#Bundespräsident

Deutschland sucht den Medien-Präsidenten

von , 19.2.12

„AUS“ schrieb die BILD-Zeitung am Samstag in zwanzig Zentimeter hohen Lettern auf ihre Frontseite. ENDLICH! hätte man drunter schreiben mögen. Doch wer gehofft hatte, nun sei’s vorbei mit dem Dauer-Gewulffe, sah sich Minuten nach dem Rücktritt schon eines besseren belehrt. ES GEHT WEITER. Und zwar volle Kanne. Jetzt können die Würdenträger unter den deutschen Journalisten (also die immer gleichen Talkshow-Kardinäle) in aller Ausführlichkeit den Nachfolger küren. ARD-Presseclub, Jauch, Illner, Plasberg, Will etc. sind wieder auf Wochen thematisch ausgebucht. Würdevoll wie immer werden sie ihres Amtes walten und den Bürgern erklären, wie der Nachfolger sein müsse, ohne dabei den scheinheiligen Hinweis zu vergessen, dass es kein Heiliger sein müsse. Doch: Es muss ein Heiliger sein. Schon wegen der Fallhöhe.

 

„Gänsehaut war gestern, jetzt wird nach vorne geschaut“

Der deutsche Polit-Journalismus ist in seinem Boulevard-Element. Er ist der Souverän, der Politik (als Personalauswahl) am schönsten simulieren kann. Er macht die PR. Und er nimmt sie auch wieder weg. Er schreibt die Leute rauf und runter. Die Personalrochade ist sein liebstes Stammtischthema. Finanzkrise? Europäische Verfassung? Zentralbank? Klimawandel? Hochschulreform? Iran? Urheberrecht? Viel zu kompliziert. Viel zu schwer. Viel zu trocken, völlig undurchschaubar. Ohne Fachkenntnis gar nicht zu bewältigen.

Personen dagegen gehen immer. Personen mit Fehlern sind der Hit. Bei Bohlen wie bei Jauch. Die Personality-Show (mit eingebauter Schadenfreude- und Gaffergarantie) ist nun auch der Inbegriff des politischen Medienzirkus geworden. Wulff – man konnte es an den strahlenden Gesichtern der Sondersendungslivetickerbreakingnews-Branche ablesen – hat die Journalisten-Jurys keineswegs enttäuscht, er hat sie glücklich gemacht. Bobbycars und Hotelübernachtungen sind so einfach, dass es alle verstehen können – sogar die Journalisten. Damit lässt sich ohne viel Aufwand Stunde um Stunde und Seite um Seite füllen. Reden wir über die einfachen Dinge, wenn die komplizierten nicht lösbar sind. Brot & Spiele.

„Jedesmal, wenn wir einen Fehler oder ein Missgeschick bereits dann als behoben betrachten, wenn ein unglückseliger Minister oder Beamter zurücktreten muss, machen wir uns paradoxerweise mit einem Modell gemein, in dem die Politik allein als das Geschäft kleiner Gruppen elitärer Entscheidungsträger gilt.“

Colin Crouch, Postdemokratie, S.23

Viele Bürger scheinen es zu mögen. Sie können sich ekeln und gleichzeitig ein wenig die Hände reiben. Wieder einer! Es ist so toll, Politikern beim Abstürzen zuzusehen. Das politische Interesse gilt nicht den Wirtschaftseliten, sondern erwacht auf Gala– und Bunte-Niveau. (Auch der derzeitige Aushilfs-Präsident hat eine bunte Vergangenheit. Dranbleiben, BILD, FAZ & Spiegel!).

Den Medien bescherten die Wulffs sehr ordentliche Umsätze. Wir wissen jetzt, dass niedersächsische Gelbklinkerhäuser hässlich und piefig sind. Politische Bildung kann so einfach sein. Aber auch die Netzöffentlichkeit hatte nichts Besseres zu tun, als mit den Wulffen zu heulen. Gab es vor Jahren noch eine kritische Distanz zu den Gepflogenheiten der Alt-Medien, hocken die Blogger heute am liebsten zuhause und glotzen in einer Mischung aus Lust & Ekel die gleichen Talkshows wie ihre Eltern – die Twitter-Timeline fest im Blick.

 

Castingshows als Politik-Ersatz

Gesucht wird ein „General Dr. von Staat“ (Thomas Mann, Bekenntnisse eines Unpolitischen). Denn wenn wir es schaffen, den Staat zu personalisieren (etwa in der Person Gauck), dann können wir uns endlich wieder als Untertanen Kinder Staatsbürger fühlen. Wir brauchen eine Autorität, die Deutschland heißt. Und dieses Deutschland soll nett sein, aber auch ruck; fröhlich und streng wie Mami, tolerant und intolerant wie Papi, weise und locker, gebildet und volksnah, weiblich und männlich, Brioni und Schießer, Roman Lob und Ornella de Santis. Unser „Staatsoberhaupt“ soll am besten sehr intelligent für Aserbeidschan singen können. Es soll wie ein Fels in der Brandung stehen und trotzdem leicht demontierbar sein.

Vielleicht hat der Medienzirkus noch nicht begriffen, was sich aus der politischen Casting-Show noch alles machen ließe. Umfragen en masse, das ist klar. Errechnung der Koalitionsalgorithmen im Feuilleton, Touchscreen-Graphiken von den möglichen Mehrheiten in der Bundesversammlung. Läuft alles unter ‚Politische Bildung’. Ein Präsidenten-Quiz mit Pilawa vielleicht, Torwandschießen der Kandidaten im „Aktuellen Sportstudio“, Brigitte-Tests mit Leitfragen wie „Würden Sie mit diesem Kandidaten eine Nacht verbringen wollen?“ bzw. „in Urlaub fahren?“ bzw. „Pferde stehlen?“; Gastauftritte in der „Lindenstraße“ und bei „Rote Rosen“, Wohngemeinschaftstest bei „Zimmer frei“ und „Schlag den Kandidat“ mit Stefan Raab – jede Menge Homestorys und einfühlsame Reporterpreis-Seite-3-Porträts (wie damals in der SZ über Wulff, olala). Es gibt so viel zu tun – packen wir‘s an. Denn auch der nächste Präsident wird sich kaum zwei Jahre im Amt halten können.

Wir sind anspruchsvoll geworden, was Verblödung angeht. Die Deutschen, schreibt die taz allen Ernstes, dulden heute keine Korruption mehr (nein, der Satz steht nicht im Evangelischen Gemeindeblatt, sondern tatsächlich in der taz). Die Medien haben, nach dem Wulff-Hype, ein gesteigertes Interesse, den Zyklus der Bundespräsidentenwahlen zu verkürzen – reguläre Amtszeiten dauern einfach zu lange. Also: Jedes Jahr ein möglichst langer Rücktritt mit anschließendem Casting-Verfahren – das wär’s!

P.S. Ein Präsident, der die Leitmedien wirklich überzeugt, könnte – nach allem, was man von den Journalisten-Kardinälen über erforderliche Präsidenten-Eigenschaften so hört – sowieso nur aus dem Kreis der Leit-Journalisten kommen. Doch die zieren sich. Noch.

 

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