#Fernsehkritik

Gespräche mit meinem Therapeuten Kurt über das Fernsehen (3)

von , 9.5.12

Zuerst einmal muss ich mich entschuldigen. Eigentlich wollte ich gestern schon mein Therapieprotokoll posten, aber Kurt hat es verboten. Er sagt, ich solle lernen direkt mit Menschen zu kommunizieren, wenn ich etwas zu sagen hätte. Und es täte dem Kampf gegen meine TV-Neurose gut, wenn ich sie möglichst vielen Menschen offenbare. Das will ich tun. Zu meiner Störung gehört, laut Kurt, dass ich in allem immer nur das Schlechte sehen würde. Kurt sagt, ich solle versuchen, mein Glas eher auf halb voll, als auf halb leer zu stellen. Gegen etwas zu sein wäre immer leichter, als sich offen dazu zu bekennen, etwas gut zu finden. Und wenn man etwas nicht gut findet, dann soll man nicht destruktiv darüber herziehen, sondern man soll konstruktive Kritik üben. Und man soll nicht man sagen, wenn man sich selbst meint.

Das muss man aber erst einmal auf die Kette kriegen.

Kurt meinte, dass meine Abneigung gegen die Sendung DSDS daher rühren könnte, dass ich selbst eine Zeitlang Geld dafür genommen habe, dort zu arbeiten. Ich solle mit meiner Vergangenheit abschließen und versuchen den Dingen auch etwas Positives abzugewinnen. Das habe ich mir fest vorgenommen und mir die Show “DSDS Kids” angeschaut und ich fand sie für die Zielgruppe extrem gut gemacht.

Erst als Kurt mir sagte, dass die Zielgruppe auch hier der durchschnittlich Hirnamputierte und nicht der Pädophile von nebenan sei, musste ich meine Meinung revidieren.

Neulich war ich, obwohl Kurt mich davor gewarnt hatte, bei einem TV-Seminar. Die „Großen“ der Branche haben dort bei „Der große Showgipfel“ Vorträge gehalten. Besonders gut fand ich den 60-minütigen Vortrag eines Holländers namens Etienne de Jong. In langen, schwafeligen Ausführungen hat er allen erklärt, wie genial das Format „The Voice of Germany“ sei. Eine Produktion des Bruders von Botox-Linda, John de Mol. Angeblich habe er mehr als 30 Kreative in einem Keller sitzen, die Tag und Nacht darüber sinnieren, wie man ein solches Format noch besser machen und es weiter von normalen Castingshows abheben könne. Eigentlich hätte man die 60 Minuten in einen Satz packen können: „Lass mal jemanden nehmen, der auch singen kann.“

Kurt meinte allerdings, dass man es sich nicht immer so einfach machen dürfe.

Sehr gefreut hatte ich mich zuerst über das Format „My name is…“ bei RTL2. Ich dachte nämlich, es würde hier um eine Hommage an den verstorbenen Künstler Christoph Schlingensief gehen und seine damals abgesetzte Show „Freakstars“.

Dank Kurt weiß ich aber jetzt, dass bei „My name is…“ weder Darsteller noch Jury offiziell behindert sind.

Sehr gut fand ich die Idee der Redaktion von Günter Jauch bei seiner Wahlsendung am Sonntagabend. Als die nämlich gemerkt haben, dass keiner der Gäste auch Herrn Jauch mehr zu erzählen hat als den Reportern der diversen Wahl- und Nachrichtensendungen, haben sie einfach einen Stuntman rausgeschickt und den von der Studiosecurity verdreschen lassen. Aber ordentlich. Um zu demonstrieren, dass der Mann doch noch lebt, musste er dann noch eine ganze Zeit im Studio rumstehen und durfte sich die Sendung anschauen.

Kurt wies mich allerdings darauf hin, dass der Mann ein echtes Anliegen gehabt hätte und tat meinen Vorschlag, dann solle er doch zu Thomas Gottschalk gehen, der erfülle doch jetzt Wünsche, als „infantiles Gewäsch“ ab. Das verstehe ich auch. Denn wenn man nicht Kind oder Tier oder beides zusammen ist, dann hat man natürlich keine Chance bei „Gottschalk live“ mit seinem Wunsch durchzukommen.

Kurt hatte dann noch die Idee, dass ich mir doch einfach mal „zeitgemäße“ Sendungen anschauen könne. Die würden jetzt nämlich nicht nur im Internet ausgestrahlt, sondern teilweise sogar schon im Nachtprogramm der öffentlich- rechtlichen Spartensender laufen. „Neo paradise“ mit Joko und Klaas sogar schon vor Mitternacht. Das fand ich dann gut. Und zu der Sendung „Roche und Böhmermann“ (ZDF Kultur) bin ich sogar zur ersten Aufzeichnung gefahren. Wenn man davon absieht, dass sie die Aufzeichnung immer wieder gestoppt haben, bis Sido dann das gesagt hat, was er durfte, war das doch alles ganz schön spontan und zumindest „retroyoungfashioned“.

Am Besten gefallen hat mir allerdings die Idee der Tatortproduzenten. Nicht einfach nur gute Schauspieler durch eine hanebüchene Rotzstory zu verarschen, sondern auch die Form von Kunst, einfach mal die Tonspur aus dem Wahlstudio über die Sterbeszene von Cenk Batu zu legen. Aber ich muss mich ja nicht ärgern, denn anstelle des Hamburger Tatorts kommt ja jetzt demnächst „Keinohrhasen 3-8“. Ohne Vorspann.

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