von Franziska Broich, 22.11.12
An meinem letzten Abend in Berlin Ende Oktober saß ich mit Redakteuren aus der Politikredaktion der FTD zusammen bei Hummus-Aufstrich, Oliven, Baguette und anderen Köstlichkeiten aus dem Nahen Osten. Es wurde gelacht, gequatscht und gespeist – doch ein Thema dominierte den Abend: Wie geht es weiter mit der FTD? Die Redakteure wussten es zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht.
Drei Monate lang hatte ich im Politikressort der FTD in Berlin Nachrichten ausgewählt, Geschichten recherchiert und geschrieben. Viel gelernt über Teaser, Textaufbau und Tempo einer Tageszeitung. Es war eine schöne Zeit. Als ich mich an diesem Abend verabschiedete, sagte ich, dass ich sie ja in der Redaktion mal besuchen könnte. Halb im Ernst, halb aus Spaß fügte ich hinzu: „Wenn ihr dann noch da seid.“ Sie lachten und antworteten: „Vielleicht warst du ja auch die letzte Praktikantin.“ Seit heute steht fest: Ich war die letzte Praktikantin, die die großartige Politikredaktion der FTD kennenlernen durfte.
Ein Gerücht begleitete mein Praktikum vom ersten Tag an: die Pleite der FTD. Es war das Topthema unter den Redakteuren. Keiner wusste etwas, alle spekulierten. Am Anfang war ich unsicher, wie ernst ich diese Gerüchte nehmen sollte. Es hieß, die Zeitung würde vielleicht vom einen auf den anderen Tag schließen. Ich fragte mich: „Ist mein Praktikum überhaupt sicher?“ Nach drei Wochen vertraute ich mich einer Redakteurin an. Sie beruhigte mich – soweit sei es noch nicht. Ich wurde gelassener, schließlich gab es neue Ideen für die Zukunft der Zeitung. Die Redakteure wurden wieder zuversichtlicher.
Klassenkameraden, die von den Gerüchten gehört hatten, fragten, wie es mir im Praktikum ergehe. „Eigentlich nicht schlecht“, antwortete ich. Der Alltag ging weiter, obwohl immer wieder Krisenmeldungen im Internet auftauchten. Jeden Tag wurden Themen in der Konferenz diskutiert, geschrieben, redigiert. Ich besuchte einen Maisbauern in Brandenburg, berichtete über den Live-Chat von Peer Steinbrück und die Hummer-Schwemme in den USA.
Ich bewundere die Redakteure, wie ruhig sie damals waren, obwohl sie nicht wussten, ob sie in ein paar Monaten noch Arbeit haben. Immerhin haben viele eine Familie. Manchmal erzählten sie beim Mittagessen, was sie machen, wenn die FTD schließt: Sabbatical, Auslandskorrespondenz.
Dann schien es endlich Klarheit zu geben: Krisenkonferenz. Ermunternde und motivierende Worte von oben – aber keine Antwort auf die Zukunft der Zeitung. Die Message: Die Redakteure sollen wieder Spaß haben am Zeitung machen. Genauso ratlos wie vorher verließen sie den Konferenzsaal.
Danach kam ein Redakteur auf mich zu und fragte grinsend, ob ich wirklich Journalistin werden wolle. Ich antwortete mit „Ja“ – aber eigentlich war ich verunsichert. Das ist also eine Wahrheit über diesen Journalismus, den wir in München auf der Deutschen Journalistenschule fernab der Zeitungskrise lernen.
Nun sitze ich wieder in meinem Klassenzimmer dieser Schule. Vor einer Woche hat der Radioblock begonnen. Auf dem Stundenplan steht: Texten fürs Radio. Plötzlich flimmert auf meinem Smartphone eine Nachricht auf: Die FTD wird geschlossen! Ich kann es nicht glauben – will es nicht glauben. Drei Monate habe ich mit den Redakteuren darüber geredet – jetzt ist es auf einmal Wirklichkeit. Ich denke an die Kollegen, mit denen ich noch vor drei Wochen um diese Uhrzeit in der Redaktion saß und Nachrichten redigiert habe. Was machen sie jetzt wohl?
Der Radio-Trainer erzählt währenddessen, dass wir lieber Umgangssprache im Radio benutzen sollen. Vom geschriebenen Wort sollen wir uns trennen.
Crosspost von unter3
- Stimmen aus dem Netz hat Tina Halberschmidt beim Handelsblatt zusammengetragen.
- Thomas Knüwer hat die Entwicklung der FTD lesenswert beschrieben: “Financial Times Deutschland” – Chronik eines absehbaren Ablebens
- taz-Interview mit Franziska Broich: “Natürlich verunsichert das”