#Denver

Gold, Silber, Bronze und das alte Eisen

von , 25.3.09


Mir dräut schon länger, dass die “Olympischen Spiele der Neuzeit”, wie sie immer gerne genannt werden, mit ihrem Gold-, Silber- und Bronzekram demnächst zum alten Eisen gehören werden. Die Prognose von dieser Stelle lautet: Nach 2016 Chicago wird das Licht ausgemacht.

Klingt gewagt, wird aber immer wahrscheinlicher. Erstens weil dieser Sportarten-Mix hundert Jahre nach der Erfindung der Mischung nur noch sehr wenig mit der Interessenlage des Publikums zu tun hat. Man kann zwar so tun, als ließe sich an Turnen oder Leichtathletik oder Eiskunstlauf im Vier-Jahres-Turnus hinreichend Interesse erzeugen. Aber dabei handelt es sich um Selbstbetrug. Würden die Olympischen Spiele über Eintrittsgelder im Stadion oder in der Halle finanziert, wäre diese Traumvorstellung vielleicht noch eine Weile länger gestattet. Aber die Spiele werden von Sponsoren und Fernsehgeldern getragen (und refinanziert durch Werbeinnahmen, die aus den Kassen der gleichen Sponsoren kommen). Und diese Firmen wollen einen ROI, einen return on investment. Und was bekommen sie stattdessen? Einen Wasserkopf plus zahllose von Verbänden organisierte quasiindustrielle Trainingskomplexe, die alle immer teurer werden, aber weder den olympischen Gedanken noch das Interesse an sportlichen Wettkämpfen fördern.

In den Gewölbekellern der olympischen Strukturen hausen die Termiten: die Manipulateure, die mit Geld (Stichwort: Korruption) und mit Chemie (Stichwort Doping) den Ausgang der Ereignisse beeinflussen. Und es liegt zum anderen daran, dass die olympische Idee aus einem Vielnationen-Europa stammt, in dem es eine jingoistische Rivalität der großen Länder gab, die im Sport ein Ventil für ihre kriegslüsterne, menschenverachtende, politische Grundeinstellung sah.

In der Zeit des Kalten Kriegs wurde diese Rivalität ein letztes Mal zum Spannungsfaktor für Sport, als zuerst die Sowjetunion die Hegemonie der Altmächte in Frage stellte und dann die DDR mit einer effizienten Leistungsfabrik, wie es sie noch nie gegeben hatten, den alten Amateurbegriff endgültig aushebelte. Die hohe Zeit wurde übrigens von Leichtathletikländerkämpfen markiert, die zwei Tage lang dauerten und riesige Stadien füllten. Sport als Symbol und Identifikationsszenario für den Wettstreit der Systeme — ja, das hatte noch was. Das machte Lust auf mehr.

Schauen wir nach vorne und malen wir uns aus, was uns wohl in der Zukunft Lust auf mehr machen wird, kommt man ganz bestimmt nicht auf Leichtathletik oder Schwimmen, die beiden Kernelemente der Sommerspiele. Man kommt eigentlich auf gar nichts. Was nicht weiter schlimm sein sollte. Das hat es schon immer gegeben, dass Strukturen und Organisationsweisen verschwinden, die eine Zeitlang überhaupt nicht wegzudenken waren. Der Adel, der vor hundert Jahren noch das Heft in der Hand hatte, ist heute nur noch so eine Art Deko. Der real existierende Sozialismus, der einst unverrückbar und machtvoll schien, ist zerkrümelt. Kolonien wurden in die Unabhängigkeit entlassen und könnten, wie etwa im Falle Indiens, noch eines Tages ziemlich groß raus kommen. Und dass die neue Generation der Oligarchen (egal aus welchem Land) am Ruder bleibt, darf man bezweifeln. Denn bei denen handelt es sich nicht um nützliche Mitglieder des Sozialverbands, sondern um Parasiten, die notfalls mit purer Brutalität ihre Machtstellung behaupten.

Warum dieses Traktat heute und an dieser Stelle? Weil im IOC, dessen Exekutivkomitee sich in diesen Tagen in Denver trifft, um unter anderem über die Verteilung der Sponsorengelder zwischen dem US-NOK und dem Rest der Welt zu verhandeln, alle Zeichen auf GAU stehen. Die Vergabe der Spiele 2016 wird im Oktober entschieden. Die US-Stadt Chicago ist ein starker Kandidat (gegen Hauptgegner Tokio). Die Fernsehrechte sind für diesen Termin aber ungeklärt. Der größte Teil des Fernsehgeldes kommt natürlich auch aus den USA. Und dort sind die Spiele in fernen Zeitzonen nur schwer gut im Fernsehen zu präsentieren. Besonders im Zeitalter des Internets. Weshalb man mit Sydney und Athen (aber auch bei den Winterspielen aus Turin) irre Klimmzüge sehen konnte.

Im Verteilungskampf um ein knappes Gut– das liebe Geld – haben sich die wichtigen Leute auf beiden Seiten schon mal die Schienbeinschoner angezogen. Dieser Kampf wird kein sportliches Spiel nach guter alter Sitte werden und nach dem Motto „Dabei sein ist alles” ablaufen.

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