#Familienpolitik

Die große Elterngeld-Pleite

von , 10.8.09

Es war ihr erstes großes Projekt: Gegen alle Widerstände kämpfte die frisch gebackene Ministerin Ursula von der Leyen ihr „Elterngeld“ durch. Und avancierte damit in den Leitmedien zur beliebtesten Ministerin. Kein Wunder: Das neue Elterngeld war (auf dem Papier) so opulent bemessen, dass sich der Kinderreichtum in Deutschland praktisch von allein einstellen musste (hier als Beispiel eine der typischen medialen Fehleinschätzungen).

Das Elterngeld – bis zu 1800 Euro im Monat! – sollte den neuen Mittelstand dazu bringen, die letzten egoistischen Widerstände gegen unruhige Nächte und volle Windeln aufzugeben und in die nationale Familienproduktion einzusteigen. Doch es kam anders. Der Mittelstand weigerte sich. Die Geburtenzahlen gingen zurück. Die Akademiker streiken.

War das Elterngeld etwa kein Segen?

Laut einer Aufstellung des Statistischen Bundesamtes bezogen im Jahr 2008 757.061 Personen Leistungen nach dem neuen Gesetz. Allerdings waren davon nur 57,1 Prozent (= 432.374 Personen) vor der Geburt des Kindes erwerbstätig, und nur 35,2 Prozent erhielten das Elterngeld tatsächlich als Ersatz für Erwerbseinkommen.

Dabei sollte das Elterngeld (mit seinem bis zu 67-prozentigen Nettolohnersatz) ein Anreiz vor allem für die berufstätigen Akademiker sein, aus dem geliebten Job auszusteigen, um endlich Kinder in die Welt zu setzen. Eine Sondererhebung des Statistischen Bundesamtes hatte 2007 ergeben, dass 29 Prozent der Frauen mit Hochschulabschluss kinderlos bleiben, während Frauen mit niedrigem Bildungsniveau erheblich seltener (14 Prozent) auf Kinder verzichten.

Betrachten wir also das Elterngeld genauer: Drei Viertel der Antragsteller (573.281 Personen) bezogen die staatliche Unterstützungsleistung ein volles Jahr. Davon waren 97,7 Prozent Frauen (= 560.135 Personen). 77.390 Personen bezogen das Elterngeld lediglich zwei Monate. Davon waren 93,3 Prozent Männer (= 72.213 Personen). Die viel gelobten „neuen Väter“ – auch so ein Wunschziel der Ministerin – taten gerade mal das Allernötigste.

Wie steht es nun mit der Höhe der Leistungen? Der angekündigte Geldsegen für die jungen Familien stellte sich in den meisten Fällen als Märchenerzählung heraus. 230.968 Personen mussten mit dem Mindestsatz von 300 Euro auskommen. Weitere 171.171 Personen erhielten 300 bis 500 Euro im Monat, 125.676 Personen bekamen 500 bis 750 Euro pro Monat. Das heißt: Fast 70 Prozent der Antragsteller (= 527.815 Personen) gingen mit relativ niedrigen Sätzen in die Elternschaft. So war das Gesetz eigentlich nicht gedacht.

Einen Zuschuss von 750 bis 1500 Euro im Monat erhielten 23,6 Prozent der Elterngeldempfänger (= 178.415 Personen). Und magere 6,7 Prozent kamen auf mindestens 1500 Euro im Monat (50.831 Personen).

Bleibt die Frage, ob Absichten und Auswirkungen eines Gesetzes – das von Experten gemacht wurde – derart weit auseinander klaffen dürfen? Hatte die Ministerin illusionäre Vorstellungen über die Lebenswirklichkeit der Erwerbstätigen?

Erreicht hat das Gesetz lediglich die Festschreibung der bestehenden Ungleichheit: Junge Eltern im Süden Deutschlands, in Hessen oder Hamburg bekamen weit mehr Elterngeld als ostdeutsche Eltern. Damit reproduzierte das Elterngeld die Spaltung in arme und reiche Bundesländer. Zu mehr Kindern führte das Gesetz nicht.

Denn nachdem sich (wie Carta am 15. Februar aufdeckte) die voreilig verkündete Baby-Vermehrung des Jahres 2008 als statistischer Trick des Ministeriums erwiesen hatte, startete auch 2009 mit einem deutlichen Geburtenrückgang: In den ersten vier Monaten 2009 wurden – nach vorläufigen Zahlen – 12.800 Kinder weniger (!) geboren als in den ersten vier Monaten 2008! Das entspricht einem Minus von 5,8 Prozent.

Um die schlechten Zahlen etwas zu relativieren, betonte das Statistische Bundesamt in einer großen Pressemitteilung plötzlich die „Geburtenraten pro Frau“. Würde man diese und nicht die absoluten Zahlen heranziehen, so ergäbe sich eine leichte Besserung in Deutschland. Mit 1,37 Geburten pro Frau sei die Gebärfreudigkeit so groß gewesen wie seit 2001 nicht mehr.

Nicht erwähnt wird, dass sich die „Geburtenrate pro Frau“ nur deshalb stabilisierte, weil die ostdeutschen Frauen ihren Wende-Schock langsam überwunden haben. In den Krisenjahren nach 1990 brachten die Frauen in den neuen Bundesländern zeitweise nur noch 0,77 Kinder pro Frau zur Welt, was die gesamtdeutsche Rate stark nach unten zog. Danach näherte sich die ostdeutsche Rate allmählich wieder dem Westen an. Dies war aber kein Verdienst des neuen Elterngeldes, wie die Ministerin glauben machen möchte: Der Aufholprozess des Ostens hatte lange vor der Einführung des Elterngeldes stattgefunden.

Auch der im Juli 2009 veröffentlichte Mikrozensus zur Kinderlosigkeit in Deutschland ergab, dass eine Trendumkehr zu mehr Akademiker-Kindern im Jahr 2008 ausgeblieben ist. Damit bestätigte der Zensus die Schätzungen der Sondererhebung von 2007.

Es ist schon tragisch: Die hochherzigen Ansprüche der CDU-Familienpolitik passen einfach nicht zu den blöden Fakten.

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