#Caesar

Die autoritäre Logik des #Populismus

von , 24.4.17

Man muss nicht den Lateiner spielen, um sich daran zu erinnern, dass in der Stadt Rom noch heute auf jedem Kanaldeckel die antike Formel „S.P.Q.R.“ zu lesen ist: Senatus Populusque Romanus, „Senat und Volk von Rom“. Die Macht Roms stützte sich programmatisch auf die Verbindung von „Rat“ und „Volk“ – solange jedenfalls, bis der machthungrige Konsul und erfolgreiche Feldherr Gaius Julius Caesar sich im Jahr 49. vor Chr. zum Diktator aufschwang.

Der legitime Kern des Populismus

Es ist nützlich, die antike Formel S.P.Q.R. im Hinterkopf zu behalten, wenn man sich die Frage stellt, welche Rolle dem populus im politischen Denken der Moderne zukam – und welche Rolle heute dem peuple, dem people zugeschrieben wird. Zur Erinnerung: In einer Welt, in der seit dem christlichen Mittelalter das Gottesgnadentum die unteilbare Herrschaft des Caesar, des Königs bzw. des Zaren begründete, konnte der republikanische Verweis auf das „Volk“ nur Verschwörung und Revolution bedeuten. Schon 1787 allerdings stützte sich die amerikanische Verfassung auf die Formel „We, the People“; Frankreich folgte 1789, und Russland stürzte seinen Zaren im Namen des Volkes 1917. Heute besitzt daher jeder Populismus einen legitimen Kern, indem er sich auf genau jenes „Volk“ beruft, in dessen Namen in der Moderne allein noch Macht ausgeübt werden kann.

Ist der Populismus daher nicht die reinste Form demokratischer Macht? Ist er nicht diejenige politische Haltung, die den Gedanken von der „Herrschaft des Volkes“ wie keine andere unverfälscht zum Ausdruck bringt? Wäre also nur der populus die Basis einer guten Republik? In der Schweiz hat der populistische Politiker Christoph Blocher immer in dieser Weise argumentiert: Gegen die angeblich illegitime, usurpierende Macht der Bürokratie und der Politiker sei wieder die ungeteilte und unteilbare Macht des Volkes durchzusetzen. Auch in anderen Ländern Europas und darüber hinaus haben solche Argumente derzeit bekanntlich Konjunktur. „Au nom du peuple“, lautet, unvermeidlicher Weise, der Wahlkampfslogan der Populistin Marine Le Pen.

Der Populismus ist, seinem Namen und seinem Konzept nach, anders nicht zu definieren: Er ist die Forderung nach der unmittelbaren, der unvermittelten Verbindung zwischen dem Volk und der Macht. Die Inaugurationsrede von Donald Trump hat diesen populistischen Grundsatz deutlich zum Ausdruck gebracht: „Zu lange“, so Trump, „hat eine kleine Gruppe in der Hauptstadt unseres Landes von der Regierung profitiert, und das Volk hat die Kosten getragen. Washington blühte, aber das Volk hat nichts von dem Reichtum gehabt.“ Daher versprach er: „Der 20. Januar 2017 wird als der Tag in der Erinnerung bleiben, an dem das Volk wieder zu den Herrschern dieser Nation wurde.“

Die autoritäre Logik des Populismus

Diese Botschaft ist glasklar, und sie ist für das Verständnis des Populismus entscheidend: Das Volk soll wieder unmittelbar, ja unvermittelt selbst herrschen können, nicht vermittelt durch den Kongress, durch die Bürokratie, durch Beamte, Politiker und Lobbyisten. Unvermittelt – nun, fast, in Wahrheit aber doch vermittelt durch eine einzige, sich in aller Bescheidenheit ganz in den Dienst des Volkes stellende Figur: der Präsident, der Führer. Dieser einzige noch notwendige Vermittler zwischen dem Volk und der Macht – heisse er nun Trump, Erdogan, Orban oder Putin – erscheint in dem vom Populismus erträumten geschlossenen Kreislauf zwischen dem Volk und der Macht als kleines, zwar notwendiges, in sich aber bedeutungsloses supplement: eine blosse Kontaktstelle, ein Durchgangspunkt nur. Denn die Macht soll von jenen ausgeübt werden, die, wie Trump am 21. Januar sagte, „zu Millionen“ bei seiner Amtseinführung erschienen seien, und denen er versprach: „Heute übergeben wir die Macht nicht nur von einer Regierung an die andere oder von einer Partei an die andere, sondern wir nehmen die Macht von Washington D.C. und geben sie an euch, das Volk, zurück.“

Diese Führerfigur, die nichts anderes zu tun verspricht, als die Macht von den bürokratischen Apparaten wegzunehmen und sie dem Volk „zurückzugeben“, ist der Dreh- und Angelpunkt des Populismus. Sie wird als eine Figur inszeniert und imaginiert, die so „volkstümlich“ und unauffällig, zugleich aber so prominent und stark ist, dass sie die Illusion erwecken kann, sie allein sei der Garant, der die Macht des Volkes gegen die bürokratischen Apparate und gegen die Elite sichern kann. Ihr fundamentales Paradox besteht darin, dass sie einerseits selbst am liebsten ganz verschwinden, ja unwichtig sein will. Tatsächlich soll sie ja auch ein blosses supplement der Macht des Volkes sein und braucht daher auch gar nicht ‚wirklich’ zu regieren. Andrerseits aber muss diese Führerfigur mächtig und stark sein, um die Bürokratie und die Elite zu bekämpfen.

Als ein paradoxes, zugleich mächtiges wie verschwindend kleines supplement steht dieser Führer ausserhalb der politischen Ordnung. Dass er die etablierten politischen Regeln bricht, ist dabei kein Schönheitsfehler, sondern sein Prinzip – er ist der Exzess des Politischen. In diesem Sinn ungebunden, kann der Führer auch alle anderen Regeln brechen, ja sich jeden perversen Exzess erlauben: goldene Türme, verschwenderisch grosse Privatclubs oder Paläste mit 1000 Zimmern, Nepotismus und Kleoptokratie – und schliesslich die Macht, offen und folgenlos zu lügen. Denn es gilt ein heimlicher Vertrag: Die populistischen Wähler verzeihen dem autoritären Führer den offensichtlichen Missbrauch seiner Macht, wenn er diese Macht nur dazu einsetzt, die bürokratischen und politischen Apparate zu zerschlagen, unter denen das Volk angeblich leidet. Seine Wähler bewundern ihn sogar heimlich für den Exzess, den er in aller Öffentlichkeit zelebriert. Ausserhalb der etablierten Regeln gibt allein der Erfolg dem Mächtigen recht. Der Wahlerfolg legitimiert alles Weitere.

Ein linker Populismus als Alternative?

Amerika ringt mit dem Populismus, und das heisst nichts anderes als: mit der Gefahr einer autoritären Regierung. Denn dass die Macht „unvermittelt“ vom „Volk selbst“ ausgeübt werden soll, bedeutet, wie Steve Bannon die Öffentlichkeit schon bald wissen liess, dass die Macht von Behörden und staatlichen Agencies gebrochen werden soll, um den Präsidenten als einzigen Vermittler in bisher ungeahntem Masse zu stärken. Noch ist es in den USA nicht so weit, und man darf, mit Blick auf die Widerstandkraft der Institutionen und von weiten Teilen der Zivilgesellschaft, vielleicht sogar vorsichtig optimistisch sein, dass Trump scheitern wird.

Aber an seinem Beispiel lässt lernen, was Populismus heisst. Das ist vor allem deshalb notwendig, weil sich die Versuchung des Populismus nicht nur auf der rechten, der konservativen Seite des politischen Spektrums ausbreitet, sondern auch auf seiner linken. Nicht nur die Rechtspopulisten, sondern auch einige linke Politiker und Theoretiker wie namentlich der verstorbene argentinische Philosoph Ernesto Laclau und die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe träumen vom Populismus, und mit ihnen nicht wenige im Umkreis von Jeremy Corbyn in England, in der griechischen Syriza oder bei der Podemos in Spanien. Und auf Geschichte der Gegenwart hatte kürzlich Jens Andermann, gestützt auf Laclau/Mouffe und mit Blick auf die Notwendigkeit, in Lateinamerika die neoliberalen Angriffe auf Sozialprogramme und Minderheitenrechte abzuwehren, für einen linken Populismus plädiert.

Laclau/Mouffe argumentieren, ein linker Populismus sei möglich, der, kurz gesagt, auf folgenden Prinzipien aufzubauen wäre: Erstens auf politisch-propagandistisch zu erzeugenden „tiefen“ Antagonismus zwischen dem „Volk“ und dem „System“, ein Antagonismus, der gleichsam alle anderen Differenzen in der Gesellschaft und alle verschiedenen „demands“ in sich aufnehme und als solcher das Volk gegen die Eliten oder eben das „System“ einen könne. Und zweitens sei als Zeichen dieses Volkes ein „leerer Signifikant“ zu wählen, ein Zeichen ohne weitere Bedeutung (so wie eine Fahne „an sich“ keine Bedeutung hat), um zu ermöglichen, dass das Volk sich als politischer Akteur erfinden, ja erst entstehen könne. Damit wären nicht länger die alten, reaktionären Bedeutungen dessen, was das Volk sei (eine Abstammungsgemeinschaft, eine „Rasse“, etc.), für die populistische Mobilisierung bestimmend, sondern ein neues, ein zukunftsoffenes Verständnis von „Volk“.

Das tönt schön, ist aber wenig plausibel. Erstens machen sich Laclau/Mouffe bezeichnender Weise wenig Gedanken über das supplement des politischen Führers. Dieser scheint, ganz der populistischen Logik entsprechend, kaum der Rede wert zu sein, obwohl Figuren wie Peron, Castro oder Chávez hinlänglich das Gegenteil bewiesen haben. Zweitens: Es gibt jenseits von Fahnen so etwas wie neue, unschuldige „leere Signifikanten“ nicht, gibt es keine neuen Namen für das Volk, das immer schon seine Geschichte und ihre Deutungen mit sich trägt. Alle populären Protestbewegungen seit dem Mittelalter rekurrierten immer auf alte, oft mythisch Vorstellungen eines „alten Rechts“ und eines „ursprünglichen Volkes“, um sich als politische Subjekte zu konstituieren. In der Moderne haben diese Bezüge zwar meist ihre Geltung verloren, aber inhaltleer war die Rede vom Volk nie. Ob als „invented traditions“, als Sprache, Kultur oder „Rasse“: irgendeine alte oder als alt phantasierte Substanz und irgendein Traum eines „Eigenen“ motivierte die populäre Vorstellung vom Volk immer. Aus solchen Geschichten kann man nicht einfach so aussteigen.

Drittens ist der Versuch, den Begriff des Volkes durch einen grossen, als fundamental phantasierten Antagonismus gegenüber den Mächtigen, dem Apparat, dem Staat, dem System, der Elite… zu konstruieren, äusserst problematisch, denn er gleicht dem Rechtspopulismus wie ein Zwilling dem anderen. Zwar mögen sich diese Zwillinge in ihren politischen Programmen und Zielen unterscheiden (und das ist keine kleine Sache!), doch auch dieser linke Populismus verspricht, aus den Vermittlungsschlaufen von rechtsstaatlich strukturierten Demokratien herausspringen zu können. Der Traum aller Populisten ist immer derselbe: Das Politische soll „wieder“ ganz einfach werden, weg vom Aushandeln, Administrieren und Steuern komplexer gesellschaftlicher Systeme und hin zum „Ausdruck“, ja zur unmittelbaren Verwirklichung des „wahren“ Willes des Volkes. Doch solche fundamentalistischen Konstruktionen eines Gegensatzes zwischen einem „toten“ Apparat, System oder Staatsmaschine auf der einen Seite und dem „lebendigen“ Körper des Volkes auf der andern – etwa auch in scheinbar progressiven Formeln wie „We are the 99%“ – gehören ins Feld der politischen Metaphysik. Sie sind nicht nur dem Autoritarimus nahe, sondern haben auch den ideologischen Effekt, alle Fehler und Schäden der Gesellschaft dem „einen Prozent“ in die Schuhe zu schieben.

Die Gefahr des Militarismus

Das eigentliche Hauptproblem des Populismus aber besteht darin, dass er auf ein „Volk“ referiert, das, wie gerade Laclau/Mouffe gezeigt haben, notwendigerweise und immer schon durch einen Antagonismus gegen aussen konstituiert wurde und wird. Das, was „Volk“ heissen soll, wurde in der Moderne immer als jene distinkte historische, ethnische oder gar „rassische“ Substanz gedacht, die die Grenzziehungen von Nationen begründete, und die Geschichte lehrt zur Genüge, wie kriegerisch diese Grenzziehungen immer waren.

Es ist daher alles andere als ein Zufall, dass der Populismus sich von diesen Formen der konstitutiven Abgrenzung gegenüber den „Anderen“ nicht nur nicht distanzieren kann, sondern sie vielmehr befeuert. Das supplement eines Führers, der nur in aller Bescheidenheit die Macht „dem Volke zurückzugeben“ verspricht, ist daher vor allem im rechten Populismus, letztlich aber in all seinen Varianten ein nationalistischer Führer, der die militärische und polizeiliche Funktion des Staates aufbläht. Der Populist neigt dazu, ein Militarist zu sein, weil die Logik seiner Macht die Logik der Abgrenzung ist. Dass diese militärischen Formen von Grenzziehungen nicht nur gegenüber anderen Nationen aktiviert werden, sondern zuerst an den „inneren“ Grenzen einer Gesellschaft, dort, wo definiert werden soll, wer aus ihrem Kreis zum „Volk“ gehört und wer nicht, ist die gewalttätige Konsequenz dieser Politik.

Dass der Populismus eine innere Logik hat, heisst allerdings nicht, dass er fähig wäre, gemäss seiner Logik zu „funktionieren“. Denn er kann gar nicht funktionieren: Entweder scheitert er am Widerstand der Institutionen und den Komplexitäten der Gesellschaft – oder er wird so autoritär, dass er seinen Legitimationskern, den Bezug auf das We, the People, vollständig verliert und zur Diktatur mutiert.

S.P.Q.R.

Die Kanaldeckel in Rom erinnern an eine alte Wahrheit: In Republiken herrscht nicht das Volk, sondern eine rechtlich regulierte Koppelung von Senat und Volk, von Volk und seinen Repräsentanten. Die Aushandlungs- und Ausgleichsprozesse zwischen den vielen unterschiedlichen Interessen in komplexen Gesellschaften erfordern Regeln und spezialisiertes Personal, die weder dem „Willen“ eines als einheitlich phantasierten „Volkes“ entsprechen können, noch durch eine Regierung ersetzt werden sollen, die diese Einheitlichkeit autoritär verordnet. Der populistische Traum vom Unvermittelten aber wäre das Ende der Demokratie als der Herrschaft des Volkes.

 

Dieser Text ist zuerst bei Geschichte der Gegenwart erschienen.

 


 

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