#Adam Smith

Der neue Multilateralismus

von and , 7.11.14

Am letzten Freitag hat Christine Lagarde in Washington einen Preis bekommen, den Foreign Policy Diplomat of the Year Award. Aus diesem Anlass hat sie, wie es sich gehört, eine Rede gehalten.

Im zweiten Teil dieser Rede geht’s um einige Probleme der Gegenwart und der Zukunft. Bei der Gelegenheit wirft sie Adam Smith über den Haufen, fast so, als hätte sie nicht nur den Reichtum der Nationen gelesen, sondern auch seine Theorie der ethischen Gefühle. Und sie kommt zu dem Schluss, dass die unsichtbare Hand nicht einfach nur die Reichen und die Tüchtigen verdientermaßen belohnt, sondern dass sie auch ein gesellschaftliches Umfeld voraussetzt. In Lagardes Worten:

The model of Adam Smith’s ,invisible hand‘ – where pursuing one’s own self-interest would also serve the collective interest – requires solid institutional underpinnings, such as the rule of law, a currency, a competition watchdog, to name a few.

Und sie fährt fort:

To me it looks more and more as if Adam Smith’s model is being turned upside down. (…) Rather than collective good arising out of self-interested action, it is only by acting collectively that an individual country’s self-interest can be achieved.

Man muss unwillkürlich an Deutschland denken, das unbeirrt auf Kosten seiner Nachbarn den größten Außenhandelsüberschuss der Welt einfährt. Aber Lagarde ist diplomatisch, nimmt als erstes Beispiel den Klimawandel, um dann auf die Ungleichheit der Einkommen zu kommen.

Too many people feel left out, too many people feel frustrated.

Das klingt so gut und menschenfreundlich, man will’s kaum glauben. 
Aber es gibt eine Erklärung:

If not addressed, these challenges could lead to serious breakdowns in social and political cohesion.

Der dringende Appell zu internationalen Kooperation widerspricht so ziemlich genau dem, was man von unseren Eliten in den letzten Jahren gehört hat. Dass sich die Staaten in Konkurrenz befinden, im Standortwettbewerb darum kämpfen, den Investoren die besten Gelegenheiten zu geben.

Demgegenüber macht Lagarde einen erstaunlichen ideologischen Schwenk. Da stellt sich die Frage, worauf Frau Lagarde – die nun nicht im Verdacht steht, sozialrevolutionäre Bewegungen zu unterstützen – hinaus will?
Passend dazu gab’s von der englischen Zentralbank und einem deutschen Minister zufällig fast zeitgleich zwei weitere Texte zum Thema.

Andrew Haldane, Chefökonom der Bank of England, sieht in der neuen globalen Verbundenheit eine Gefahr, die ganz ähnliche Lösungen erfordert:

Global yield appear these days to be dancing to a common tune.

Rund um den Globus hat sich ein einheitliches Zinsumfeld ausgebreitet, das auf jede Erschütterung im Gleichklang reagiert. Große Alternativen für Investments gibt es nicht mehr. Die Korrelation der Märkte ist so groß geworden, dass katastrophale Netzwerkeffekte drohen. Wird die Harmonie in einem Netzwerk zu groß, agiert es fragil und unberechenbar. Vor den Krisen der letzten Zeit haben sich die Korrelationen stets verstärkt. Das liegt daran, dass Finanzströme so groß geworden sind, dass a) alle Verschiedenheiten der Produktion überdeckt werden und b) sich die Finanzinvestoren wie Herden bewegen.

These correlations also show distinctive flare-ups, associated with spasms in the global financial markets.

Haldanes Lösungen gehen in dieselbe Richtung wie die von Lagarde. Wenn wir nicht global regulieren, überrollen uns die Beben der Finanzströme. Mit nationalstaatlich verteilten Regulierungen ist das nicht mehr in den Griff zu bekommen, also braucht es eine globale Kontrolle und Überwachung der Finanzströme. Das hat auch eine politische Konsequenz. Staaten können in diesem Umfeld nichts mehr ausrichten. Was zählt, sind die verschiedenen Asset-Classes, also die Klassen der Vermögenswerte. Denn die problematischen Korrelationen breiten sich länderübergreifend entlang der Asset-Klassen aus. Mal geraten Rohstoffe, mal Immobilien, mal Aktien unter Druck, und zwar immer gleich rund um den Globus. Das Kapital flüchtet nicht mehr von einem Land ins nächste, sondern von einer Anlageklasse in die nächste. Gegen solche Finanzströme können einzelne Länder nichts mehr ausrichten.

Nun gibt es noch einen dritten, der zu unserer großen Überraschung ins selbe Horn bläst. Es handelt sich um den deutschen Minister Schäuble, auf internationalem Parkett finanztechnisch ob seiner Sturheit eher als peinliche Figur gehandelt. Jetzt durfte er zum ersten Mal etwas auf der angesehenen Seite Project Syndicate schreiben. Die Überschrift: „Why Taxation must go global“. Klingt wie Haldane oder Lagarde. Man könnte glatt auf den Gedanken kommen, sogar Schäuble würde einsehen, dass „lokale Lösungen“ nicht mehr genügen. Allerdings bleibt’s da leider bei der Überschrift. Die großen Probleme in der globalen Ökonomie hat er leider nicht auf dem Schirm. Schäubles Blick reicht genau bis zu seinem eigenen Konto, und dem Wunsch, dass ihm die Kontrolle der Finanzströme bei seinen Einnahmen helfen könnte.

Womit wir die einmal mehr provinzielle deutsche Perspektive ignorieren können, um noch einmal die größeren Fragen zu stellen. Was wollen Haldane und Lagarde und warum schlagen sie Alarm? Wäre ja zu schön, wenn ihre nachvollziehbaren Befürchtungen wegen der Instabilität des Finanzsystems einmal dazu führen würden, menschenfreundliche Maßnahmen umzusetzen. Allerdings steht, wie üblich, das Gegenteil zu befürchten. Nämlich dass sich vollmundige Ankündigungen eines Multilateralismus auf die Durchsetzung sogenannter Freihandelsabkommen beschränken könnten, die die Souveränität der Staaten schlicht ein Stückchen weiter untergraben, um den internationalen Investoren noch mehr Trümpfe zuzuspielen.
Denn für Lagardes Problem gibt es nicht eine, sondern anderthalb Lösungen. Wenn ohnehin transnationale Regulierungen benötigt werden, lässt sich die Gelegenheit nutzen, um die Staaten noch ein wenig weiter aus dem Weg zu räumen. So passt ihr alarmistischer Vortrag wieder zur Agenda der globalen Finanzelite.

 

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