von Wolfgang Michal, 25.8.13
Rudolf Augstein war vor Entscheidungen oft furchtsam und nervös. Und gerade deshalb hat er als Verleger großen Mut und Weitsicht bewiesen. Augstein entledigte sich in den Tagen des 68er-Aufruhrs seines stockkonservativen Chefredakteurs Claus Jacobi (der in den Nachrufen vor wenigen Tagen noch als Lichtgestalt des deutschen Journalismus gefeiert wurde).
Jacobi wechselte zu Springer. Den Spiegel hätte er gern bunter, unterhaltsamer, positiver und amerika-freundlicher gehabt. Aber das passte nicht in die neue Zeit. Also verpflichtete Rudolf Augstein im Juli 1968 den scharfsinnigen Analytiker und Deutschlandpolitiker Günter Gaus. Unter ihm verlor der Spiegel seine bräsige Unbestimmtheit. Für kurze Zeit wurde das Magazin das, was die romantisierende Selbsteinschätzung später als kontinuierliche publizistische Tendenz behauptete: „Im Zweifel links“! (im Grunde aber linksliberal).
In der Aufbruchstimmung des politischen Machtwechsels von 1969 („Mehr Demokratie wagen“) begann auch die Debatte über redaktionelle Mitbestimmung beim Spiegel. Günter Gaus schrieb – halb erfreut, halb erschrocken -, die 68er seien auf ihrem „Marsch durch die Institutionen“ etwas „früher als anderswo im Spiegel angekommen“. Denn im Spiegel-Haus an der Brandstwiete hatte sich eine journalistische „Linksfraktion“ eingenistet, mit den „Rädelsführern“ Hermann L. Gremliza (später konkret-Herausgeber), Bodo Zeuner, Alexander von Hoffmann, Otto Köhler und Dieter Brumm. Im Spiegel-Haus kursierten Flugblätter, auf denen erstmals offen „demokratische Mitbestimmung in der Redaktionskonferenz“ gefordert wurde. Auch die eigene Rolle wurde ‚hinterfragt’, und das eigene Haus als autoritäre „Produktionskaserne“ und „Herrenclub“ kritisiert. Der gemeine Spiegel-Redakteur, hieß es weiter, verwandle die politische Wirklichkeit in seinen Beiträgen bloß noch in den „Stoff eines debilen Klatsch-Journalismus“.
Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Augstein sympathisierte zwar mit der Revolte, lehnte sie aber gleichzeitig ab. Sein Verhältnis war ambivalent (= typische Journalisten-Haltung). Im November 1969 präsentierten sieben Spiegel-Redakteure den Entwurf für ein Redaktions-Statut, das den Mitarbeitern künftig ein Mitsprache- und Vetorecht bei der Bestellung von Chefredakteuren und Ressortleitern sichern sollte. Der Machtkampf zwischen der „Hauslinken“ und dem „Spiegel-Establishment“ war voll entbrannt. Um den Konflikt zu entschärfen, lockte Augstein seine Mitarbeiter am 30. Dezember 1969 – völlig überraschend – mit einem sensationellen Angebot. Er werde die Hälfte der Spiegel-Gewinne seinen langjährigen Mitarbeitern schenken, ja, die Mitarbeiter könnten sogar Miteigentümer werden, wenn man sich in Verhandlungen einige.
Am Ende garantierte der großzügige Verleger nicht nur eine Gewinn- und Kapitalbeteiligung, sondern auch Mitspracherechte bei der Bestellung von Chefredakteuren. Die Spiegel-Belegschaft gründete die Mitarbeiter KG, und ab dem 8. November 1974 gehörte der KG die Hälfte des Himmels.
Die verbliebene Hälfte wollte Augstein an Gruner & Jahr verkaufen, doch nach Protesten der Redaktion reduzierte er sein Vorhaben auf 25 Prozent. Augstein behielt eine Sperrminorität. Die rebellische Redaktions-Linke hatte er bereits 1971 wegen eines anderen Personalkonflikts (diesmal mit Erich Böhme) gefeuert.
Trotz (oder gerade wegen) der generösen Schenkung Augsteins entwickelte sich der Spiegel-Verlag in den folgenden 30 Jahren prächtig. Die Mitarbeiter KG war ein Vorzeige- und Erfolgsmodell für potentielle Nachahmer und blieb ein immerwährender Stachel im Fleisch ‘normaler’ Verleger.
Oft wurde deshalb versucht, das Modell der „mächtigen“ Mitarbeiter KG zu verteufeln. Von Ineffektivität und Selbstgefälligkeit war die Rede, von „Klotz am Bein“ und „Innovationsfeindlichkeit“. So lange es wirtschaftlich aufwärts ging, kratzte das die Mitarbeiter KG wenig. Doch seit einigen Jahren läuft das Geschäft nicht mehr so gut. Auch im Spiegel-Verlag gibt es Sparrunden und Stellenabbau. Das bewährte Erfolgs-Modell ist gefährdet. Und die Kritiker kommen immer stärker von innen. Vor allem der Minderheits-Gesellschafter Gruner & Jahr möchte die Über-Macht der Mitarbeiter KG endlich brechen.
Wie eine Wand?
Nach Augsteins Tod im November 2002 erwarben Gruner & Jahr und die Mitarbeiter KG – wie von Augstein testamentarisch ermöglicht – je ein weiteres halbes Verlags-Prozent, so dass der Erbengemeinschaft der Augstein-Kinder nur noch 24 Prozent verblieben: zu wenig für eine Sperrminorität. Die Mitarbeiter KG hält seither 50,5 Prozent, Gruner & Jahr 25,5 Prozent. Keine ideale Ausgangsposition für Gruner & Jahr, aber ein brauchbarer Hebel.
2008 konnte Gruner & Jahr Ove Saffe (den früheren Verlagsgeschäftsführer von Geo, Art und Stern) als neuen Geschäftsführer beim Spiegel installieren. Nun hatte man einen Fuß in der Tür. Saffe vertritt in etwa jene fröhliche Linie des 1969 von Augstein geschassten Claus Jacobi: einen bunten, unterhaltsamen, positiven, amerika-freundlicheren Spiegel. Nach bewährter Geo-Manier baute Saffe das Nachrichten-Magazin zu einem bunten Gemischtwarenladen um: mit Kinder-Spiegel, Kultur-Spiegel, Geschichts-Spiegel, Wissen-Spiegel etc.pp. Wie zuvor schon bei Geo schadete die Verzettelung vor allem dem Mutterblatt: Der Spiegel litt an Auszehrung und rutschte in die Beliebigkeit. Spiegel– und Geo-Titel („Rückenschmerzen – Neue Therapien!“) waren kaum noch voneinander zu unterscheiden.
Die Stimmung im Haus verschlechterte sich. Die Frauen in der Redaktion begehrten auf, die Onliner fingen an zu grummeln, die Jungen ärgerten sich klammheimlich im stillen Kämmerlein über die unbeweglichen Alten. Eine Richtungsentscheidung schien überfällig. Aber wer sollte sie treffen? Der Geschäftsführer? Die Belegschaft in Gestalt der Mitarbeiter KG? Die Chefredaktion?
Dem Minderheitsgesellschafter Gruner & Jahr blieb in dieser Situation nur die Möglichkeit, die Mitarbeiter KG langsam ins Abseits zu manövrieren. Auf das interne Spiegel-Duo Mascolo & Blumencron folgte das externe Tandem Büchner & Blome. Man hatte am Baumwall (und wohl auch in Gütersloh) die Chance erkannt, den Dritten im Bunde der Spiegel-Gesellschafter, die Erbengemeinschaft, zu spalten, denn es war offensichtlich, dass der Bild-Mann Blome und der Freitag-Verleger Jakob Augstein gut miteinander können (während Augstein-Tochter Franziska aus blattpolitischen Gründen auf Konfrontationskurs ging).
Nach außen präsentiert sich Gruner & Jahr in diesem Streit als Unschuld vom Lande und wünscht sich eine einvernehmliche Lösung. Doch die SZ will aus „Kreisen der Anteilseigner“ auch vernommen haben, man werde Geschäftsführer Ove Saffe abziehen Geschäftsführer Ove Saffe werde gehen, wenn sich die Mitarbeiter offen gegen Büchner & Blome stellen sollten.
Wumms-Strategie oder echtes Zukunftsmodell?
Es wird nun darauf ankommen, ob die Mitarbeiter KG im Konflikt um die Chefposten-Besetzung tatsächlich steht „wie eine Wand“, oder ob die soziale Differenzierung unter den Mitarbeitern inzwischen so groß geworden ist, dass sie sich in verschiedene Lager auseinanderdividieren lassen. Denn auch beim Spiegel und seinen Töchtern gibt es seit Jahren enorme Unterschiede zwischen den privilegierten Altredakteuren und den wesentlich schlechter gestellten SpOn-, SpiegelTV-, Wissens– und Geschichts-Neulingen. Das Versäumnis, hier nie gegengesteuert zu haben, lastet als Hypothek auf der Mitarbeiter KG. Und so könnte der Zorn der Unterprivilegierten auf die satten Kollegen im Haus und die gleichzeitige Hoffnung auf eine profitablere und schnellere Wumms-und-+++Breaking News+++-Strategie nach dem Muster von Spiegel Online am Ende größer sein als die Furcht vor einer als „neoliberal“ gebrandmarkten boulevardesken Verlagslinie.
Die Chancen stehen also nicht schlecht, den gedruckten Spiegel in diesem Machtkampf tatsächlich neu auszurichten. Nicht nur, was seine politische Position als Aufklärungs- und/oder Unterhaltungsmagazin angeht – auch das Mitbestimmungsmodell, das als Relikt und Hoffnungszeichen aus der 68er-Zeit in die Gegenwart hineinragt, könnte auf den Prüfstand kommen. Doch eine Einschränkung der Mitbestimmungsbefugnisse der Mitarbeiter KG bei der Festlegung der Blattlinie wäre ein herber Verlust für die ganze Medienlandschaft, denn die journalistischen Zukunftsmodelle heißen angesichts der Zeitungskrise heute nicht mehr Familienverleger, Presselords, Aktiengesellschaften und anderes altmodisches Gedöns, sondern Netzwerk-Genossenschaft (taz), Stiftungen (FAZ, Guardian) und Redaktionseigentum (Spiegel). Nur so hat kritischer Journalismus in Zeiten des Internets eine Chance.
Insofern kommt die Personalie Nikolaus Blome genau zum richtigen Zeitpunkt. Der Spiegel muss – wie 1968 – entscheiden, was er sein will.
Update 28.8.: Es wird etwas Gesichtswahrungskosmetik aufgetragen.