von Christoph Kappes, 11.4.10
Die Diskussion um die Geschäftsbedingungen von Facebook hat in den letzten Tagen einen neuen Höhepunkt erreicht: Nachdem Ministerin Aigner einen „offenen Brief“ an Marc Zuckerberg auf Facebook veröffentlicht hat und Verbraucherschutzverbände vor Facebook warnten, findet sich nun auch ein überparteilicher Zusammenschluss von Politikern, die zur Mitgliedschaft in einer Facebook-Privatsphäre-Gruppe auffordern.
Dieses Vorgehen halte ich für falsch und, mehr noch, sogar für schädlich. Warum?
A. Die sachliche Ebene
Zunächst zur Sache selbst:
1. Facebook wird nur hauptsächlich für einen einzigen Punkt kritisiert, nämlich die neuen Datenschutzbestimmungen mit der Weitergabe von Daten an Partner ohne vorherige Zustimmung im Einzelfall. Das ist ein Problem, aber der falsche Fokus, denn es mangelt nicht an Aktivitäten, die man kritisieren könnte:
- Die Einblendung von Freunden in Werbeanzeigen,
- den Datenaustausch mit gmx,
- das systematische Verstecken von Privatsphäre-Optionen (bis hin zur Löschung des eigenen Profils),
- das Anzeigen der Applikationen von Kontakten,
- das dauerhafte Verbleiben von Links auf Inhalte, auch nachdem diese auf „privat“ umgestellt wurden (!),
- das Markierenkönnen von Personen auf Fotos Dritter,
- mangelhafte Beschwerdemöglichkeiten, wenn andere Nutzer Rechtsverstöße begehen,
- das systematische Verleiten auf vermeintlich harmlose Applikationen Dritter, die keinen anderen Zweck als Nutzerdatensammlung haben (auf Facebook-Entwickler-Foren findet sich dazu lebhafter Austausch),
- das systematische Verleiten von Nutzern, via iPhone-Applikation vertrauliche Kontaktdaten auf Facebook hochzuladen,
- die maschinelle Analyse von Statusmeldungen – in Kombination mit der neuerdings gemeldeten Erweiterung „Facebook Mail“ vermutlich ein ganz großes Thema, das der Diskussion um GMail nicht nachstehen wird.
Diese Liste ist nicht einmal vollständig. Es zeugt nicht von Sachkenntnis, dass die Beteiligten hier nur einen einzigen Aspekt thematisieren. Richtig wäre, einmal „das Ganze“ anzusprechen. Wenn sich in diesem einen Fall die öffentlichen Wogen wieder glätten, wie sie das nach einigen Monaten immer tun, wird es umso schwieriger werden, das „System Facebook“ zu kritisieren und Grenzen zu setzen.
2. Die öffentliche Diskussion vermittelt den Eindruck, Facebook habe bereits gehandelt. Dieser Eindruck ist falsch. Im Gegenteil, Facebook verweist völlig zu Recht darauf , dass man nur neue Bestimmungen zur Diskussion gestellt habe. Wer dies mit der Old Economy vergleicht, wird Facebook hier sogar einen Pluspunkt geben müssen: Welches andere Unternehmen diskutiert mit seinen Kunden vor der Änderung von Geschäftsbedingungen, öffentlich, schriftlich und intensiv?
3. Es geht Facebook nach eigenen Angaben nicht um eine generelle Zustimmung zur Datenweitergabe an Dritte. Im Gegenteil, Facebook schließt das für seine Werbepartner ausdrücklich aus, hier soll anonymisiertes Targeting von Werbemitteln stattfinden. Die Zustimmung betrifft Partner, deren Anwendungen dauerhauft eingebunden werden sollen, was auch in Deutschland nicht unüblich ist. Materiell geht es um drei ausgewählte Partner: Yahoo, AOL Chat, CNN Streams. Alle drei Fälle haben Nutzwert und sind meines Erachtens durchaus nachvollziehbare Weiterentwicklungen des Kernproduktes und vor allem – gemessen am Datenaustausch mit den Entwicklern scheinbar harmloser, viraler Applikationen – sind sie wenig bedenklich, weil es sich um angesehene, etablierte Unternehmen handelt. Damit argumentiere ich inhaltlich, formal ist ein Opt-Out auch aus meiner Sicht ein Foul, sofern und soweit die Klausel auch bisher nicht genannte Partner umfasst.
Fazit: Die richtige Diskussion, aber Thema verfehlt. Das richtige Thema wäre die generelle Haltung des Facebook-Managements zu Privatsphäre und Datenschutz.
B. Die politische Ebene
1. Nach Ansicht des hamburgischen Datenschutzbeauftragten wäre die angestrebte Änderung ein Verstoß gegen §4 Abs. 2 BDSG. Warum wird nicht diskutiert, ob er damit richtig liegt? Stattdessen rauscht drei Tage lang der Blätterwald. Ebenso sagt er, es läge ein Verstoß gegen die Safe-Harbour-Erklärung vor. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass Safe Harbour entgegen landläufiger Meinung sehr wohl Mechanismen vorsieht, wie zu verfahren ist, wenn ein U.S.-Unternehmen gegen die Bestimmungen verstößt, denen es sich unterworfen hat. Ich erwarte von Ministern, dass sie sich hierzu äußern, gegebenenfalls den Rechtsweg beschreiten und/oder ihr Vorgehen mit Amtsträgern des Bundes oder der EU abstimmen.
2. Für ein ministerielles Vorgehen ist ein „offener Brief“ an den CEO, geschrieben an einem Ostermontag, eine unangemessene Vorgehensweise. Bevor man zu solchen Mitteln greift, gilt es a) Rechtsverstöße zu prüfen und gegebenenfalls mit den dafür vorgesehenen Mitteln dagegen vorzugehen, b) Hintergrundgespräche zu führen, c) einen Gesetzesentwurf anzustoßen. Dies wäre zielführender als ein öffentlicher Affront, zumal ein wenig Beschäftigung mit Marc Zuckerberg und der Finanzierungssituation von Facebook schon nach kurzem googeln ergibt, dass Mr. Zuckerberg ein 25jähriger Papier-Milliardär ist, der früher E-Mail-Accounts gehackt hat und von seinen Investoren abhängig ist, da sein Unternehmen nicht annähernd den Gewinn erwirtschaftet, den ein Unternehmen mit einer derart hohen Bewertung erwirtschaften muss. Kurz gesagt: Ein dezenter Brief oder Anruf bei den Investoren oder eine Einladung zu einem Tee wäre vermutlich zielführender gewesen. Und dieses Vorgehen wäre auch so, wie bisher Einwirkungen der Politik in Unternehmen funktioniert haben: dezent und ohne Außenwirkung – und gerade deswegen erfolgreich. Man stelle sich einmal zum Vergleich vor, dass der Bundeswirtschaftsminister einen offenen Brief an den neuen Vorstandsvorsitzenden von SAP schreibt, weil das FI-Modul des ERP-Systems die handelsrechtlichen Vorschriften zur Speicherung von Buchhaltungsvorgängen nicht einhält, oder der Bundesumweltminister einen Brief an Porsche schreibt, weil das neue Modell die Umwelt schädigt. Wird das der neue Politik-Stil in Deutschland?
3. Ich sehe es als Bürger sehr kritisch, dass Amtsträger, seien es Minister oder Mitglieder des Bundestags (egal welcher Colour), nicht die Wege beschreiten, die für die Amtsausübung vorgesehen sind. Der Souverän hat diese Amtsträger nicht nur gewählt, sondern auch ermächtigt, mit staatlicher Gewalt (im abstrakten Sinne) zu agieren, seien es „Rechtshinweise“, Bescheide, Gesetze, oder parlamentarische Hearings, Ausschüsse und Enquete-Kommissionen, um politische Probleme zu analysieren und politisch sowie ggf. rechtlich zu lösen. Ein „offener Brief“ gehört nicht zu diesem Repertoire. Und das erst recht nicht, wenn der Minister einerseits vorgeblich als Privatperson und Facebook-Mitglied handelt, dabei aber andererseits mit seiner Amtsbezeichnung unterzeichnet (– und dies zu allem Überfluß auch noch mit unzutreffender Ministeriumsbezeichnung.)
4. In der Aufforderung von Politikern an die Bevölkerung, einer entsprechenden Facebook-Gruppe beizutreten, sehe ich sogar einen Fall dessen, was man im Management „unzulässige Rückdelegation“ nennt. Der Souverän hat durch Wahlen die Ausübung politischer Macht an die gewählten Instanzen delegiert. Wenn diese nun, vielleicht gut gemeint, den Souverän motivieren, seinerseits politischen Druck auszuüben, stellen sie ihre eigene Verantwortlichkeit in Frage. Die Analyse und Lösung einer derartigen Problematik ist Aufgabe der Politik. Ein Scheitern dieses Vorgehens wäre daher auch ein Scheitern der Politik.
Fazit: Auch Beschwerdeweg, Form und Adressat sind falsch. Dabei steht für mich außer Frage, dass öffentlicher Druck auch zum richtigen Ergebnis führen kann; nach meiner Auffassung heiligt aber der Zweck nicht die Mittel.
Crosspost von fructus.