#Amerika

Gleichzeitig für Snowden und Dick Cheney? That’s America!

von , 31.1.14

Vor knapp 18 Jahren, am 8. Februar 1996, verlas der ehemalige Viehzüchter und Songschreiber John Perry Barlow beim Weltwirtschaftsforum in Davos die berühmte „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“. Ihr naives Pathos markiert wohl den Höhepunkt des techno-libertären Glaubens an das freie, unabhängige Netz. Schon die ersten Zeilen des sprachlich großartigen Manifests (das sich an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung Thomas Jeffersons anlehnt) wirken heute, im Jahr 1 nach Snowden, unfreiwillig komisch:
 

„Regierungen der Industriellen Welt, ihr müden Riesen aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, dem neuen Zuhause des Geistes. Als Vertreter der Zukunft bitte ich euch aus der Vergangenheit, uns in Ruhe zu lassen. Ihr seid nicht willkommen unter uns. Ihr habt keine Souveränität, wo wir uns versammeln.“

 
Sechs Jahre zuvor hatte Barlow die Electronic Frontier Foundation gegründet, eine Bürgerrechts- und Lobby-Organisation, die vor allem der Verteidigung der Freiheit im digitalen (Indianer-)Neuland jenseits der analogen Welt diente.

Dann kamen die digitalen Goldsucher und die Siedler-Trecks (ins Silicon Valley), die Internetmilliardäre und die NSA. Und schließlich führte das Ganze zum Kollaps der Internet-Jünger. Sie mussten einsehen, dass der wilde Westen nicht ganz so frei und wild war wie in ihrer Fantasie.

Und heute? Heute erfahren wir aus der ZEIT, dass jener John Perry Barlow seit Jahren als Berater der Geheimdienste tätig ist – und nichts dabei findet. Im Gegenteil, er ist von der Wichtigkeit seiner Tätigkeit überzeugt. Er sagt:
 

„Ich habe den festen Glauben, dass viele NSA-Mitarbeiter überlegt haben, was sie tun können, als sie gesehen haben, an was für einem diabolischen System sie mitarbeiten …

Ich habe über Jahre versucht, die Geheimdienste davon zu überzeugen, dass, wenn sie wirklich das – und nur das – tun wollen, wofür sie eigentlich da sind, dann müssen sie ihre Methoden ändern. Sie müssen ihre Arbeit offen und sehr viel transparenter erledigen, damit es jeder normale Bürger als seine patriotische Pflicht empfindet, dem Geheimdienst zu sagen, was er weiß.“

 
Diese Naivität verschlägt einem fast die Sprache. Weshalb nochmal arbeitet Barlow für den Geheimdienst? „Aus Patriotismus“, sagt er. Es hört sich an wie bei Edward Snowden, der sich freiwillig für den Kriegseinsatz im Irak gemeldet hatte.

John Perry Barlow unterstützte auch nicht – wie man hierzulande vielleicht vermuten würde – die Demokraten, er unterstützte die Republikaner. Und er unterstützte nicht irgendwelche Republikaner, er unterstützte Dick Cheney, den späteren Vizepräsidenten und ideologischen Scharfmacher unter Präsident George W. Bush.

Und nun setzt sich Barlow für die Freiheit von Edward Snowden und Julian Assange ein. Das klingt wirr, aber hey, that’s America.
 
P.S. Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn sich die Europäer mal etwas näher mit der wahren Geschichte des amerikanischen Internets befassen würden.
 

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