#Außenpolitik

Ent­frem­den sich die USA und Europa?

von , 7.11.12

Dabei müssen Ver­än­de­run­gen im Ver­hält­nis zwi­schen den USA und Europa nicht von vorn­her­ein etwas Nega­ti­ves sein. In manchen Berei­chen wären schnel­lere und tief­grei­fen­dere Ver­än­de­run­gen gera­dezu wün­schens­wert: So zum Bei­spiel in der euro­päi­schen Außen– und Sicher­heits­po­li­tik. Dort wün­schen sich nicht nur die Deut­schen, sondern auch die über­wie­gende Mehr­heit der ame­ri­ka­ni­schen Poli­ti­ker, ein außen– und sicher­heits­po­li­tisch hand­lungs­fä­hi­ge­res Europa, das die USA bei der Über­win­dung von Krisen unter­stüt­zen und zum Teil auch erset­zen kann.

In anderen Berei­chen sind Ver­än­de­run­gen aus euro­päi­scher Sicht zwar bedau­er­lich, jedoch unver­meid­lich: Auch die stärkste Mili­tär­macht der Welt muss sparen und ihre Prio­ri­tä­ten neu defi­nie­ren. Europa liegt nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr im Zentrum eines glo­ba­len Macht– und Sys­tem­wett­be­werbs. Die euro­päi­schen Ver­bün­de­ten haben keinen Anlass mehr, ängst­lich nach ame­ri­ka­ni­schem Schutz zu fragen. Im Gegen­teil: Europa sollte aus ame­ri­ka­ni­scher Sicht viel ent­schlos­se­ner zum Expor­teur von Sicher­heit, Sta­bi­li­tät, Demo­kra­tie und Men­schen­rech­ten werden.

Die füh­rende Rolle der Ver­ei­nig­ten Staaten in der Welt beruhte nie nur auf seiner Macht, sondern immer auch auf seiner Rolle als Vorbild. Ins­be­son­dere für die junge deut­sche Demo­kra­tie waren die USA nach dem Zweiten Welt­krieg Schutz­macht, Leit­bild und Muster zugleich. Hier werden jen­seits eines dümm­li­chen Anti-Amerikanismus, den es in Europa auch immer gegeben hat, bei den tra­di­tio­nel­len Freun­den der USA jetzt aber die Fragen lauter: Die USA bleiben als Gesell­schaft immer noch viel attrak­ti­ver als Russ­land oder das auto­ri­tär regierte China. Aber nicht nur Chi­ne­sen, sondern auch Euro­päer zwei­feln, dass die Wirt­schafts– und Gesell­schafts­po­li­tik eines Landes Vorbild sein kann, wenn der pro­zen­tuale Anteil der staat­li­chen Schul­den am Brut­to­so­zi­al­po­li­tik höher als im Kri­sen­land Por­tu­gal ist, und wenn die unglei­che Ver­tei­lung von Ver­mö­gen und Ein­kom­men sich immer mehr den aus Süd­ame­rika bekann­ten Bei­spie­len nähert.

Auch die poli­ti­sche Kultur der USA hat sich in den letzten Jahren negativ ver­än­dert. Heute frem­deln Deut­sche zuneh­mend, wenn sie Berichte über die poli­ti­schen Dis­kus­sio­nen in den USA lesen. Galten die poli­ti­schen Debat­ten und Par­teien in Deutsch­land früher als ideo­lo­gisch und die in den USA als prag­ma­tisch, so ist es heute gera­dezu umge­kehrt: Die poli­ti­sche Kultur der USA wird seit einigen Jahren von einer zuneh­men­den Pola­ri­sie­rung und Ideo­lo­gi­sie­rung geprägt.

Manche Ana­ly­ti­ker der USA sagen, dass dies einer der übli­chen Aus­schläge eines Pendels sei. Nach der aktu­el­len Pola­ri­sie­rung und Ideo­lo­gi­sie­rung der Debatte würde es auto­ma­tisch zu einem neuen Konsens in der Mitte der Gesell­schaft kommen. Ich würde mir eine solche Ent­wick­lung für die USA und für Europa wün­schen. Und ich sehe auch, dass es zahl­rei­che Ame­ri­ka­ner gibt, die die nega­ti­ven Ent­wick­lun­gen der letzten Jahre in der poli­ti­schen Kultur der USA ver­ab­scheuen. Trotz­dem sorgen lang­fris­tige Trends, wie etwa die Ein­tei­lung der Wahl­kreise nach dem Willen der jewei­li­gen Mehr­heits­par­tei und die immer ein­sei­ti­gere Bericht­er­stat­tung in den Medien, für eine Ver­tie­fung der gesell­schaft­li­chen Kluft.

Die par­tei­über­grei­fende Zusam­men­ar­beit wird in den USA zwar immer wieder – so auch von Obama und Romney – gefor­dert, jedoch immer sel­te­ner prak­ti­ziert. Sollten die Gra­ben­kriege indes anhal­ten, dann wird die Hand­lungs­fä­hig­keit des demo­kra­ti­schen Systems der USA massiv beein­träch­tigt. Das Prinzip der „checks and balan­ces“ zielt auf ein Optimum der Kon­trolle poli­ti­scher Macht und setzt gleich­zei­tige ein hohes Maß an Bereit­schaft zum Kom­pro­miss voraus. Funk­tio­niert diese nicht mehr, dann wird das gesamte bis­he­rige poli­ti­sche Modell in Frage gestellt.

Schon in den Wochen unmit­tel­bar nach den Wahlen wird sich zeigen, ob Repu­bli­ka­ner und Demo­kra­ten in der Lage sind, einen par­tei­über­grei­fen­den Kom­pro­miss in Finanz– und Steu­er­fra­gen zu ver­ein­ba­ren. Hier geht es um die Frage, ob sich ein Weg finden lässt, mil­li­ar­den­schwere Aus­ga­ben­kür­zun­gen ver­nünf­tig zu orga­ni­sie­ren. Sollte dieser drin­gend erfor­der­li­che Kom­pro­miss schei­tern, weil die Neigung zur Pola­ri­sie­rung stärker als die von Euro­pä­ern früher so bewun­derte Fähig­keit zum prag­ma­ti­schen Kom­pro­miss ist, blieben die Kon­se­quen­zen nicht nur auf die USA beschränkt. Europa und die Welt­wirt­schaft würden den poli­ti­schen Still­stand direkt spüren. Doch die so zer­brech­li­che Welt­wirt­schaft kann sich weitere Belas­tun­gen in keinem Fall leisten.
 
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