von Daniel Leisegang, 28.6.12
Rund 16 Mrd. US-Dollar haben die Alteigentümer von Facebook, unter ihnen auch Risikokapitalgeber und Mitarbeiter des Unternehmens, eingenommen. Der Zeitpunkt des Börsengangs war obendrein klug gewählt. Denn die Unternehmensführung weiß, dass das Geschäftsmodell von Facebook derzeit an seine Grenzen stößt.
Allerdings sollte Mark Zuckerberg nicht vorzeitig in Jubel über den überaus einträglichen Börsencoup ausbrechen. Denn nun untersuchen die US-amerikanische Börsenaufsicht SEC und zwei Ausschüsse des US-Kongresses die näheren Umstände im Vorfeld des Börsengangs. Im Fokus der Ermittlungen stehen dabei insbesondere jene fragwürdigen Entscheidungen, die den Einstiegspreis der Facebook-Aktie vorab nach oben getrieben hatten.
Das schwindende Vertrauen
Zudem könnte sich der Börsengang weit über das unmittelbare juristische Nachspiel hinaus als Zäsur für Facebook erweisen – und den Sinkflug des Internetgiganten einleiten. Denn dass der Konzern beim Börsengang offenbar mit gezinkten Karten gespielt hat, nehmen ihm nicht nur die um ihr Geld betrogenen Kleinanleger übel. Auch die Nutzer verlieren mehr und mehr das Vertrauen in das soziale Netzwerk.
Dabei stellt gerade Vertrauen die unentbehrliche Geschäftsgrundlage von Facebook dar. Die Mitglieder verbringen im Schnitt ein Fünftel ihrer Zeit im Internet auf der Plattform. Hier tauschen sie sich auch über private Angelegenheiten aus: über Beziehungen, Befinden und Beruf. Geht das Vertrauen in Facebook verloren, werden sich die Nutzer langfristig von dem sozialen Netzwerk abwenden.
Dies wiederum würde die tragende Säule des ökonomischen Erfolgs von Facebook erschüttern: das Werbegeschäft.
82 Prozent seiner Umsätze erzielte der Konzern im ersten Quartal 2012 mit Anzeigen – vor allem auf seiner Website. In einer aktuellen Umfrage des US-amerikanischen Fernsehsenders CNBC gaben jedoch 59 Prozent der Befragten an, dass sie Facebook misstrauten, ihre privaten Daten gewissenhaft zu schützen, weshalb 57 Prozent niemals die eingeblendete Werbung anklicken.
Diesen Vertrauensverlust hat Facebook vor allem selbst zu verantworten. Insbesondere die eigenmächtigen Anpassungen der Datenschutzstandards nährten immer wieder den Argwohn der Nutzer. So lockerte Facebook in der Vergangenheit wiederholt die sogenannten Privatsphäreneinstellungen, wodurch als vertraulich eingestufte Nutzerdaten quasi über Nacht öffentlich zugänglich wurden.
Mobile Herausforderungen
Das Misstrauen in Facebooks Geschäftspolitik wird durch die zentrale Stellung Mark Zuckerbergs noch bestärkt. Auch nach dem Börsengang hält der Unternehmensgründer, der weiterhin über 500 Mio. Facebook-Aktien und damit 57 Prozent aller Stimmrechte verfügt, alle Fäden in der Hand. Erst vor wenigen Wochen kaufte Zuckerberg im Alleingang den Online-Fotodienst Instagram für die sagenhafte Summe von einer Milliarde US-Dollar. Zwar konnte er damit die wirtschaftliche Macht seines Unternehmens kurz vor dem Börsengang eindrucksvoll herausstellen. Wie sich der Kauf langfristig für Facebook auszahlen soll, ist vielen Analysten aber noch ein Rätsel.
Ohnehin ist das Fehlen einer konsistenten Geschäftsstrategie das eigentliche Problem. Das Unternehmen selbst räumt ein, dass es bislang keine nachhaltigen Antworten auf die Herausforderungen des wachsenden Mobilmarkts gefunden hat.
Allein im vergangenen Jahr hat die mobile Nutzung des Internet um rund 35 Prozent zugenommen. Immer mehr Nutzer verwenden dabei auch die Facebook-Applikation auf Smartphones und Tablets, mit der sich die Funktionen des Netzwerks auch auf mobilen Endgeräte nutzen lassen. Allerdings bieten diese wegen der kleineren Bildschirme weniger Raum für Werbeanzeigen. Viele Werbeformen sind daher insbesondere auf dem Smartphone noch nicht darstellbar. Die rasante Verbreitung des mobilen Internet bedroht somit das Anzeigengeschäft – und damit Facebooks Haupteinnahmequelle.
Auch bei den Partnern von Facebook wachsen die Zweifel an dessen Geschäftsmodell. So zog sich General Motors nur wenige Tage vor dem Börsengang aus dem mobilen Werbegeschäft bei Facebook zurück. Als Grund gab der Automobilkonzern an, dass die Anzeigen im Vergleich zu anderen Werbeformaten, wie etwa Google Ads, nicht den erhofften Erfolg gebracht hätten. Auch wenn General Motors nur die vergleichsweise geringe Summe von 10 Mio. US-Dollar in Facebook-Werbung investierte, schreckte der Rückzug sowohl das Facebook-Management wie auch die Analysten auf.
Die Grenzen des Wachstums
Das Unternehmen muss somit dringend eine Strategie für den mobilen Markt finden. Derzeit scheint es jedoch vor allem auf eins zu setzen: das starke Wachstum der Nutzerzahlen. Allerdings stößt Facebook schon jetzt an seine Wachstumsgrenzen – insbesondere in den profitablen Märkten in Europa und den USA. Mehr als 60 Prozent der Einwohner in den Vereinigten Staaten wie auch in Großbritannien sind bereits angemeldet. In Chile, der Türkei und Venezuela sind es 85 Prozent der Internetnutzer.
Insbesondere in den USA, dem Heimatland von Facebook, geht das Wachstum inzwischen deutlich zurück. Im April 2011 wuchs das Netzwerk noch um 24 Prozent. Ein Jahr zuvor waren es sogar 89 Prozent. In den vergangenen Monaten hingegen legte das Netzwerk nur noch um rund 5 Prozent zu. Neue Nutzer gewinnt Facebook derzeit vor allem in Asien. Während es aber in den Vereinigten Staaten durchschnittlich 9,51 US-Dollar pro Mitglied im Jahr einnimmt, erhält es dort gerade einmal 1,79 US-Dollar.
Der Konzern steht somit vor der großen Herausforderung, das Wachstum um ein Vielfaches erhöhen zu müssen, um die geringeren Umsätze pro Nutzer ausgleichen zu können. Dem sinkenden Wachstum stehen zudem steigende Kosten gegenüber. Im vergangenen Jahr investierte Facebook massiv in die Infrastruktur der Seite und warb teure Ingenieure und Manager an. Die Ausgaben schossen daraufhin um 97 Prozent in die Höhe. Gleichzeitig nahmen die Einnahmen nur um 45 Prozent zu. Auch aus diesem Grund ging der Gewinn im ersten Quartal 2012 im Vergleich zum Vorjahr erheblich zurück.
Der Anfang vom Ende?
Facebook läuft somit Gefahr, das gleiche Schicksal wie AOL und Yahoo zu erleiden. Sie scheiterten in den vergangenen Jahren damit, ihre Geschäftsstrategie den technischen Entwicklungen wie auch den Kundenwünschen anzupassen. Heute fristen die beiden Unternehmen nur noch ein Schattendasein im Netz. (Der Analyst Eric Jackson sagt sogar voraus, Facebook werde in fünf bis acht Jahren „verschwunden sein“.
Das dringend erforderliche Wachstum sollen nun neue Zielgruppen herbeiführen. Nur wenige Tage nach dem Börsengang kündigte der Konzern an, fortan auch Kinder unter 13 Jahren zuzulassen. Ihre Netzwerkkonten können dann mit denen ihrer Eltern verknüpft werden. Diese sollen auch die letzte Entscheidung darüber haben, wen ihre Kinder als Freunde hinzufügen und welche Anwendungen und Spiele sie nutzen dürfen.
Angeblich plant Facebook zudem, in Zukunft auch außerhalb der Community auf deren Mitglieder zugeschnittene Werbung zu schalten. Dann aber müsste der Konzern seine Nutzer ganz offen unter Dauerbeobachtung stellen. Beide Ansätze werden die ohnehin hitzigen Diskussionen um den Datenschutz und die Geschäftspolitik von Facebook weiter befeuern.
Wie also geht es weiter mit dem sozialen Netzwerk? Eines steht fest: Auch ohne kräftiges ökonomisches Wachstum kann Facebook noch viele Jahre fortbestehen. Ernsthaft Sorgen muss sich das Unternehmen erst dann machen, wenn die Nutzerinnen und Nutzer ihm in großer Zahl den Rücken kehren.
Allerdings könnte dies schneller eintreten, als es derzeit noch den Anschein hat. In einer weiteren aktuellen Umfrage gaben bereits mehr als ein Drittel der befragten Facebook-Mitglieder an, das Netzwerk habe für sie innerhalb des letzten halben Jahres erheblich an Bedeutung verloren; Facebook sei „langweilig, nicht relevant oder unnütz“. Deshalb verbrächten sie zunehmend weniger Zeit auf der Plattform.
Es sieht demnach so aus, als müsse sich das Unternehmen rasch etwas Neues einfallen lassen – für seine Investoren, aber auch für seine Mitglieder. Ansonsten droht Facebook nicht nur auf dem Aktienmarkt, sondern auch bei der „Generation Internet“ der Absturz.
Hinweis: Eine längere Fassung des Artikels findet sich in der Juliausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik.