Die sprachliche Hürde

von , 8.6.09

Eine der größten Hürden für heranwachsende Migranten um ihren Schulabschluss zu bestehen, liegt in der sprachlichen Kompetenz. Es ist keine Seltenheit, dass der deutsch-türkische Junge aus Neukölln, dessen Muttersprache Türkisch ist und in der Schule deutschen Slang spricht, aber zu Hause nie ein Wort türkisch zur Papier gebracht hat und daher besser Deutsch schreiben kann. Es ist eine Tatsache, dass für so Jemand größere Hürden für eine erfolgreiche Karriere auferlegt sind, als Kinder aus deutschen Akademiker Familien.

Darüber hinaus ist im Zuge der Globalisierung eine neue sprachliche Hürde dazugekommen. Es werden heute ganze Studiengänge zum Teil auf Englisch unterrichtet. Der elitäre Master Studiengang Internationale Beziehungen in Berlin ist nur einer von vielen, die Nachweise von Englischkenntnissen fordern. Dies ist die neue Marschrichtung in der Hochschullandschaft. Englische Sprachkenntnisse bedeuten eine Eintrittskarte für höhere Ebenen in der Gesellschaft, die Elite heutzutage muss diese Kenntnisse haben um ihre Funktion auszuführen. Die unvollendete zweisprachige Existenz von Schülern mit Migrantenhintergrund, die beispielsweise aus einem arabischen Elternhaus kommen und in einer deutschen Schule nicht integriert werden, wird nicht richtig gewürdigt.

Gerade in Europa wird es in der Zukunft aufgrund der Auflösung des traditionellen Nationalstaats mehr und mehr Bi-linguale und Bi-nationale Existenzen geben. Ich kam selber als Zehnjähriger nach Deutschland aus den USA, ohne ein Wort Deutsch sprechen zu können. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich die ersten sechs Monate auf dem Gymnasium in Hamburg die Schulbank drückte, ohne etwas zu verstehen, außer im Englisch Unterricht. Dabei hatte ich Glück, im selektiven und von Elternhaus abhängiges deutsches Schulsystem. Ich bin in Dänemark geboren, deutscher Vater und US Amerikanischen Muter, also ein Deutsch-Dänisch-Amerikaner, ich habe zwei Staatsangehörigkeiten, ich bin aufs Gymnasium geschickt worden und später konnte ich meinem BA auf einer US College absolvieren.

Doch wäre ich in einem bosnischen Haushalt in einem Stadtteil mit vielen Migranten in Deutschland aufgewachsen, hätte ich wahrscheinlich nicht soviel Glück gehabt. Ich hätte vielleicht in der Schule sprachliche Probleme und würde bestimmt zu wenig Englisch lernen um später im Berufsleben International agieren zu können. Letztendlich bedeutet es, dass Migranten sprachlich überbelastet werden, denn sie lernen eine mündliche Muttersprache zu Hause und deutschen Slang auf der Straße, dann sind sie aufgefordert gutes Deutsch auf schlechten Schulen zu lernen, wo die einzigen deutschen Muttersprachler die Lehrer sind. Und auch wenn sie vernünftiges Deutsch lernen, was in den meisten Fällen nicht geschieht, sind sie trotzdem beruflich limitiert, denn sie müssten immer noch ausreichend Englisch lernen um höhere gesellschaftliche Aufgaben erfüllen zu können.

In Anbetracht der Tatsache, dass Migranten unbedingt zusätzliche Unterstützung bei der frühkindlichen Sprachförderung brauchen um die sprachlichen Hürden zu meistern, ist die mediale Debatte über Integration manchmal schwer nachvollziehen. Wie damals beim Herbert-Hoover-Realschule in Berlin-Wedding, wo sich nämlich Schüler, Eltern und Lehrer der auf den folgenden Wortlaut geeinigt:

“Die Schulsprache unserer Schule ist Deutsch, die Amtssprache der Bundesrepublik Deutschland. Jeder Schüler ist verpflichtet, sich im Geltungsbereich der Hausordnung nur in dieser Sprache zu verständigen.”

Als sie es taten, begaben sie sich in die Arena des bundespolitischen Diskurses über Integration. Eine Woche lang waren sie für die einen ein Vorzeigebeispiel der sprachlichen Integration, für die anderen ein Vorzeigebeispiel der sprachlichen Ausgrenzung. Ein grüner Politiker ging soweit, dass er behauptete es würde sogar gegen das Grundgesetz verstoßen. Ich selber hatte auch irrationale Vorstellungen. Ich stellte mir vor, wie es gewesen wäre wenn ich auf dem Pausenhof gestanden hätte ohne ein Wort Deutsch sprechen zu können und mich mit einem der einzigen zwei englischsprachigen Mitschüler unterhalten hätte. Plötzlich hätte dann die herbeieilende beamtete Pausenaufsicht über uns gestanden und uns die Ausübung der englischen Sprache verboten. Ich hätte zwar das Verbot sprachlich nicht verstanden, aber innerlich hätte ich die sprachliche Ausgrenzung gefühlt und mich den Tränen hingegeben. Das Gegenteil war der Fall, in Berlin-Wedding wurde die Sprachregelung nicht als ausgrenzend empfunden, sondern als integrativ, damit die größeren Sprachklicken Türkisch, Arabisch, Polnisch und Serbisch sich untereinander verstehen konnten. Diese Maßnahme, die von allen Beteiligten freiwillig auferlegt worden war, gilt mittlerweile als innovativ und integrativ.

Dabei war es vor langer Zeit nicht so kompliziert, ein Blick zurück an unseren sprachlichen Wurzeln bestätigt dies. Ich habe in den USA Germanistik studiert und sprachlich gesehen habe ich erfahren dass die meisten Menschen auf Erden, sich auf Sprachen unterhalten die Nachfahrer weniger Ursprachen sind. Einer dieser Ursprachen ist Indo-Europäisch, dessen sprachliche Nachfahren sind Deutsch, Englisch, Italienisch, Spanisch, Albanisch, Armenisch, kurdisch, Bengali und viele andere. Ungefähr 2,5 Milliarden Menschen sprechen eine Sprache aus der Familie. Die gemeinsamen Wortwurzeln, lassen sich zwar heute schwer nachvollziehen doch ein geschultes Auge kann sie immer noch rekonstruieren. Es ist natürlich viel Zeit vergangen und zwischen den Bengali sprechende Teil Indiens und Spanien sind auch etliche Kilometer dazwischen. Auch im kleinen Raum West Europas ist die sprachliche Verästelung weit fortgeschritten. Der Unterschied zwischen den germanischen Sprachgruppen und den romanistischen Sprachgruppen sind beträchtlich. Innerhalb der germanischen Sprachgruppen sind alleine zwei bedeutende Lautverschiebungen über die Jahrhunderte eingetreten, die dazu geführt haben das das gleiche Wort anders ausgesprochen wurde. Im Deutschen haben wir das weiche „Pfeffer“ und im Englischen das harte „Pepper“. Auch beim Wort Tag sind die Verschiebung schön zu sehen, im Dänischen „Dag“ und im Englischen „Day“. Im Englischen gibt es das Wort „horse“, im Dänischen „hest“. Unabhängig von den Lautverschiebungen gibt es eine andere Ebene; z.B. im Deutschen gibt es kein Wort der „horse“ ähnelt, sondern es gibt das Wort Pferd. Sprachen werden auch sehr stark durch neue technologische Fortschritte beeinflusst. Neue Erfindungen haben neue Wörter mit sich gebracht, diese wurden dann von manch anderen Sprachgruppen aufgenommen oder aber auch mit einem bereits vorhandenen Wort aufgefangen. Einst stand das Pferd ohne Sattel dem Reiter zur Verfügung, dann mit der Erfindung des Streitwagens musste es ziehen und später kam der Ritter auf sein Schlachtross daher. Das römische Reich und dessen Sprache Latein hat durch dessen weit reichende Macht und Innovation verschiedene Sprachgruppen beeinflusst. Heute ist das vergleichbar mit den USA und der Sprache, die sich aus dessen IT-Bereich heraus entwickelt hat. Interessant ist auch, dass Türkisch (kein Nachfahrer des Indo-Europäischen) bereits 1928 erste sprachliche Annährungen Richtung Westen versucht hat, indem Atatürk den Türken veranlasste das lateinische Alphabet zu verwenden.

Doch zurück zu der Gegenwart. Wo können wir Lösungsansätze finden, wenn wir gesehen haben, dass Bi-linguale Schulprogramme in den USA – qualitativ – und im ehemaligen Jugoslawien – nicht integrativ – gescheitert sind oder dass ständig weitere Schulen in Berlin fusioniert oder geschlossen werden, weil es an Nachwuchs fehlt und die vom Bundesland festgesetzte Klassenfrequenzzahlen zu hoch sind. Sollen wir das skandinavische Modell übernehmen? Können wir es uns leiten? Soll die ganze Welt Englisch sprechen?  Oder soll die Weltsprache Esperanto noch eine Chance gegeben werden?

Vorerst am wichtigsten, wie können Migranten bzw. Bi-linguale Existenzen in einem globalisierten Zeitepoche im Rahmen sich auflösender Nationalstaaten, in regional spezifische Gesellschaften integriert werden, um gesellschaftliche Teilnahme und Aufstieg zu ermöglichen? Denn genau die Frage nach der Integration von Migranten steht im Vordergrund und dabei spielt die Sprache eine kritische Rolle. Dort ist die Problematik wie sie einst Albert Camus schilderte:

„Es gibt kein sinnvolles Leben ohne Aussicht auf eine Zukunft, ohne Hoffung auf ein Reifwerden und auf den Fortschritt. Vor einer Mauer zu leben, ist ein Hundeleben. Natürlich ist es nicht das erste Mal, dass Menschen eine praktisch vermauerte Zukunft vor sich haben. Aber gewöhnlich überwanden sie das mit dem Wort und mit dem Rufen. Sie beriefen sich auf andere Werte, die ihre Hoffnung bildeten. Heute redet niemand mehr (außer jenen, die sich wiederholen), weil es uns scheint, die Welt werde durch blinde und taube Kräfte gelenkt, die weder Warnrufe noch Ratschläge hören.“

Der gesellschaftliche Konsens, Ausländer zu integrieren und dass sie die Sprache können müssen, ist vorhanden. Der Versuch einer Selbstverpflichtung, wo auf den Schulhof Deutsch als Integrationssprache zwischen verschiedene Migranten Gruppen, eingeführt wird, ist meiner Meinung nach ein richtiger und wichtiger Schritt. Darüber hinaus sind Versuche mit Verbote von Religiösen Symbole und Schuluniformen eine Überlegung wert. Die Schule als Spracherwerbstätte wird im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen und das ist richtig so. Es müsste sogar noch viel früher stattfinden als sie es gegenwärtig tut. Die Menschheit ist eine sprachliche Vereinigung, die auf den Austausch von Gedanken  mündlich oder schriftlich angewiesen ist um fortschreiten zu können. Es ist keine Angelegenheit von Schwarz und Weiß, Links und Rechts, Konservativ oder Liberal, sondern bedarf einer klaren Übersicht geschichtlicher Entwickelungen sowie einer Bestandsaufnahme der Realitäten vor Ort. Nur mit dem Wissensaustausch als Grundlage zur Lösungsfindung können wir die Mauer überwinden.

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