#Medienindustrie

Die knappste Ressource in der Urheberrechts-Debatte ist: Eine gemeinsame Perspektive

von , 2.6.10

Lieber Felix Neumann,

mit einiger Überraschung durfte ich Ihr interessantes Resümee zum Sigint-Panel auf Carta lesen, in dem ich auch indirekt angesprochen wurde. Da ich Ihre Sichtweise zur Panelgestaltung, sowie zum Urheberrecht nicht teile, würde ich Ihnen gerne diese Replik zukommen lassen.

In Ihrem Carta-Text „Der Öffentlichkeit nicht den Boden entziehen“ fordern Sie, dass marktwirtschaftliche Belange bei der Urheberrechtsdiskussion nachgelagert werden sollten. Interessant ist es jedoch, dass Sie es in Ihrem Text selbst mehrfach nicht schaffen, diese Sichtweise auszuklammern.

Interessant auch, dass Sie ein „grandioses Scheitern“ einer Diskussionsrunde konstatieren, bei welcher Sie selbst die Spielregeln vorher festgelegt haben.

Dass der kulturtheoretische Aspekt nahezu komplett am eher praktisch interessierten Publikum vorbeiging, ist Ihnen leider entgangen. Dass es nicht wirklich fair war, in Ihrem einleitenden kulturtheoretischen Abriss auch noch die eigene Meinung überdeutlich zu verankern, und somit gleich das Thema nur auf den Diskussionsbereich zu fokussieren, in dem Sie sich wohl fühlen, ist schon fragwürdig. Dass Sie es aber nötig haben, dann auch noch unsere Aussagen wie „Das Urheberrecht ist eigentlich ein Anreizsystem für kulturelle Leistung“ zu ökonomischen Reizparolen wie „Leistung muss sich wieder lohnen“ umzuformen, ist nahe am Skandal. In der Tat erledigen sich so weitere „lösungsorientierte“ Diskussionen mit Ihnen.

Leider reichte die Zeit nach Ihrem 20-minütigen tendenziösen Vortrag und der abschließenden Fragerunde des Publikums in der Tat kaum für die versprochene Lösungsorientierung. Die soll hier nachgereicht werden. Nachdem Robin Meyer-Lucht ihre ökonomischen Thesen in seiner Replik zurecht widerlegt hat, möchte ich mich nun daran versuchen, dies auch auf kulturtheoretischer Ebene zu tun:

Natürlich haben Kulturgüter idealerweise in einer öffentlichen Sphäre zu existieren, und wir wollen die Schranken zum Zugriff auf Kultur möglichst niedrig halten. Das heißt jedoch weder, dass sie ganz fallen sollten, noch bedeutet es, dass Kultur nur aufgrund der öffentlichen Zugänglichmachung per se von Produktionsmechanismen abgekoppelt sein kann.

Ich habe diesen Text an einem Abend in wenigen Stunden verfasst und deswegen kann ich durchaus auf finanzielle Entlohnung oder auf die Unterstützung von Produktionsmitteln verzichten. Ich kann den Text als sein Urheber unter Creative Commons stellen, oder ihn auch auf meiner Festplatte versauern lassen. Ich könnte ihn aber auch der Süddeutschen, der taz oder eben Carta zur kostenfreien oder lizenzierten Nutzung zur Verfügung stellen. Aufgrund der Tatsache, dass nur wenig Arbeit in diesen Text geflossen ist, kann ich ihn durchaus kostenlos bereitstellen, denn es liegt mir am Herzen, Ihr fehlgeleitetes Verständnis vom Urheberrecht zu thematisieren.

Die Option des Urhebers, die oben genannten Nutzungsregeln selbst festlegen zu dürfen, ist ein genialer Schachzug des Urheberrechts, der uns für eine lange Zeitspanne ein Füllhorn von kreativen Leistungen gebracht hat, und mit zur aufgeklärten Gesellschaft führte. Das Urheberrecht ermöglichte in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts einen Abbau von Rassentrennung, indem es zum Beispiel erstmals schwarzen Jazz in weiße Haushalte brachte, in Form von schwarzen gepressten Scheiben.

Das Urheberrecht ermöglichte auch erst das, was wir heute als „Popkultur“ kennen und begreifen. Es verhalf Elvis Presley und Frank Sinatra zu Weltruhm, obwohl diese kaum ihre Songs selber schrieben und alle sechs Monate lediglich eine fremdproduzierte Platte einsangen. Es war ein Treibsatz für Kulturprodukte generell, für Film, Musik, Buch und Software. Dieser Siegeszug des modernen Urheberrechts wird in der aktuellen Diskussion gerne vergessen.

Sie argumentieren, dass das Urheberrecht auf einer naturrechtlichen Ebene keinerlei Legitimation hat, und damit haben Sie Recht. Solch eine naturrechtliche Legitimationsgrundlage hat aber unsere Verfassung genauso wenig, wie irgendein anderes theoretisches Regelungskonstrukt dieser Welt. Das einzige naturrechtliche Prinzip, welches in Rahmen dieser Überlegungen zum Tragen kommen sollte, ist, dass sich mein Körper in regelmäßigen Abständen nach Energiezufuhr in Form von Nahrung und Wärme ausrichtet. Bräuchte ich weder Essen noch Trinken, dann wäre ich wohl der Urheber, der Ihren Ansprüchen nach Kulturgütern genügt: Genügsam, anspruchslos und ständig aus rein idealistischem Antrieb kreativ. Ein kulturelles Perpetuum Mobile.

Leider ist dieses Konstrukt Phantasie, und selbst wenn ich ohne Gewinnabsicht unablässig Wissenschaft und Kultur produzieren wollte, so brauche ich doch für Kreativwirtschaftsgüter ab einer gewissen Komplexität eine Energiezufuhr in Form von Kapital. Für einen Film muss ich Kameras und Requisiten anschaffen, und selbst wenn alle Schauspieler und Filmcrewmitglieder ebenfalls monatelang ehrenamtlich arbeiten wollten, so erklärt es noch nicht, wo diese Ressourcen denn herkommen sollen.

Ihrer Meinung nach übersteigt der Anspruch der Öffentlichkeit, auf Kulturgüter zugreifen zu dürfen, den Anspruch der Kreativen, ihre Kulturgüter auf Basis von Ausschließbarkeit erstellen zu können. Aber Kultur entsteht nicht im luftleeren Raum, und für die notwendige Verdichtung von Ideen zu Kultur braucht es – bis auf wenige Ausnahmen – eben Energiezufuhr, nicht nur aus Gründen der Motivation oder des schnöden Gewinnstrebens, sondern aus simplen Energieerhaltungs-Grundsätzen. DAS ist nicht nur eine Naturregel, sondern ein Naturgesetz.

Setzen wir nun Ihren postulierten Anspruch auf Kulturgüter durch, senken wir nicht nur die Schranke zum Zugriff auf Kultur gegen Null, wir verhindern auch aktiv die Produktion der Kulturgüter, die Energiezufuhr oberhalb der Schwelle von reinem Idealismus oder Hobbytum benötigen. Und glauben Sie mir, das sind in der Regel die Kulturgüter, die unsere Gesellschaft in der Tat formen und positiv beeinflussen. Das kostenlos erstellte Youtube-Video, das neue Kulturströmungen formt, muss erst noch geboren werden.

Der Kahlschlag an der Kultur – sowohl im Theater-, Film- und Musikbereich, als auch im professionellen Journalismus- und im Buchautorenbereich – wäre desaströs. Nur noch finanzielle Unabhängigkeit würde Kreativen erlauben, Kulturgüter oberhalb einer gewissen Komplexitätsschwelle zu erstellen. Wir fielen zurück in ein Zeitalter des Mäzenatentums, in dem persönlicher Reichtum die Kulturproduktion bestimmt.

Dieses Manko wäre nur durch eine Komplettsubvention dieser Kreativwirtschaftsbereiche durch den Gesetzgeber zu beseitigen. Ich wünsche ihnen dabei viel Glück, denn die Kreativwirtschaft ist die drittgrößte Wirtschaftsbranche in der Bundesrepublik, hinter Maschinenbau und Automobilindustrie und noch vor der pharmazeutischen und chemischen Industrie. In einer Wirtschaftsgesellschaft wäre dies ein legendärer Schuss in den rechten Fuß, und zwar nicht mit einem Taschenspielercolt sondern mit einer abgesägten doppelläufigen Schrotflinte.

Was erhielten wir nun dafür? Wir bekämen den freien Zugang auf Kulturgüter. Die Frage ist derzeit, ob der Zugang auf Kultur denn wirklich so stark verknappt ist, dass die Exklusivität des Urheberrechts der Gesellschaft schadet. Ich schaue mal eben in mein Medienregal und sehe neben einem guten halben Dutzend nur teils gelesener Tageszeitungen mehrere Bücher, CDs und einige Blu-Rays.

Nein, hier herrscht sicherlich keine Knappheit, weder für mich als derzeit eher schlecht verdienenden Selbstständigen, noch für einen Hartz-IV-Empfänger, der auf öffentlichen Rundfunk, Stadtbibliotheken, Online-Medienarchive der Radio- und Fernsehanstalten, einen erstaunlich günstigen Gebrauchtgütermarkt auf eBay, Amazon oder andere Auktionshäuser und – last not least einen – reichhaltigen Markt an unter Creative Commons veröffentlichter, freier Kulturgüter zurückgreifen kann – ohne jemals Urheberrechte verletzen zu müssen.

Ich sehe auch nicht, dass das Senken der Kulturgüterschranke einen wie auch immer gearteten positiven Effekt auf unser gesellschaftliches und kulturelles Leben hätte. Trotz des Zugriffs auf Wikipedia und andere Informationsquellen sinkt das Allgemeinbildungsniveau deutscher Schüler ständig weiter. Was nicht sinkt, sind die größtenteils hervorragend ausgebildeten Computerkenntnisse. Das idealistische Weltbild, dass man Personen nur eine Bibliothek aufschließen muss, und sie würden alle deutlich klüger erweist sich jetzt schon als Trugschluss. Im Gegenteil, je niedriger die kollektiven Schranken zum Zugang liegen, desto geringer die Motivation sie auch überhaupt zu übersteigen.

Nein, der Anspruch des Zugriffs auf Kulturgüter im Onlinezeitalter ist lediglich die Forderung von mehr convenience und geringerer finanzieller Eigenbelastung im Netz. In letzter Konsequenz der pure Egoismus des homo oeconomicus, der sich über rechtliche und technische Schranken zynisch hinwegsetzt, weil die Netzgemeinde es geschafft hat, sich ein Bild einer content industry zu meißeln, und diese Leistungserschleichung bereitwillig als gesellschaftliche Notwehr umdeutet.

Sie mögen dem entgegentreten und sagen, dass es Verwertern in ihrem Konstrukt durchaus erlaubt sei, Geld mit Kreativwirtschaftsgütern zu verdienen. Aber der Beweis, dass mit einem nichtexklusiven Gut noch marktwirtschaftliche Wertschöpfung zu erzeugen sei, muss leider noch erbracht werden. Denn nicht die Knappheit – oder wirtschaftswissenschaftlich ausgedrückt – die sog. „Rivalität“ der Güter, ist entscheidend für funktionierende Märkte, sondern lediglich die Exklusivität, also die Ausschließbarkeit der Güter im Konsum. Im Urheberrecht mögen Sie dies anzweifeln, aber bei anderen Mautgütern wird es deutlicher:

Wie sieht es aus, wenn man der deutschen Bahn die Autorität nähme, ihre Fahrgäste zu kontrollieren? Dann würden sich die zahlenden Fahrgäste rasch in Trittbrettfahrer verwandeln. Kann ein Betreiber in einem Kino ohne Eintrittskartenpflicht wirklich nur mit dem Verkauf von Erdnüssen und Nachos auf Dauer überleben? – Das darf bezweifelt werden. Kann ein Frisör mit freiwilligen Spenden seiner Kunden auf Dauer seinen Salon und seine Mitarbeiter erhalten? Von den 73.383 Friseurbetrieben, die wir 2009 in Deutschland hatten, hat sich meines Wissens noch keiner einziger zu ihren marktwirtschaftlichen Thesen bekannt. Dabei kostet eine Friseurschere nicht mal 10€.

Es steht viel eher zu vermuten, dass viele Kunden die Nichtausschließbarkeit dieser Güter gnadenlos ausnutzen würden. Interessanterweise hat die Ökonomie hierfür bereits die Vokabel definiert: Das sogenannte Trittbrettfahrerproblem, welches zeigt, dass es hier nicht wirklich um die Knappheit der Güter geht, sondern lediglich um die fehlende Ausschließbarkeit. Trittbrettfahrer fahren deswegen schwarz, weil sie davon ausgehen, nicht kontrolliert zu werden (fehlende Ausschließbarkeit), und nicht weil womöglich unbegrenzt freie Sitzplätze vorhanden sind (fehlende Rivalität).

Wo bleibt nun die versprochene Lösungsorientierung? Als erstes möchte ich anregen, dass sich die Teilnehmer dieser Diskussion mit den Realitäten des kreativwirtschaftlichen Schaffens auseinandersetzen, bevor sie allgemeingültige Aussagen zu diesem Bereich treffen.

Talent alleine schafft keine Kunst, sondern es braucht nahezu immer Produktionsmittel und Aufmerksamkeit um gesellschaftlich und kulturell zu wirken. Selbst wenn niemand wirklich eine Gewinnerzielungsabsicht hätte, verändert sich diese Formel kaum. Der Musiker Chris Corner von IAMX schrieb zum Thema Raubkopien:

At some point we need to kill our lethargy and believe in things. Everything is so easy. We feel the world owes us everything now. That is insane and unhealthy. We are spoilt, cynical children that need to grow up. I hate money. I hate that we are money dependent. It is a disease of society and the controlling tool of the elite, but nevertheless it exists.

Die Erkenntnis des Künstlers prinzipiell und gegen seinen Willen von Produktionsmitteln abhängig zu sein, obwohl er als Künstler selbst keine Gewinnerzielungsabsicht haben will, spricht aus diesen Worten. Chris Corner war übrigens früher Sänger der amerikanischen Superstars Sneaker Pimps. Jetzt muss er sehen, wie er zurechtkommt.

Nur weil ich als Independent-Musikwirtschaftsvertreter postuliere, dass anspruchsvolle Kultur Produktionsmittel zum Existieren braucht, schließt es nicht gleichzeitig aus, dass ich selber meine Arbeit aus Leidenschaft ausübe. Aber wir alle müssen endlich lernen, zwischen übermäßiger Kommerzialisierung und notwendiger Unterstützung von Kulturgütern zu differenzieren.

Es sind immer wieder Teilnehmer aus dem Wissenschaftsbetrieb, aus staatlich finanzierten Instituten, oder aus dem öffentlichen Rundfunk, denen die Grundbegriffe ökonomischer Zusammenhänge vollkommen fremd zu sein scheinen. Sie erkennen selbst nicht, dass Meritorik im Wissenschafts- und Kulturbetrieb die notwendige Ausnahme ist, und nicht die erstrebenswerte Regel in einer bereits kritisch belasteten Wirtschaftsgesellschaft.

Sie verkennen, dass das Verhältnis von Inspiration und Eigenleistung im Kulturbetrieb oftmals reziprok proportional zum Wissenschaftsbetrieb verläuft. Sie tun so, als wäre die Debatte um Schöpfungshöhe und Exklusivität nicht schon längst geführt worden. Sie klammern die letzten 150 Jahre, in denen das Urheberrecht uns ein Füllhorn kultureller Güter beschert hat, in ihren kulturwissenschaftlichen Abrissen bewusst aus. Sie tun so, als wären die kulturwissenschaftlichen und ökonomischen Erkenntnisse der letzen Jahrhunderte im Wuchern des gesellschaftlichen Raums Internet wie unnötiger Ballast über Bord zu werfen.

Sie behaupten, Verwerter würden den Zugriff auf Inhalte per se verhindern wollen, wobei wir alle doch nur eine faire Bezahlung für die Leistung unserer Kreativen und uns selbst erreichen wollen. Sie tun so, als wären die kreativen Mitarbeiter der Verwerter, die Lektoren, die A&Rs, die Redakteure lediglich Arbeiter in einem seelenlosen Industrie-Moloch. Sie reduzieren die Verwerterleistung auf maschinelle Herstellung und Vertrieb. Sie reduzieren die Kulturgüter auf den abwertendsten, herablassendsten und seelenlosesten Begriff für Kultur, den ich mir vorstellen kann: CONTENT.

Unsere perspektivische Entfernung könnte in der Tat kaum größer voneinander sein. Es ist wahrscheinlich die kollektive Schuld der Kreativwirtschaft, dass Sie ihrerseits zu wenig tut, um diese Verständniskluft, diese unheilvolle Blase aus Netzkulturmythen zu entkräften. Das ändert trotzdem wenig daran, dass Ihre Annahmen faktisch falsch sind, basierend auf Gerüchten und Spekulationen von im Internet gerne produzierten Anekdoten, die uns Ausnahmen wie Radiohead und Nine Inch Nails als neue allgemeingültige Regeln verkaufen wollen.

Wir wollten versuchen, diese Verständnisbarrieren im Sigint-Panel exemplarisch abzubauen. Wir sehen uns jedoch Positionen gegenüber, die nur ihre eigene Perspektive in dieser Diskussion gelten lassen wollen, und sich auch nicht davor scheuen, Ergebnisse revisionistisch umzudeuten. DIESER Versuch ist glücklicherweise grandios gescheitert.

Stefan Herwig ist Betreiber eines Independent-Labels, Kommunikationswissenschaftler und Befürworter eines offeneren Dialogs zwischen Netzkultur und Kreativwirtschaft.

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