Gustl Mollaths nicht gegeben hätte.

Ich frage mich als Leser des Berichts unwillkürlich: Ist diese Dichte an „engen“ Kunden-Bankmitarbeiter-Beziehungen – mit Einladungen zu teuren Fernreisen (Südafrika für 25.589,20 Mark), Geldgeschenken (25.000 Mark) und hohen Erbschaften für eine Kundenberaterin (800.000 Mark) – eine Ausnahmeerscheinung oder geht das in der Vermögensberatung für wohlhabende Kunden üblicherweise so zu? Ich zitiere ein Beispiel aus dem Bericht:

„Am 24.9.2001 erhielt Frau G von der von ihr betreuten Kundin Ruth M. (es bestehen keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen) eine Gutschrift über DM 25.589,20 Mark mit dem Verwendungszweck „Reise nach Südafrika für zwei Personen“. Frau G. gab zu, von der Kundin zu dieser Reise eingeladen worden zu sein.“

Natürlich ist das nichts Unrechtes, aber ein paar kritische Fragen hätten den Spiegel– und Zeit-Journalistinnen zu dem Bericht schon einfallen können.

Es wurden in den Vernehmungen die hanebüchensten Ausreden bemüht, um unsaubere Geschäftemacherei und das ganze Netzwerk aus Gefälligkeiten und Vergünstigungen abstreiten und vertuschen zu können. Die Konsequenzen, die von der Bank nach den Anhörungen gezogen wurden, waren eindeutig: Sie trafen Frau Mollath mit am härtesten: ihr wurde fristlos gekündigt. Wenn Spiegel und Zeit jetzt so tun, als sei da gar nichts gewesen, dann ist das eine Verharmlosung der Rolle von Frau Mollath.

Aufgrund des Protokolls der Bank-Ermittler müsste man zumindest zu der Erkenntnis gelangen, dass es mit der Glaubwürdigkeit der Zeugin Petra M. nicht weit her sein kann. Am Ende des Revisions-Berichts heißt es wörtlich:

„Die Mitarbeiter, insbesondere Frau M. haben wenig dazu beigetragen, die gegen sie und die Bank erhobenen Vorwürfe zu entkräften. Sie haben durch unkooperatives Verhalten und das teilweise Zurückhalten von Informationen die Recherchen erschwert und in die Länge gezogen. Sachverhalte wurden meist erst nach Vorlegen von Beweisen etc. zugegeben.“

Und diese Frau galt den Richtern und Sachverständigen im späteren Prozess als absolut glaubwürdig? Ja es hieß sogar, sie habe keinerlei „Belastungseifer“ gegenüber ihrem Ex-Mann gezeigt.

Es wird auch nicht weiter hinterfragt, warum Petra Mollaths Anzeige gegen ihren Mann Gustl – wegen gefährlicher Körperverletzung – just zu dem Zeitpunkt erfolgte, als dieser seine belastenden Briefe an ihren Arbeitgeber, die HypoVereinsbank, schickte. Im Gerichtsurteil von 2007 heißt es: „Im November des Jahres 2002 erstattete die getrennt lebende Ehefrau des Angeklagten Anzeige wegen Körperverletzung…“ Die Zeit-Journalistinnen ignorieren das und verlegen den Zeitpunkt der Anzeige einige Monate nach hinten. Haben sie andere Erkenntnisse als das Gericht?

Im November 2002, als Gustl Mollath seine Frau bei der Bank anschwärzte, lag die eheliche Gewaltanwendung (mit dem angeblichen Würgen bis zur Bewusstlosigkeit!) bereits eineinhalb Jahre zurück. Warum wurde sie so spät und ausgerechnet in diesem November 2002 angezeigt? Man kenne das abwartende Verhalten von Frauen bei häuslicher Familiengewalt, schreiben die Journalistinnen der Zeit entschuldigend, da gebe es oft lange Zeiten der „Unentschiedenheit“. Doch eine unentschiedene Frau ist Frau Mollath ganz gewiss nicht gewesen, eher schon eine berechnende, darauf deuten zumindest die Ermittlungen der Bank. Könnte es nicht so gewesen sein, dass sich in diesem Rosenkrieg beide Seiten nichts schenkten? Dass beide Seiten mit hohem Belastungseifer „Beweise“ sammelten?

Aufgrund des erst jetzt bekannt gewordenen Revisionsberichts der HypoVereinsbank müsste eine Zeugenbefragung im Wiederaufnahmeverfahren wohl etwas anders verlaufen als beim ersten Prozess.

Die reinwaschende Darstellung von Frau M. (die heute als Geistheilerin – Theta Healing – tätig ist) durch die Journalistinnen von „Spiegel“ und „Zeit“ ist angesichts des HVB-Berichts unverständlich. Das Böse orten sie nur auf der männlichen Seite. Ihr Zurechtrücken der Dimension des Falls ist verdienstvoll, aber der siebenjährige Freiheitsentzug für Gustl Mollath erscheint – im Vergleich zu ähnlichen Fällen – skandalös. Dass seine nun eventuell bevorstehende Freilassung von den drei „Zeit“-Autorinnen warnend mit der irrtümlichen Freilassung eines gefährlichen Sexualstraftäters in Zusammenhang gebracht wird, ist geradezu infam.

Es drängt sich der Eindruck auf, als würde hier der aus dem Kachelmann-Prozess bekannte Deutungshoheit-Konflikt neu aufgelegt.
 

 

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