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Deutschlands Flehen in der Euro-Krise: Lasst uns nicht allein!

von , 20.12.10

Offenbar hat das Wort Retten, das ursprünglich “aus der Gefahr reißen” bedeutet, inzwischen unter dem Druck der Ökonomie eine Umwertung erfahren, die in Griechenland und in Irland als “in die Gefahr gestoßen werden” verstanden wird.

Den Auftakt gab Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer Regierungserklärung im Deutschen Bundestag. Ich fasse ihre Argumentation zusammen:

Europa sei eine Verantwortungsgemeinschaft. Deutschland profitiere davon besonders. Einzelne Euro-Staaten stehen vor schwierigen Herausforderungen. Der Euro selbst aber habe sich als krisenfest erwiesen. Der EU-Gipfel werde einen Krisenmechanismus etablieren, der auch den Privatsektor und den Internationalen Währungsfonds an der Lösung künftiger Krisen beteilige. Die dazu nötige Vertragsänderung werde das Beistandsverbot nicht antasten. Damit werden keine Hoheitsrechte an die EU übertragen. Der Mechanismus werde ausgelöst durch eine Gefährdung der Finanzstabilität der gesamten Euro-Zone. Die Feststellung erfolge durch einstimmige Beschlüsse. Die Änderung des Vertrags erfolge im vereinfachten Verfahren (ohne Referenden) und solle bis Ende 2012 abgeschlossen sein.

Ihr persönliches Bekenntnis zu Europa beschließt Frau Merkel mit der Formel:

Niemand in Europa wird alleingelassen, niemand in Europa wird fallen gelassen, Europa gelingt gemeinsam. Ich füge hinzu, Europa gelingt nur gemeinsam.

Am nächsten Tag greift Zeit-Herausgeber Helmut Schmidt ein, kritisiert vehement die deutsche Europapolitik dieses Jahres.

Wer in dieser Lage lediglich taktiert und finassiert, wer gar jedwedes Auseinanderfallen des Euro-Verbundes öffentlich diskutiert, dem fehlt jede Weitsicht. (…) Wir Europäer können die früheren Fehler nicht ungeschehen machen, wohl aber müssen wir alsbald ziemlich unkonventionelle Reparaturen ins Werk setzen. (…) Selbstverständlich werden die notwendigen Reparaturen abermals (…) insbesondere uns Deutsche abermals viel Geld kosten. (…) Es ist nicht visionärer Idealismus, sondern unser eigenes strategisches Interesse an der Aufrechterhaltung der Europäischen Union und damit der europäischen Zivilisation, das uns  bewegen muss, auf kleine nationalegoistische Vorteile zu verzichten. Auf lange Sicht trägt Deutschland einen hohen Anteil an der Verantwortung dafür, dass die europäischen Staaten zu einem ökonomisch handlungsfähigen Verband zusammenwachsen. Dazu ist allerdings weder ein deutscher Oberkommandierender noch ein deutscher Schulmeister nötig, denn er würde die anderen Kapitäne nur befremden und abschrecken. Wohl aber müssen die deutschen Politiker den Bürgern erklären, dass wir und warum wir Deutschen Opfer zu bringen haben.

Das sind starke Worte. Der kluge Greis nutzt sein Ansehen dafür, Argumente mit seiner persönlichen Autorität zu verstärken, die in der Bundesregierung allenfalls von Wolfgang Schäuble vertreten werden. Am Dienstag waren Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück in der Financial Times in die Vorlage getreten und hatten dafür plädiert (ich fasse zusammen):

Kleinteilige Lösungen bieten keinen Ausweg aus der Krise. Es sei höchste Zeit, die Lücke zwischen finanzieller und politischer Integration zu schließen. Für diese Initiative solle sich Deutschland an vorderster Stelle engagieren. Die europäische Politik stehe vor der Alternative, die Krise durch halbherzige Maßnahmen zu verlängern oder sie durch entschlossenes Handeln zu beenden.

Am Tag darauf legt Mohamed El-Erian, Pimco-Chef, in der FT nach. Anders als der Außenminister a.D. und der Finanzminister a.D. nennt er die halbherzigen Lösungen beim Namen:

Die Euro-Rettung funktioniere nicht. Es mache keinen Sinn, erst Liquiditätsprobleme zu beheben und Zahlungsfähigkeitsprobleme einzelner Euroländer zu vertagen. Das vertiefe die Krise, statt sie zu lösen. Denn so komme ein Teufelskreislauf in Gang. Die überschuldeten Länder bräuchten eine Wachstumsperspektive. Deshalb sei es richtig, das Euro-Rettungspaket deutlich zu erhöhen. Aus innenpolitischen Gründen aber zögere die Bundesregierung, das ökonomisch Gebotene zu tun.

Nun kann man einwenden, dass der Chef des weltweit größten Rentenfonds seine eigenen Interessen verfolgt. Offenbar aber zeigt er dabei größere Weitsicht als die Politik. Aufmerksam kommentierte Ambrose Evans-Pritchard im Daily Telegraph eine Äußerung des Bundesaußenministers:

“Wer einer Transferunion das Wort redet, gefährdet die Unterstützung für Europa in den Ländern, die die größten Lasten schultern.”

Sodann entschied der EU-Gipfel und beschloss eine “schmale” Änderung des Vertrags um zwei Sätze:

Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus schaffen, der aktiviert wird, wenn dies unerlässlich ist, um die Stabilität der Euro-Zone als Ganzes zu sichern. Die Bewilligung finanzieller Hilfen wird unter strikte Bedingungen gestellt.”

Frau Merkel interpretierte den Gipfel als einen Schritt in Richtung einer europäischen Wirtschaftsregierung, dabei gehe es nicht nur um stabile Haushalte – was bisher das einzige ökonomische Credo der Bundeskanzlerin gewesen zu sein schien (“die schwäbische Hausfrau”). Insofern könnte man Robert von Heusingers Optimismus zustimmen, wäre da nicht dieser seltsam pathetische Satz in Frau Merkels Regierungserklärung:

“Niemand in Europa wird alleingelassen.”

Der Satz klingt wie ein verzerrtes Echo auf die Idee, von Feinden eingekreist zu sein. Tatsächlich sah es in diesem Jahr oft so aus, als habe sich Deutschland politisch isoliert.

Schließlich aber haben Sätze, die mit einem “niemand” beginnen, eine große Tradition. Sie reicht zurück bis in die Antike (und nicht bloß bis in das Jahr 1961). Odysseus sagte dem Menschen fressenden Riesen Polyphem (der Name heißt “der Vielgerühmte”), sein Name sei Niemand (oudeis). Der Mythos scheint klüger als die Politik zu sein, die sich seines Bildes bedient. Denn tatsächlich trifft in der Gestalt des Odysseus ein Vielgerühmter auf ein verabscheutes Menschen verschlingendes Monster. Der Vielgerühmte aber nennt sich bescheiden einen Niemand. Odysseus trifft auf sich selbst.

War Frau Merkel so listig wie Odysseus, als sie diesen Satz vortrug? Das wohl nicht. Aber wie das so ist, wenn man mit sich selbst konfrontiert ist, dann gibt es mitunter seltsame Reaktionen.

Lasst uns nicht allein!

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