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Finale ohne Sieger: Die EU findet einen Kompromiss zum Klimaschutz, der niemandem richtig gefallen dürfte

von , 13.12.08

Die gute Nachricht zuerst: Die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben einen Kompromiss zu den wichtigsten Projekten der europäischen Klimapolitik gefunden. Dies ist insofern erstaunlich, da die Fronten im Vorfeld der Verhandlungen so verhärtet waren, dass das Erreichen eines Ergebnisses an sich schon als Erfolg gewertet werden muss. Aufgrund der zahlreichen Ausnahmeregelungen, Vorbehalte und unverbindlichen Erklärungen fällt es jedoch schwer zu sagen, wer als Sieger aus den Verhandlungen gegangen ist und wem das Ergebnis wirklich weiterhilft.

Zunächst bleibt festzuhalten, dass die Europäische Union ihre Zielsetzungen untermauert hat. 20 Prozent weniger Emissionen bis 2020 und eine Anhebung des Anteils erneuerbarer Energien auf 20 Prozent im gleichen Zeitraum. An diesen Festlegungen wurde nicht gerüttelt und sie dürften in naher Zukunft Rechtsform erhalten. Weit schwieriger gestaltet sich die Umsetzung der finanziellen Wirkungsmechanismen, die im Hintergrund dieser Zielsetzung eingesetzt werden sollten. Konkret geht es dabei um die Versteigerung der Emissionszertifikate für die europäische Industrie und die Elektrizitätswirtschaft. Weitgehend durchsetzen konnten sich hier die Unternehmen der energieintensiven Branchen, die einem internationalen Wettbewerb um den Absatz ihrer Produkte ausgesetzt sind. Die Bedingungen für die Einstufung in die Kategorie „gefährdete Branche“ erscheinen im Zuge der Einigung nicht sonderlich schwer zu erfüllen und dürften für die allermeisten der international agierenden Unternehmen erreichbar sein. Erst im Jahr 2027 soll hier eine volle Versteigerung der Zertifikate gewährleistet werden.

Auch wenn dies als Etappensieg für die Industrie gefeiert wird, bleibt doch festzuhalten, dass auch diese Branchen ihre Emissionen um jährlich 1,74 Prozent reduzieren müssen oder für diesen Prozentsatz Rechte erwerben müssen, die ihnen nicht frei zugeteilt werden. Zudem orientiert sich das Modell an Benchmarks. Das bedeutet, dass nur diejenigen Unternehmen ihre Zertifikate in vollem Umfang frei zugeteilt bekommen, die dem höchsten verfügbaren technologischen Standard entsprechen. Dies befreit die Unternehmen entsprechend nicht aus ihrer Verantwortung, erleichtert ihnen nur die Erfüllung der Vorlagen.

Im Stromsektor sieht die Situation etwas anders aus. Auf den ersten Blick scheint sich die Forderung der mittelosteuropäischen Staaten um Polen durchgesetzt zu haben: Ab dem Jahr 2013 soll in der Elektrizitätswirtschaft nur ein Mindestanteil von 30 Prozent der Zertifikate auf entsprechenden Märkten erworben werden. Diese Quote soll, so der Kompromiss, bis 2020 hin zu einer vollen Auktionierung angehoben werden. Erst auf den zweiten Blick zeigen sich die Begrenzungen dieser Regelung. Einerseits können sie nur von Staaten mit einem Nutzungsgrad von mindestens 30 Prozent eines einzelnen Energieträgers (Kohle) angewandt werden, andererseits ist die Annahme der Übergangsregelung an strikte Vorschriften geknüpft. Dazu gehört eine volle Verwendung der eingesparten Mittel in Neuinvestitionen, so etwa die Verbesserung der Anlagen oder Einführung sauberer Technologie. Die somit eingesparten Mittel verbleiben den Energieunternehmen also nicht zur freien Verfügung, sondern müssen direkt reinvestiert werden. Dies erscheint mit Blick auf die Klimaschutzbestrebungen in jedem Fall besser, als eine Ausschüttung der höheren Dividende an die Aktionäre des Unternehmens. Ein stetiger Kontrollmechanismus soll diesen Prozess zudem möglichst transparent gestalten.

Schließlich mussten sich die alten Mitgliedstaaten diesen Kompromiss wie so oft teuer erkaufen. Zwei Prozent der Erlöse aus dem Emissionshandel werden künftig an diejenigen Staaten fließen, die 2006 weniger als die Hälfte des durchschnittlichen europäischen Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt aufweisen konnten. Darunter fallen alle mittelosteuropäischen Mitgliedstaaten mit Ausnahme Sloweniens. Dieser Prozentsatz ergänzt einen ohnehin bereits von Seiten der Kommission vorgeschlagenen Solidaritätsfonds, in den zehn Prozent der Erlöse fließen. Aus diesem Fond dürfen sich wiederum strukturschwache Mitgliedstaaten nach festgelegten Prozentsätzen bedienen. Abhängig von der Höhe des Zertifikatepreises und der Menge der versteigerten Rechte, könnte es sich bei den Transferleistungen um mehrere Milliarden Euro handeln. Ein Zugeständnis an die wirtschaftlichen Probleme, die durch die Klimaschutzbestrebungen für diese Region mit billig produzierender Nachbarschaft (so etwa Belarus oder die Ukraine) entstehen könnten.

Der zu erwartende bürokratische Aufwand, der in Folge der Umsetzung des umfangreichen und äußerst komplizierten Regelwerks erbracht werden muss, dürfte sowohl die Mitgliedstaaten, als auch die Europäische Kommission vor unerwartete Herausforderungen stellen. Vielleicht ein Antrieb, alsbald auf eine Vereinfachung zu drängen und Ausnahmen zu streichen.

Zwei klare Verlierer hat der Kompromiss dennoch. Der erste sind die Schwellen- und Entwicklungsländer. Sie hatten lange darauf gehofft, an den Erlösen aus dem europäischen Emissionshandel beteiligt zu werden. Vorstellbar wäre die Finanzierung von Technologie zur Emissionsminderung oder von Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels gewesen. Zu einer solchen Übereinkunft konnten sich die Staats- und Regierungschefs jedoch nicht durchringen und ließen eine Zweckbindung der Mittel offen. Sicherlich kein gutes Signal für die weiterhin laufenden Klimaverhandlungen auf globaler Ebene.

Der zweite große Verlierer der europäischen Klimaverhandlungen betritt die Bühne erst mit Verspätung. Das Europäische Parlament muss im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsverfahrens in der nächsten Woche ebenfalls über das Klimapaket entscheiden. Die Parlamentarier tun dies im Bewusstsein, dass eine moralisch richtige Entscheidung für sie kaum zu treffen ist. Stimmen sie dem Kompromiss des Europäischen Rates zu, so widersprechen sie allen zuvor formulierten ehrgeizigen Plänen zum Klimaschutz. Kaum ein anderer Akteur auf europäischer Ebene lehnte sich so weit aus dem Fenster wie das Parlament. Würden die Abgeordneten das Paket jedoch platzen lassen, so wäre dies blamabel für Europas Bestrebungen, frühzeitig mit konkreten Maßnahmen zum Klimaschutz voranzuschreiten und ein endgültiges Ergebnis dürfte auf europäischer Ebene lange auf sich warten lassen. Eine Gewissensfrage der besonderen Art, der sich die Parlamentarier nun stellen müssen.

Alles in allem macht Europas Lösung zum Klimaschutz eher den Eindruck eines Flickenteppichs als den eines vollständig durchdachten und nachhaltigen Konzepts, das Modellcharakter für andere Regionen der Welt haben könnte. Dennoch dürfte es sein wichtigstes Ziel erfüllen: Die Reduzierung der Treibhausgasemissionen in Europa. Wenn auch unter Verlust zahlreicher positiver Nebeneffekte.

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