#Allgemeingeheimdienst

Die Vorteile der Allgemeingeheimheit

von , 12.7.13

Wenn eines im Rahmen der digitalisierten Kommunikation deutlich wird, ist es der Mangel an Verhältnismäßigkeit in vielerlei Hinsicht.

Einzelpersonen überschätzen ihr kognitives Vermögen zur Bewältigung der selbsterwählten Kommunikationslast oder können dem Schlüsselloch-Reiz der heimlichen Beobachtung Dritter nicht widerstehen. Unternehmen und gerade die Werbewirtschaft nutzen technologische Mittel, um sich entweder einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen oder um verblendet den eigentlichen Adressaten zum Gegner zu erklären: ihn mit Werbe-SPAM einzudecken, ihn zu verfolgen, in dem Bewusstsein, Konsumenten damit zu gefallen.

Überboten im Zuge der digitalen Kommunikation werden diese gesellschaftlichen Kräfte aktuell von staatlichen Administrationen und ihren gesichtslosen Adjutanten, die, treten sie in das Licht der Öffentlichkeit, hektische Manöver, nicht nur in der Weltpolitik, auslösen.

Aus einer distanzierten Sichtweise und wohl eher tauglich für eine Retrospektive, irgendwann einmal, hat die Sachlage den Anschein von nicht weiter verwunderlichen Sozialisationsproblemen mit neuen, veränderten Settings. Die Verbreitung industrieller Produktion, Fernreisen mittels strahlgetriebener Flugzeuge usw. erzählen ähnliche Geschichten. Aneignungsprozesse bedingen Fehleinschätzungen, Gesetzesüberschreitungen, Furcht und fatale Missverständnisse.

Soweit die dem Jetzt entrückte Perspektive. Unter dem Eindruck der Tatsache, dass jene Effekte als bekannt gelten, muss die gegenwärtige Situation reflektiert werden. Was ist mit welchen möglichen Folgen auf welche Art und Weise passiert, und wem nützt es?

 

Implosion des Geheimen

Im Problembewusstsein der Gesellschaft angekommen sind Erkenntnisse der dysfunktionalen Kommunikation wie Cyber-Mobbing, Cyber-Grooming, Cyber-Stalking, Überreizung und Burn-Out als Folgen auf der Individualebene. Ausgiebig belegt ist auch die Ignoranz ganzer erwerbswirtschaftlicher Branchen, die dem User die Kontrolle über seine Hoheit an privaten Daten im Verborgenen oder durch komplexe AGB wie selbstverständlich absprechen will.

Nun tritt noch ein weiterer gesellschaftlicher (Schatten-)Akteur in den Brennpunkt: Geheimdienste, die nach ihren eigenen Agenden abhören, beobachten, auswerten, empfehlen oder handeln. Nur, ein Geheimdienst, der nicht mehr geheim ist, kann auch kein Geheimdienst mehr sein. Er ist öffentlich. Wie die Polizei, wie ein Kaufhaus, wie ein WLAN. Allesamt mit eigenem Hausrecht, einer öffentlich zugewiesenen Rolle im rechtsstaatlichen Gefüge einer Demokratie.

Ist also nun ein Geheimdienst nicht mehr geheim, ist er allgemein. Und damit verwirkt der beobachtbare Allgemeingeheimdienst letztlich den Status der geduldeten Illegalität für das, was er tut, was er tun soll.

Ein Allgemeingeheimdienst muss sich der öffentlichen, nicht geheimen Gewaltenteilung (also keine Geheimgerichte, die es auch in Deutschland gibt) und der Maßgabe der Verhältnismäßigkeit unterwerfen. Der Allgemeingeheimdienst ist auf einmal öffentlich geworden: Der kommunikationstechnologische Vorsprung gegenüber der Allgemeinheit ist aufgebraucht, und man weiß nun, wo der Dienst sich aufhält, welche Aufgaben er verfolgt, mit welchen Mitteln er arbeitet. Geheimdienste sind etwas anderes. Man vermutet sie, sie sind von Mythen umgeben, es darf gelogen und getarnt werden.

Das ist angesichts der Flut von Veröffentlichungen erst einmal vorbei. Gemessen an aufgeklärten Gesellschaften gehören Geheimdienste nicht – und Allgemeingeheimdienste schon gar nicht – zu den Grundpfeilern unserer Gesellschaft. Sie sind vor diesem Hintergrund nahezu entbehrlich, weil redundant.

Sie benötigen ebenso einen gesetzlichen Rahmen wie die individuelle Onlinekommunikation und die Verwendung von persönlichen Daten durch Dritte. Allgemeingeheimdienste dürfen mit dem auf geradezu groteske Art und Weise selbst betriebenen Outing (Informant aus dem land of the free findet Schutz in der VR China, in Russland und vielleicht in einigen südamerikanischen Staaten – oder ist er womöglich doch schon die ganze Zeit in Österreich?) nicht mehr ohne weiteres ein Abwehrrecht des Bürgers gegenüber dem Staat, die Informationsfreiheit, schrankenlos für sich in Anspruch nehmen. Es sei denn, ein ordentliches, unabhängiges, adressierbares und beobachtbares Gericht setzt Ausnahmetatbestände geltenden Rechts in der Abwägung der hard cases Sicherheit und Menschenwürde fest.
 

Es genüge nicht, so das Bundesverfassungsgericht, ‘wenn eine Obrigkeit sich bemühe, noch so gut für das Wohl von Untertanen zu sorgen’. Der Staat habe vielmehr den Bürgern den Weg zu öffnen, damit er an Entscheidungen mitwirken könne. Darum sei die Geistesfreiheit für die freiheitliche Demokratie ‘entscheidend wichtig’. Sie sei ein Funktionselement dieser Ordnung; denn sie bewahre diese vor Erstarrung und zeige eine Fülle von Lösungsmöglichkeiten auf.

Jutta Limbach in ihrem Vortrag „Menschenwürde und Pressefreiheit“ zur Stiftungsfeier der Alcatel SEL Stiftung für Kommunikationsforschung, Stuttgart 2001

 
Die anlasslose Ausspähung persönlicher Daten des eigenen wie des befreundeten Souveräns zeugt von einem erstarrten politischen System, das sich von seiner eigenen Legitimationsgrundlage entkoppelt oder zumindest entfremdet hat. Als Beispiel dafür kann einerseits der gespenstische Besuch Barack Obamas in Berlin hinter einer tomatenwurfsicheren Glasscheibe mit Polizeipanzern im Hintergrund und ausgesuchten „Jubel-Wessis“ im Vordergrund (Bildervergleich von Staatsbesuchen am Brandenburger Tor der letzten Jahrzehnte empfohlen) genauso gelten wie juristisch „saubere“ Überflugverbote für Staatsoberhäupter.

 

Optimistische Erkenntnisse aus frustrierenden Tatsachen

Waren vor wenigen Jahren Relevanz und Wissen ob informationstechnologischen Austauschs zwischen den gesellschaftlichen Akteuren noch ungleich verteilt, führt die erfolgte Verankerung digitaler Kommunikation in der Gesellschaft zu einer neuen Form der Balance und zu vorsichtiger Zuversicht. Trotz der rabiaten Versuche der Schattengesellschaft, das Wissen und die Mitbestimmung der Bevölkerung einzuschränken und die Boten der Aufklärung zu verteufeln.

Optimistisch bemerkt werden kann, dass

  1. die Teile der Gesellschaft, die unerlaubtes und nicht richterlich legitimiertes Stalking, Speichern und Auswerten betreiben, sich einer zunehmenden Isolation ausgesetzt sehen werden.
  2. es absehbar mehr Leaks geben wird und der globale, nahezu grenzenlose Informationsfluss nicht aufgehalten werden kann.
  3. das Recht auf Privatsphäre, Fernmeldegeheimnis, Gedankenfreiheit, das Grundrecht auf Gewährung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme – dass Datenschutz generell seinen Weg aus der Schublade „verdrängter Grundrechte“ in die Öffentlichkeit gefunden und durch seinen Schutzcharakter die öffentliche Meinung erobert hat. Die Bewusstseinsbildung in der Breite ist erfolgt und die Diskursteilnahme eingefordert.
  4. die Kontrolle der Kontrolleure, die Demokratietauglichkeit des Gesellschaftssystems lebendig ist, die „ (…) Kritik an Regierung, Regierungspolitik, Parlament und allen anderen Verfassungsorganen sowie an konkreten politischen und sozialen Verhältnissen zulässig ist, auch wenn sie hart, unsachlich und uneinsichtig ausfällt.“ (wiederum Jutta Limbach 2001).
  5. die Soft- und Hardwarehersteller den Privacy-Markt für sich entdecken (kritisch dazu Friedemann Karig) und feststellen, dass die Skaleneffekte auf sich entwickelnden Massenmärkten erheblich höher sind, als jene in den Nischen der Vergangenheit. Die Rückübertragung der Kommunikationshoheit auf den Nutzer qua customized technologies kann sich angesichts der gesellschaftspolitischen Lage möglicherweise gegen die Bequemlichkeit der Werkseinstellungen der Geräte etablieren. In der Zwischenzeit sind es Datensparsamkeit und Kommunikationskompetenz, die eine sukzessive Sozialisation, vor allem in jüngeren Altersgruppen unter 25 erfahren.

 

Ausstehende Probleme

Als ausstehendes Problem bleibt bis auf weiteres die Abwendung oder zumindest Kanalisierung des Einsatzes individueller Datensammlungen mit Einwirkungspotential auf den beobachteten Bürger ohne dessen Zustimmung und Widerspruchsrecht oder gar gegen sein Wissen.

Im Vertrauen auf kollektivierte Daten und daraus konstruierte umfangreiche Profile neigen Entwickler und Anwender kommunikationstechnologischer Analysetools zur Schizophrenie. Auch größte Datensammlungen können der Komplexität des Menschen in seiner individuellen sozialen, privaten und intimen Realität nicht gerecht werden. Ausnahmen bestätigen in diesem Kontext keinesfalls die Regel. Nichtsdestotrotz bleiben die Datensammler in ihren Analysen überwiegend allein (unter sich in Interessengruppen) und spinnen die eigenen Logiken, die im Zweifel auf vollkommen falschen, missverständlichen oder unzureichenden Daten basieren.

Es bleibt also, in Zukunft weiter darauf zu achten, den Menschen nicht mit einer Maschine zu verwechseln. Menschen funktionieren nicht wie Maschinen, und Menschen lassen sich nicht maschinell auswerten. So obskur dieser Vergleich scheint, so notwendig ist es in dem sich ausfaltenden Kommunikationsraum, immer wieder darauf hinzuweisen. Es wird auch in Zukunft vermutlich alles daran gesetzt werden, den Vorwurf der Schizophrenie durch immer „bessere“ Ergebnisse zu widerlegen. Selbst „alle“ digitalen Daten beschreiben nur einen Ausschnitt und nicht selten ein Zerrbild der Realität.

Übrigens, wo sind die Post-Privacy-Apologeten mit ihren flammenden Worten in dieser breiten Debatte? Wird ihnen ihr gesellschaftliches Konzept selbst ungeheuer?
 

Nachtrag, 07. Juli 2014:

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