#Fernsehkritik

Gespräche mit meinem Therapeuten Kurt über das Fernsehen (5)

von , 21.5.12

Ich bin sehr erleichtert. Kurt hat mich nicht rausgeschmissen. Ich darf als Patient bei ihm bleiben, obwohl ich mich nicht an sein Fernsehverbot gehalten hatte.

Kurt hat mich eben etwas gefragt, was ich mich selber eigentlich auch schon lange frage. Warum gucke ich eigentlich Tatort, wenn ich alles immer „beschissen“ finde? Ich glaube, das ist so, wie im Winter morgens aufwachen und trotz besseren Wissens erstmal nach draußen nach der Sonne schielen. Und manchmal ist sie ja dann sogar da.

Außerdem gehört Tatort zum Sonntagabend wie gekochte Eier und Brötchen zum Sonntagmorgen. In meiner Familie wird jetzt in der vierten Generation geguckt. Was hält heutzutage schon so lange? Und das möchte ich mir nicht gerne von „Wir brauchen mal was Neues- was richtig Neues, irgendwie Redakteuren“ kaputt machen lassen. Diese Woche brauchte ich mir eh keine Sorgen darüber zu machen, weil sie den „Tatort“ mal wieder „Polizeiruf 110“ genannt haben. Den Unterschied verstehe ich sowieso nicht. Das muss wohl so sein, wie bei der Volksfront von Judäa, die ist ja bekanntlich auch nicht die judäische Volksfront…

Auf jeden Fall hatte ich nichts zu motzen. Ich konnte mit raten und wusste den Täter nach 35 Minuten (das ist immer so: Wenn der Verdächtigste zu diesem Zeitpunkt unverdächtig wird, dann war er es am Ende) und er hat es sogar aus einem (wahrscheinlich) gerechtfertigten Notstand heraus getan. Ein solider, deutscher Krimi für uns TV-Spießer. Er hat mich auf jeden Fall versöhnt für alles, was ich vorher bei RTL gesehen habe.

Mein Highlight: Victoria Beckham schmiert sich Schafsplazenta ins Gesicht. Das Ergebnis: Sie sieht aus wie ne alte Ziege mit junger Haut. Das fand Kurt allerdings nicht witzig. Despektierlich hat er das genannt. Auch meinen Vorschlag, das Rezept einfach mal nicht mit Schaf, sondern mit Ziege zu versuchen und Hennes VIII zu Gesichtscreme für die Jungs vom 1. FC Köln zu verarbeiten, damit sie beim nächsten Abstieg nicht so alt aussehen, fand er unangemessen.

Nach dem „Polizeiruftatort“ habe ich mir Günther Jauch angeschaut. Interessant. Vor dem Studio standen schon ein Dutzend als Jusos verkleidete „Jubelperser“, die nicht wollten, dass Thilo Sarrazin etwas über sein neues Buch „Europa braucht den Euro nicht“ erzählt. Dieser Meinung ist auch Stern Redakteur Christoph Fröhlich. Er geht sogar noch weiter. Nach dem Motto „Kritik braucht Input nicht“ schreibt er für Stern über das Buch, ohne es gelesen zu haben. Auch Günther Jauch wird von ihm kritisiert. Die Sendung sei nur eine ungewollte PR-Plattform für Sarrazin. Ganz anders als sein Artikel, denn bei Günter Jauch hatte zumindest ein Redakteur das Buch gelesen und für den Moderator Stellen markiert.

Wolfgang Schäuble, der in der vergangenen Woche den Karlspreis (nicht zu verwechseln mit dem „Orden wider den tierischen Ernst“) bekommen hat, ging sogar soweit, einem SPD Politiker und möglichem Kanzlerkandidaten, der sich den Argumenten Sarrazins stellte, Profilierungssucht vorzuwerfen. Infam…

Nicht darüber reden. Dann ist es auch nicht da. Frei nach Homer Simpson: „Es ist nichts passiert!“ Reden wir nicht mit Rechten, wenn sie gewählt werden. Dann sind sie auch nicht da. Verbieten wir die NPD! Dann sind die Nazis weg. Schluss mit Hells Angels als Verein. Problem gelöst.

Von Kurt habe ich während meiner Therapie gelernt, dass ich nur gegen den Teufel, den ich kenne, kämpfen kann. Und wenn nach den Umfragen der Günther-Jauch-Redaktion ganz knapp die Hälfte der von infratest dimap-Befragten gegen Griechenlandunterstützung und über zwei Drittel für die D-Mark sind, dann haben wir da ein Thema, oder? Ob es uns passt oder nicht. Und ob der Sarrazin ein Buch verkauft, oder nicht. Ob uns zum Beispiel die BILD-Zeitung passt oder nicht, und egal ob man sie als Meinungsmultiplikator oder Instrument der Vermehrung von Geld betrachtet: Die darin dargestellten Meinungen gibt es. Seien sie noch so unfundiert und dämlich.

Zu meiner Aussage über Herrn Dr. Schäuble, dass niemand in der Regierung vergessen dürfe, dass er einer tolerierten Minderheit angehöre, weil die Mehrheit es vorziehe nicht wählen zu gehen, sagte Kurt, dass das kaum hier hin gehöre, da dies hier eine Kolumne über das Fernsehen und nicht meine „schrägen“ Ansichten von Politik sei.

Damit gebe ich ihm Recht. Und mir verbleibt zu sagen, dass ich Herrn Steinbrück gut fand, er das letzte Mal bei Günther Jauch die gleiche Krawatte getragen hat und Thilo Sarrazin mindestens genau so oft bei Stern-TV gewesen ist.

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